Kommt Zeit, kommt Rage
SRF zeichnet im Dokumentarfilm «Von der Küche ins Parlament» den langen Weg der Schweizerinnen zum Frauenstimmrecht nach. Die darin zitierten männlichen Archivstimmen sind zum Davonlaufen.
Text: Fabian Rottmeier
Der Film beginnt mit einer Schwarzweiss-Aufnahme, in der ein Mann sagt, seine Frau dürfe in ihrer Freizeit doch immerhin sein Auto lenken – und endet mit einer jungen Politikerin im Jahr 2020, die erklärt, dass man für die endgültige Gleichberechtigung fordernd und laut kämpfen müsse. Dazwischen liegt ein Stück Schweizer Geschichte, in der die Männer ein jämmerliches Bild abgeben.
Der Westschweizer Regisseur Stéphane Goël hat seinen 2012 veröffentlichten Dokumentarfilm «De la cuisine au parlement» («Von der Küche ins Parlament») zum 50-Jahr-Jubiläum des Schweizer Frauenstimmrechts mit den Ereignissen der vergangenen neun Jahren aufgefrischt. Nachdem der Film mit dem Titelzusatz «Edition 2021» vor kurzem an den Solothurner Filmtagen zu sehen war, feiert er nun (auch wegen der Corona-Pandemie) bereits am Sonntag seine Deutschschweizer Fernsehpremiere. Ein Kinostart ist für den Juni geplant.
Sein Werk ist ein gross angelegter Rückblick auf die vielen Hindernisse, die den Frauen – auch von ihren Ehemännern – in den Weg gelegt wurden, bis sie 1971 endlich auf nationaler Ebene abstimmen durften. Kommentiert wird die chronologische Aufarbeitung von grossen Politikerinnen und Aktivistinnen wie Marthe Gosteli, Simone Chaupuis-Bischof, Ruth Dreifuss, Gabrielle Nanchen und vielen mehr.
Während Historikerin Brigitte Studer die Unterdrückung der Frau als «ein historisches Erzeugnis aus der Zeit der Industrialisierung» einordnet, sieht man anschaulich, wie die Schweiz als weit herum einziges Land eine Exotin bleibt, in der nicht die Regierung, sondern die wahlberechtigten Männer über das Stimmrecht der Frauen befinden. Statt an die Urne zu gehen, sollten sich die Ehefrauen lieber zur «Schweizer Kuchenkönigin» küren lassen oder sich an neuen Waschmaschinen erfreuen.
Die Archivaufnahmen, in der Männer zu Wort kommen, lösen oft gleichzeitig Kopfschütteln und Lachen aus: Realsatire in Schweizer Qualität. Ein Innerschweizer sagt unverblümt, seine (neben ihm stehende) Frau sei für die Armenpflege, Kinderbetreuung und den Haushalt schon recht, aber nicht für politische Angelegenheiten. Und Lise Girardin, die Genfer Politikerin, die 1971 als erste Frau in den Ständerat gewählt wird, musste am Fernsehen tatsächlich die Frage beantworten, wann sie denn ihre Einkäufe tätige. Die Freisinnige entgegnete schlagfertig: «Es gibt auch Kühlschränke, wissen Sie. Die sind sehr praktisch.»
Der Wandel ist gross – bei den Frauen
Man erfährt viel in 90 Minuten: Dass die Schweizer Männer in kantonalen und nationalen Abstimmungen rund 50 Mal Nein zum Frauenstimmrecht sagten oder wie die politische Werbung zu verstehen gab, dass ein Ja zu einer Spaltung der Ehepaare führen würde (wie wenn dies mit einem Nein anders gewesen wäre!). In kurzer Zeit sieht man auch den Wandel, den die Frauen im Verlauf der Jahrzehnte durchlebten. Während einige von ihnen zuerst nicht selten ihre Männer verteidigten oder schwiegen, lernten sie, je länger je stärker für ihre Rechte und ihre Gleichstellung einzustehen. Bis hin zur jungen Politikerin von heute, Tamara Funiciello, die ein komplett anderes Selbstverständnis an den Tag legt. «Es reicht», lautet die Botschaft, die sie und viele andere aus ihrer Generation lautstark und mit viel Wut im Bauch vertreten.
RTS hat «De la cuisine au parlement – Edition 2021» bereits ausgestrahlt – an einem Sonntagabend um 20.50 Uhr. Der Sendeplatz auf SRF wurde passend auf Sonntagabend, 7. Februar – den Tag des Jubiläums gelegt –, aber leider erst auf 23.35 Uhr. Die beste Sendezeit bleibt dem «Tatort» und dem amerikanischen Superheldenfilm «X-Men – Apocalypse» vorbehalten. Ein kleines Detail, das vielleicht darauf hinweist, dass der noch immer lange Weg zur endgültigen Gleichberechtigung in der Deutschschweiz etwas länger dauern dürfte als in der Romandie, wo 1959 die Waadtländerinnen, die Neuenburgerinnen und Genferinen auf kantonaler Ebene ihr Stimmrecht erhielten.
«De la cuisine au parlement – Edition 2021», 7. Februar, 23.35 Uhr, SRF 1. Online bis am 14. Februar auf Play SRF abrufbar. Die französische Fassung ist bereits hier auf RTS Play in voller Länge zu sehen.
«De la cuisine au parlement – Edition 2021» in voller Länge (bis 14. Februar verfügbar)
Die Vorschau zum Film
Mehr Infos zum Film: https://www.firsthandfilms.ch/de/von-der-kuche-ins-parlament/