
Eine Jogging-Runde durch den Louvre
Auch der zwölfte Spielfilm von Wes Anderson ist so bunt, schnell und überdreht wie seine Vorgänger. Wer sich der Reizüberflutung von «The Phoenician Scheme» verweigert, verpasst nicht nur sorgfältig inszenierte Bilder, sondern auch eine irre Geschichte.
Text: Maximilian Jacobi
1950, in einem Privatflugzeug, irgendwo über Jugoslawien. Ein Mann fläzt sich im Sessel, raucht Zigarre, liest ein Buch. Auf dem Notsitz an der Wand hinter ihm hockt ein Angestellter. Die Motoren brummen. Ein Knall, eine Explosion reisst ein Loch in die Bordwand. Auf dem Notsitz hängen nur noch Beine, überall Blut. Der Mann mit der Zigarre grunzt verärgert, geht ins Cockpit.
«The Phoenician Scheme» ist Wes Andersons zwölfter Spielfilm und der bisher blutigste. Meist rinnt es aus Kopfwunden über das Gesicht von Zsa-Zsa Korda (Benicio Del Torro), der zigarrenrauchenden Hauptfigur. Die Geschichte beginnt mit Kordas sechstem Flugzeugabsturz.

Es wird nicht sein Letzter sein. Denn der Waffenhändler und Multi-Millionär Korda hat Feinde. Mächtige Feinde. Und weil sie ihm nach dem Leben trachten, will Korda seine Nachfolge regeln, bevor es zu spät ist. Von seinen zehn Kindern ernennt er seine einzige Tochter Liesl (Mia Threapleton) zur künftigen Leiterin des Familien-Imperiums. Sie ist Nonne, hat ihren Vater jahrelang nicht gesehen und verdächtigt ihn, ihre Mutter ermordet zu haben. Trotzdem willigt sie widerwillig ein. Gemeinsam mit einem Privatlehrer (Michael Cera) reisen Vater und Tochter durch das Fantasieland Phönizien und versuchen einen Deal aufzugleisen, den «phoenician scheme», ein Jahrhundert-Geschäft, das der Familie Korda ewigen Wohlstand bescheren soll.
Eine Krönungszeremonie unter Kanarienvögeln
So surreal und irre die Ausgangslage klingt, so surreal und irre geht es weiter. Verhandlungen werden in einem Eisenbahntunnel durch ein Basketball-Match entschieden. Handgranaten als Gastgeschenke verteilt. Kommunistische Revolutionäre überfallen einen Nachtklub. Ein Schiffskapitän spendet Blut, nachdem der Waffenhändler angeschossen wurde. An sämtlichen Ecken lauern Attentäter, die versuchen, Zsa-Zsa Korda umzulegen. So weit, so Wes Anderson.

Wie bei all seinen Filmen wird einem beim Schauen nicht langweilig. Im Gegenteil. Viel eher läuft man Gefahr, abgehängt zu werden. Die Dialoge sind oft rasant, lakonisch und witzig. Etwa als Korda seiner Tochter eröffnet, dass er sie ihr Leben lang observieren liess:
Liesl: «Du hast mich ausspioniert!»
Korda: «Es ist nicht Spionieren, wenn man der Vater ist.»
Die Kulissen sind vollgestellt und faszinierend wie das Depot eines Kunstmuseums. Jede Bewegung ist durchgetaktet wie bei einer Krönungs-Zeremonie. Und die Kostüme sind bunt wie Kanarienvögel: Wie Schwester Liesl, mit türkisem Lidschatten und blutroten Lippen, in weissem Ordens-Ornat Pfeife raucht, brennt sich ins visuelle Gedächtnis. Gerne würde man die Vorführung stoppen und sich die Bilder in Ruhe ansehen. Doch die Handlung rast voran. Es ist, als würde man beispielsweise durch den Louvre joggen.

Wie nach jedem Wes Anderson Film, ist man auch nach «The Phoenician Scheme» reizüberflutet und sprachlos – und irgendwie aufgeputscht. Lassen Sie sich also nicht vom Tempo abschrecken. Gehen Sie ins Kino. Sehen Sie sich den Film an. Doch wappnen Sie sich. Erwarten Sie Unerwartetes.
- «The Phoenician Scheme», von Wes Anderson, 100 Minuten, ab 29. Mai im Kino.
- Weitere Informationen zum Film finden Sie hier.