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Erbgut oder Erblast?

Dokumentarfilmer Simon Baumann könnte den Hof seiner Eltern in Frankreich erben. Er will aber nicht. «Wir Erben» dreht sich um Grundsätzliches und Persönliches – und deckt die Widersprüche von Stephanie und Ruedi Baumann auf.

Text: Fabian Rottmeier

Irgendwann ist jeder Traum zu Ende. Stephanie und Ruedi Baumann, sie einst SP-Nationalrätin, er Präsident der Grünen, müssen sich eingestehen, dass ihr geliebter Bauernhof im Alter nicht mehr als Wohnsitz taugt. Zu abgelegen das Haus in Südfrankreich, zu gross das Land mit seinen 70 Hektaren. Die Schweiz ist fast 1000 Kilometer entfernt – und damit auch ihre beiden Söhne Simon und Kilian. Letzterer hat 2001 nicht nur ihren Bauernbetrieb in Suberg übernommen, sondern auch ihren politischen Weg. Er ist Nationalrat.

Ruedi Baumann würde den Hof in der Gascogne gerne seinen Söhnen überlassen und in der Familie behalten, weil dieser Freiraum bedeutet. Stephanie Baumann ist da offener. Fremd sind ihr der «Bauernstolz» ihres Mannes, der auf Landbesitz (und Traktoren) fixiert ist.

Alles ist Ansichtssache

Sohn und Dokumentarfilmer Simon Baumann («Zum Beispiel Suberg» / «Image Problem») weiss eines sicher, als er sich mit seiner Kamera zu seinen Eltern nach Traversères aufmacht: Das bereits geerbte Haus in Suberg – und die damit verbundenen Schulden aus der Renovation – sind genug für ihn. Und während für seine Eltern das Landgut für Artenvielfalt, ökologisch wertvolle Hecken und pestizidfreie Inseln steht, sieht er dort: Ackerland, Einsamkeit, Langeweile.

So entwickelt sich «Wir Erben» bald zu mehr als einem Dokumentarfilm darüber, was mit dem Bauernhof passieren soll. Die Auseinandersetzung mit dem Thema Erben wird für alle Beteiligten zu einem emotionalen Prozess, bei dem es um sehr Persönliches und Grundsätzliches geht. Um Werte, Haltungen. Und Widersprüche. Immer wieder konfrontiert Simon Baumann seine Eltern damit, dass ihr Umgang mit Besitztum und Erbe so gar nicht dem entspricht, wofür sie in ihrer erfolgreichen Politkarriere standen. Vor allem Vater Ruedi hat keine Antwort darauf – und wendet sich lieber ausweichend den Traubenstöcken zu.

Simon Baumann, Regisseur von "Wir erben"
© Locarno Film Festival / Ti-Press

Regisseur Simon Baumann am Filmfestival Locarno im vergangenen Sommer


Simon Baumann gelingt ein mutiges Essay über eine unbequeme Reflexion, die alle auf sich selbst zurückwirft. Sein erstes Fazit: Ein Erbgut bringt für die Kinder oft schwierigere Entscheidungen mit sich als für die Eltern. Weil damit auch Erwartungen und Hoffnungen verknüpft sind. «Wir Erben» ist voller kluger Gedanken des Regisseurs aus dem Off: «Wir reden uns ein, wir hätten verdient, was uns gehört. Aber alleine durch Arbeit kommt fast niemand mehr zu einem Haus, zu eigenem Boden. Die Welt gehört denjenigen, die erben.» 

Gleichzeitig gelingt dem 44-Jährigen ein schonungsloses und gleichzeitig liebevolles Porträt seiner Eltern, angereichert mit Archivaufnahmen ihrer politischen Fernsehdebatten. Vielleicht gelingt es gerade deshalb, weil er sie nicht vor unangenehmen Fragen verschont. Er formuliert es in seinem für den Schweizer Filmpreis nominierten Werk so: «Mit einer Kamera in der Hand bin ich meinen Eltern nahe – und doch frei.» Frei von einem Bauernhof, den er nicht möchte, und einem (französischen) Erbe, das mehr Belastung statt Geschenk scheint. Eigentlich sei das Ganze ja eine «Luxusdiskussion», hält am Ende auch Stephanie Baumann am Familientisch fest. Weniger belastend macht dies den Ablösungsprozess aber trotzdem nicht.

«Wir Erben», 96 Minuten, jetzt im Kino, Infos zu den Spielorten: filmcoopi.ch

Beitrag vom 30.01.2025

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