Erhöhtes Demenz-Risiko in Flughafen-Nähe
Das Einatmen von Feinstaub kann der Gesundheit stark schaden. Eine neue Studie belegt, dass Menschen im Umkreis eines Flughafens besonders betroffen sind. Wegen der ultrafeinen Partikel aus Flugabgasen, die sehr tief in den menschlichen Körper dringen. Auch ins Gehirn.
Text: Marco Hirt
Wie stark belasten die Emissionen des Flugverkehrs die Gesundheit der Menschen, die im Umkreis von Flughäfen wohnen? Dieser Frage wollte «Transport & Environment» (T&E), der europäische Dachverband unabhängiger Verkehrs-Organisationen, auf den Grund gehen. Und veröffentlichte kürzlich eine Studie, die nach eigenen Angaben erstmals umfassend die Auswirkungen auf die Umwelt aufzeigt.
Die Sachlage: Feinstaub ist ein Luftschadstoff. Die ultrafeinen Partikel (UFP) sind deshalb besonders gefährlich, weil sie wegen der geringen Grösse gut in die Lunge, das Gehirn und den Blutkreislauf gelangen. Auf Flughäfen entstehen die UFP vor allem beim Verbrennen von Kerosin in den Triebwerken, die besonders beim Rollen sowie bei Starts und Landungen ausgestossen werden. Dieser erhöhten UFP-Emission ausgesetzt sind Menschen, die vor Ort arbeiten (z.B. auf dem Rollfeld), aber auch nahe eines Flughafens leben.
Die Analyse: Die Situation am Grossflughafen Amsterdam-Schiphol wurde untersucht und detailliert ausgewertet. Die im dortigen Umkreis tatsächlich gemeldeten Fälle von Bluthochdruck, Diabetes und Demenz wurden mit den Angaben zu Bevölkerungsdichte und den dort vorhandenen Emissionsdaten verknüpft. Das Ergebnis wurde dann anhand der Daten für andere in Deutschland untersuchten Flughäfen hochgerechnet.
Das Fazit: Das höchste Gesundheitsrisiko besteht im Umkreis von fünf Kilometern. Die Studie bezieht einen Abstand von bis zu 20 Kilometern ein, da auch Menschen, die weiter entfernt leben, dem Feinstaub ausgesetzt sind. In Europa sind demnach rund um 32 Grossflughäfen ca. 52 Millionen Menschen betroffen – und die Belastung mit ultrafeinen Partikeln in der Atemluft wird danach mit rund 280’000 zusätzlichen Fällen von Bluthochdruck, 330’000 Fällen von Diabetes und 8000 Fällen von Demenz in Verbindung gebracht.
Aufgrund der Studie hat sich auch der VCS Verkehrs-Club der Schweiz geäussert und einen Vergleich gezogen. So seien, sagt VCS-Projektleiter Yves Chatton, rund zwei Millionen Menschen in einem Umkreis von 20 km um die Flughäfen Zürich und Genf den gesundheitsschädlichen Abgasen ausgesetzt. Und er fordert Massnahmen: So könne die Verwendung von qualitativ hochwertigerem Kerosin die UFP um bis zu 70 % reduzieren. Yves Chatton: «Dass die Fluggesellschaften billiges Kerosin verwenden, hat mutmasslich finanzielle Gründe. Den Preis dafür bezahlen die Menschen, welche in Flughafennähe wohnen.»
«Flughäfen sind eine Quelle erhöhter Emissionen»
Was hält ein Experte von der Amsterdamer-Studie? Sie sei von seriösen und erfahrenen Sachverständigen verfasst, erklärt Nino Künzli, Mediziner und Umweltepidemiologe. «Die Verlässlichkeit der UFP-Verteilung und somit der Belastung der Bevölkerung kann ich weniger gut beurteilen, scheint mir aber nach gängigen Methoden gemacht worden zu sein.» Inwieweit die Übertragung auf Schweizer Flughäfen auf korrekten Modellen beruht, könne er nicht ermessen. «Längst bekannt ist jedoch, dass Flughäfen eine Quelle erhöhter Emissionen wie UFP, aber auch zum Beispiel Stickstoffoxiden und insbesondere auch Lärm sind.»
Der emiritierte Professor des Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Instituts Basel betont aber, dass die lufthygienische Situation hierzulande nicht schlimmer, sondern von Jahr zu Jahr besser wird. So hat er 2022 die Schweizer Luftreinhaltepolitik der vorhergehenden 15 Jahre mit 5,5 benotet. «Solange die seit 30 Jahren beobachteten Trends der Abnahme aller Luftschadstoffe, auch der UFP, weiter anhalten, verdient dies Anerkennung. Halten die Trends an, können auch die neu geforderten tieferen Grenzwerte erreicht werden. Bei den Herausforderungen ist der in vielen Kantonen wiederholt aufgeschobene Vollzug der Massnahmen im Bereich der Landwirtschaft zu erwähnen.» Flughäfen würden aber wohl für UFP ein Brennpunkt bleiben, so Nino Künzli weiter, trotz Verbesserungen bei den Düsenmotoren.
Demenz-Gefahr für 9/11-Helfende
Interessant im Zusammenhang mit Feinstaub und Demenz ist eine im Juni 2024 publizierte Studie der New Yorker Stony Brook University. Dafür wurden mehr als 5000 Menschen untersucht, die nach dem Anschlag am 11. September 2001 auf die Türme des World Trade Center in New York im Einsatz waren – ausgesetzt der erhöhten Feinstaubbelastung in den Trümmern.
228 von ihnen, die in Rettungs- oder Aufräumarbeiten involviert waren, entwickelten noch vor ihrem 65. Lebensjahr Symptome, die einer Demenzerkrankung entsprechen. In der Allgemeinbevölkerung muss einer von 1000 damit rechnen, unter den 9/11-Helfenden sind es jedoch 15. In vorhergehenden Studien wurde bereits beobachtet, dass der Einsatz zu kognitiven Problemen geführt hat. In Hirnaufnahmen waren Entzündungszeichen und Veränderungen entdeckt worden, die für Alzheimer typisch sind.
Zu erwähnen ist, dass der 9/11-Staub sich vom Feinstaub aus Verkehr und Industrie unterschied, u.a. pulverisiertes Glas, Blei und Dioxine enthielt. Inwieweit diese direkt oder indirekt die Schädigung des Gehirns verstärken, kann gemäss der Studie bislang nicht sicher gesagt werden. Fakt ist: Haben die feinen Partikel einen Durchmesser von weniger als 2,5 Mikrometern (1 Mikrometer = 1 millionstel Meter), können diese ins Gehirn gelangen, dort Entzündungsreaktionen auslösen – und so das Organ schädigen.
Gut zu wissen
So lässt sich das Demenz-Risiko senken
Gefährdungspotenzial erkennen und vermindern – und 45 Prozent der Demenzerkrankungen könnten wenn nicht verhindert zumindest verzögert werden. Dies laut einer Expertenkommission, die in ihrem neuen Report im Fachmagazin «The Lancet» zwei neue Risikofaktoren bekanntgegeben hat – hoher LDL-Cholesterinwert im mittleren Alter und unbehandelter Sehverlust im späten Alter. «Unser neuer Bericht zeigt, dass viel mehr getan werden kann und sollte, um das Demenzrisiko zu verringern», sagt die Londoner Demenzforscherin Gill Livingston, Hauptautorin des Berichts. «Es ist nie zu früh oder zu spät, Massnahmen zu ergreifen, und es gibt in jeder Lebensphase Möglichkeiten, etwas zu bewirken.»
Eine 27-köpfige internationale Expertenkommission kommt aufgrund von zahlreichen Einzelstudien zu folgendem Schluss: Um das Risiko zu senken, besteht eine Beeinflussbarkeit von prinzipiell 45%, hingegen 55% sind unbekannte oder nicht beeinflussbare Faktoren.
14 Punkte, die sich negativ auswirken
Um so viele Prozente erhöht sich die Erkrankungsgefahr:
In der Jugend: schlechte Schulbildung (5%)
Im mittleren Alter: Hohes LDL-Cholesterin (7%), Hörverlust (7%), Depression (3%), Schädel-Hirn-Trauma (3%), wenig Bewegung (2%), Diabetes (2%), Rauchen (2%), Bluthochdruck (2%), Übergewicht (1%), Alkohol (1%)
Im hohen Alter: Soziale Isolation (5%), Luftverschmutzung (3%), Sehverlust (2%)
Es gibt auch kritische Stimmen: Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, dass Demenz einer Art Lifestyle-Entscheidung gleichkomme, weil sich die Patienten nicht ausreichend um ihre Gesundheit gekümmert hätten, sagt Alterspsychiater Klaus Ebmeier von der Universität Oxford zur «Welt». Und er mahnt, dass es meistens gar nicht möglich sei, die Kausalität von Risikofaktoren zweifelsfrei zu beweisen.
Bei vielen Fachleuten sei jedoch ein grundsätzlicher Optimismus zu spüren, schreibt die «Welt» weiter. Verschiedene empirische Studien hätten nämlich belegt, dass die Demenzprävention funktionieren könne. Ein internationales Forscherkonsortium hat ausgerechnet, dass sich die Rate der Neuerkrankungen in Europa und den USA in den vergangenen Jahrzehnten um 13% pro Dekade verringert hat. Das heisst: Ein älterer Mensch hat heute ein viel geringeres Demenzrisiko als noch in den 90er-Jahren, nicht zuletzt wegen der Prävention.
In der Schweiz gibt es bei der «Demenz Forschung – Stiftung Synapsis» weiterführende Infos (demenz-forschung.ch) zum Thema. Nicht nur zu aktuellen Projekten rund um die Erforschung von Methoden zur Frühdiagnostik und Behandlung, sondern auch zur Vorsorge: «Mit unserer Kampagne richten wir uns an Menschen, die aktiv etwas für ihre Hirngesundheit tun möchten», sagt Geschäftsführerin Corinne Denzler. «Wir bemühen uns, eine positive Haltung und Freude an Präventionsmassnahmen zu vermitteln, um zu einer Lebenstilanpassung zu motivieren.» Auch die Website alzheimer-schweiz.ch hat ein umfassendes Angebot rund um Demenz zu bieten.