Liebeserklärung an die Liebe
Eine mehrstündige Doku-Serie von Netflix hat sechs ältere Paare ein Jahr lang begleitet – mit viel Empathie und Geduld.
Text: Fabian Rottmeier
Sie heissen …
- Ginger und David (aus den USA)
- Nati und Augusto (aus Spanien)
- Kinuko und Haruhei (aus Japan)
- Saengja und Yeongsam (aus Südkorea)
- Nicinha und Jurema (aus Brasilien)
- Satyabhama und Satva (aus Indien)
Eines haben sie alle gemeinsam: Sie sind schon seit Jahrzehnten ein Paar. Liebesroutiniers, deren Geschichten nun einem Millionenpublikum nähergebracht werden. Der amerikanische Streaming-Riese Netflix widmet ihnen mit «My Love – Six Stories of True Love» eine rund siebenstündige Dokumentarfilmserie. Jedem Paar wurde nach einjähriger Dreharbeit ein eigener Film gewidmet. Die vier Jahreszeiten bilden dabei die Kapitel der einzelnen Episoden, die von alten Fotografien aus dem Leben des Liebespaares abgerundet werden. Wir haben in zwei der sechs Filme reingeschaut. (Lesen Sie hier auch unseren Artikel über Liebespaare, die sich erst nach Jahrzehnten gefunden haben.)
Nati & Augusto
Der 83-jährige Augusto scheint bereits vor seiner Arztvisite zu ahnen, dass es nicht gut kommt mit dem Test, der es ihm ermöglichen soll, seinen Führerschein zu behalten. Zu seiner Frau Nati meint er vorab: «Mein Alter kann ich nicht erneuern.» Und so muss das Paar, das seit 60 Jahren zusammen ist, fortan ohne eigenes Auto auskommen. Diese Einschränkung passt zum Umstand, dass Augusto und Nati mitansehen müssen, dass in ihrem Alter alles immer weniger wird, nicht nur der Radius. Viele Nachbarn sind weggezogen, dafür kommen dank des Naturparks in Südspanien immer mehr Wildschweine und Bergziegen. «Die übernehmen hier alles», sagt Augusto, und schliesst ernüchtert mit: «Naturpark.»
Geblieben ist ihre Liebe – und ihr neckischer Umgang miteinander. Man sieht, wie gut sie sich kennen, und lacht mit, wenn sie sich darüber amüsieren, dass sie den Text eines alten Liebesliedes nicht mehr auf die Reihe kriegen. Zufrieden gehen sie ihrem einfachen Alltag nach, der sich um Oliven- und Nussbäume sowie die Freude an der Natur dreht.
Der Dokumentarfilm ermöglicht einen ehrlichen, empathischen Einblick in das Leben von zwei älteren Menschen – und bringt uns dabei ebenso den Alltag in einer fremden Welt näher. Das gilt auch für die Folge über Ginger und David, einem Paar aus Vermont, einem der sechs US-Bundesstaaten von Neuengland.
Ginger & David
Auch sie leben in einer Kleinstadt, die nicht mehr viel mit dem Ort ihrer Kindheit zu tun hat. Nur der Ahornsirup fliesst in Williston wie eh und je und ist der ganze Stolz der Familie, die seit 1871 eine Farm betreibt. Der 84-jährige David und die 79-jährige Ginger haben den Hof längst an eines ihrer sechs Kinder abgetreten. Nun kümmern sie sich um weitere wichtige Entscheide, damit die Finanzen, das Testament und die Einäscherung geregelt sind, wenn sie gestorben sind. David möchte, dass seine Asche am Rand des Zuckerwaldes verstreut wird, in dem er seinen Ahornsirup gewann.
Man kann sich ein Beispiel an den beiden nehmen, wie sie sich auch nach 60 Jahren zu schätzen wissen, sich ergänzen, aufheitern und Raum geben. Wunderbar gefilmt, sind die Bilder auch eine Liebeserklärung an die Liebe. Nicht pathetisch, sondern unspektakulär leise, geduldig beobachtet. Sie zeigen: wahre Liebe ist ehrlich.
«My Love – Six Stories of True Love», 6 Folgen, jetzt auf Netflix verfügbar (im Originalton mit deutschen Untertiteln oder auf Deutsch synchronisiert). Hier gehts zur Doku-Serie. Eine Vorschau mit deutschen Untertiteln ist hier verfügbar.
Ursula & Ueli: Spät vereinte Liebe
Ursula Bürgi und Ueli Friedländer verbrachten ihre Kindheit und ihr Studium zusammen. Nach 45 Jahren Funkstille sind die beiden seit fünf Jahren ein Paar – und schildern ihren Weg zum Glück. Lesen Sie hier den Artikel.