Dürrenmatts Stadtberner Kapitel
Zum 100. Geburtsjahr von Friedrich Dürrenmatt ermöglicht eine Berner Stadtführung eine erfrischend andere Sichtweise auf den Schweizer Autor.
Text: Fabian Rottmeier
Friedrich Dürrenmatt war 14 Jahre alt, als er mit seinen Eltern nach Bern zog. Sein Vater, ein Pfarrer, hatte eine Stelle im Diakonissenhaus angenommen. Später hielt Dürrenmatt fest, er wisse nun, weshalb Kirchen oft an erhöhten Lagen stünden. Damit der «Seich», den sein Vater dort erzähle, besser abfliessen könne. Mit solchen Zitaten hat Thomas Meier an diesem Mittwochabend die Aufmerksamkeit seiner Zuhörerinnen und Zuhörer auf sicher. Zusammen mit Schauspieler Lukas Baumann führt er in der Berner Altstadt durch den neuen, städtischen Rundgang «Labyrinth Dürrenmatt». Der Verein Stattland hat ihn anlässlich von Dürrenmatts 100. Geburtstag in Zusammenarbeit mit dem Schweizer Literaturarchiv kreiert.
In 90 Minuten spazieren Thomas Meier und Lukas Baumann mit ihrer 15-köpfigen Gruppe zu sechs Berner Orten, die sie mit dem Schweizer Autor verknüpfen. Rund elf Jahre hat Dürrenmatt in der Hauptstadt gelebt, – zuerst als Schüler im Freien Gymnasium Bern und am Humboldtianum, dann als Philosophie-, Naturwissenschafts- und Germanistikstudent – bevor er mit 25 Jahren frisch verheiratet nach Basel, kurz darauf an den Bielersee und später nach Neuenburg zog.
Kommissar Bärlach schreit durch den Hof
Stattland legt den Berner Lebensabschnitt auf dem Rundgang nicht chronologisch an, sondern thematisch. Er ist eine Mischung aus Anekdoten, Zitaten und Eckpunkten aus der Biografie des Emmentaler Schriftstellers. Und wer als Zuhörer mit seinen Gedanken mal kurz abschweift, wird spätestens von Schauspieler Lukas Baumann wieder zurückgeholt. Denn er trägt Dürrenmatts Reden, Bonmots oder Buchzeilen bisweilen mit so viel Inbrunst vor, dass man beim Halt an der Brunngasse die ganze Zeit befürchtet, eine Anwohnerin werde gleich ein Fenster öffnen und sich beschweren.
Baumann verkörpert dort in einem schmucken, versteckten Hinterhof den todkranken Kommissar Bärlach, der sich in dieser Szene aus «Der Richter und sein Henker» irgendwo zwischen Wahnsinn und Kollaps befindet. Aber auch an anderen Stationen des Rundgangs macht es nicht nur Spass, dem Schauspieler zuzuschauen, sondern auch die leicht überraschten und irritierten Passanten zu beobachten. Wochenlang hat er sich die Sprachmelodie und die Stimme Dürrenmatts mit viel Übung angeeignet, wie er der Zeitlupe erzählt.
Vor dem Stadttheater erfahren wir, dass Friedrich Dürrenmatt hier dank seines Onkels, der ihn als Regierungsrat in dessen Loge mitgenommen hatte, das Drama für sich entdeckt hat. Auf der Bühne verguckte sich Dürrenmatt auch in seine erste Frau, die Schauspielerin Lotti Geissler. Bei einem weiteren Halt an der steilen Fricktreppe am Münsterplatz hören wir, dass er ihr auf eben dieser Treppe seine Liebe bekannte.
Und ganz nebenbei entdeckt man Bern neu
Der Rundgang überrascht auch deshalb positiv, weil man (als nicht Ortskundiger) ganz nebenbei einige Berner Schönheiten für sich entdeckt. Die erwähnte Brunngasse könnte ebenso gut in Paris stehen, und der Kronenbrunnen (auch Lischetti-Brunnen genannt) vor dem Rathaus gefällt mit seinem Stahlpodest. Baumann trägt Auszüge aus Dürrenmatts berühmter Rede «Die Schweiz – ein Gefängnis» vor. Sie hat leider nichts von ihrer Aktualität eingebüsst. Dürrenmatt tat, was er schon in seinen Krimis gerne machte: Er unterlief die Erwartung des Publikums. Die Schweiz kam ihm schon immer «echli komisch» vor.
Auch Bern war ihm nicht ganz geheuer. «Bern war für mich nur zu bewältigen, indem es mein Stoff wurde», schrieb er. Dürrenmatt sah die Stadt als Bedrohung, als Labyrinth, in dem er sich zurechtzufinden versuchte. Wie uns Thomas Meier verrät, empfand Dürrenmatt die Stadt eher als Störfaktor für seine Konzentration denn als Lebensqualität. Der Rundgang endet mit dem Betrachten einiger von Friedrich Dürrenmatt gemalter Bilder. Sie offenbaren eine ganz andere Seite des 1990 verstorbenen Hornbrillenträgers. Man glaubt gern, dass er sich nie dafür interessiert hat, Äpfel zu zeichnen, so wie man es von ihm forderte. Dürrenmatt war einer, der sich nie etwas vorschreiben liess. Lieber liess er beispielsweise die ganze Menschheit eine Treppe hinunter purzeln – Richtung Hölle. Jedes Mal, wenn wir nun in Bern die Fricktreppe hinuntersteigen, werden wir es – Stattland-Rundgang sei Dank – etwas vorsichtiger tun als sonst.
Infos und Anmeldung
stattland.ch, Telefon 031 371 10 17, Dauer ca. 90 Minuten, Starttreffpunkt Münzterrasse (Ecke Münzrain / Münzgraben; vis-à-vis Bellevue Palace Bern), mit Bus Nr. 19 oder Tram Nr. 6, 7 oder 8 bis Haltestelle «Zytglogge». Nächste Termine: 15. August, 14 Uhr / 1. September, 18 Uhr / 19. September, 14 Uhr. Führungen für Privatgruppen sind ebenfalls buchbar.
Website, die auf Veranstaltungen und Publikationen anlässlich des Dürrenmatt-Jubiläums hinweist: duerrenmatt21.ch
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