Einsamkeit ist vielfältig – und oft unsichtbar
Der Dokumentarfilm «Einsamkeit hat viele Gesichter» macht das Thema Einsamkeit im Alter sicht- und spürbar. Eine dazu lancierte Website hilft Betroffenen weiter.
Text: Fabian Rottmeier
Was, diese Frau ist oft einsam!? Dieser Mann auch? Wer sich den 30-minütigen Dokumentarfilm «Einsamkeit hat viele Gesichter» ansieht, ertappt sich selbst dabei, wie man bei der ersten Einstellung einer porträtierten Person vom Äussern auf das Innere schliesst. Diese Reaktion entlarvt einen zentralen Punkt der Einsamkeit: Sie ist für Aussenstehende oft unsichtbar.
Wie der kostenlos weiter unten in diesem Artikel oder auf der Website einsamkeit-gesichter.ch abrufbare Film anschaulich festhält, ist die Einsamkeit bei den sieben porträtierten Betroffenen oft dann am grössten, wenn sie alleine in ihren vier Wänden sitzen – auf sich zurückgeworfen. Laut Bundesamt für Statistik fühlten sich 2017 in der Schweiz rund 4 von 10 Personen oft einsam. Bei den über 65-Jährigen war es ein Drittel der Befragten.
«Einsamkeit hat viele Gesichter» ist im Rahmen des Vereins Familien- und Frauengesundheit entstanden. Beim Erstellen des Films und der begleitenden Website sind viele Fachorganisationen miteinbezogen worden, unter anderem auch Pro Senectute. «Unser Ziel ist es, dass mehr über die eigene Einsamkeit und die Einsamkeit von Mitmenschen geredet wird», schreibt Romana Lanfranconi, Projektleiterin und Filmregisseurin.
Entstanden ist ein Kaleidoskop der Einsamkeit
Romana Lanfranconi lässt sieben pensionierte Menschen zu Wort kommen, die aus unterschiedlichen Gründen einsam sind. Sie lässt diese unkommentiert und aufeinanderfolgend zu Wort kommen. Dabei entsteht ein ein Kaleidoskop der Einsamkeit, das nahe geht. Allein äusserlich würde man denken, dass es diesen Menschen gut geht.
Carmen sagt, Einsamkeit mache krank. Marcel betreut seine demente Frau und leidet darunter, dass er sich nicht mehr mit ihr austauschen kann. Mohammed hat eine Angst vor sozialen Kontakten entwickelt. In seiner Wohnung, ganz allein, sei er ein Mensch ohne Seele. Priska hat ihre Schwester verloren – und plötzlich war «niemer meh ume». Sonja geht um 19 Uhr zu Bett, um der Dunkelheit und damit der Einsamkeit ein bisschen zu entfliehen. Hans musste durch eine plötzlich auftretende Krankheit vom einen auf den anderen Tag zurück in die Schweiz geflogen werden. Sein altes Leben, auf einem anderen Kontinent, gab es nicht mehr. Elisabeth weiss manchmal nicht, was sie mit sich anfangen soll. «Es gibt keine Betriebsanleitung fürs Älterwerden.»
Umso wichtiger ist es, über seine Einsamkeit zu sprechen, sagen Fachpersonen. Der Verein Familien- und Frauengesundheit leistet mit seiner neu geschaffenen Website einsamkeit-gesichter.ch einen wichtigen Beitrag dazu, dass Betroffene aus ihrer Dunkelheit, aus ihrem Loch und ihrer Isolation finden – und dass über das Thema gesprochen statt geschwiegen wird.
Der Film «Einsamkeit hat viele Gesichter» ist kostenlos zu sehen weiter unten in diesem Artikel oder auf der Website einsamkeit-gesichter.ch
Kontakt: Familien- und Frauengesundheit, FFG-Videoproduktion, Maihofstrasse 101, 6006 Luzern, Mail info@ffg-video.ch, ffg-video.ch
Schauen Sie sich den Film hier in voller Länge an
- Lesen Sie auch hier den Zeitlupe-Artikel «Das Abc gegen Einsamkeit».
- Lesen Sie zudem hier das Zeitlupe-Interview mit Expertin Hilde Schäffler. Sie sagt: «Einsamkeit ist ein schambesetztes Thema.»
- Zudem finden Sie hier eine Auswahl von nützlichen Adressen, die Betroffenen weiterhelfen.
- Wie der Treffpunkt als Online-Community gegen Einsamkeit helfen kann.
- Was hilft bei Ihnen gegen Einsamkeit? Nutzen Sie unsere Kommentarfunktion am Ende des Artikels, um anderen Ihre Tipps weiterzugeben. Wir würden uns darüber freuen.
Tipps und Anregungen, falls Sie sich einsam fühlen oder befürchten, es zu werden
Aus der Begleitbroschüre des Films
- Sprechen Sie darüber, was Sie beschäftigt. Sie sind nicht die einzige Person mit diesem Gefühl. Darüber reden kann verbinden.
- Gibt es jemanden, der Sie dabei unterstützen kann, neue Kontakte zu knüpfen? Fangen Sie mit dieser Person ein Gespräch an.
- Überlegen Sie sich: Wofür sind Sie dankbar?
- Schreiben Sie dies täglich auf. Sie können auch ein Tagebuch schreiben, mit positiven Momenten von jedem Tag.
- Was tut Ihnen gut, was macht Ihnen Freude? Malen, Musik hören, schreiben, telefonieren oder etwas ganz anderes?
- Machen Sie mehr davon, planen Sie dies in Ihren Tagesablauf ein.
- Strukturieren Sie sich Ihren Tag, machen Sie einen Tages- oder Wochenplan.
- Informieren Sie sich in Ihrer Regionalzeitung oder im Internet über passende Treffen oder Veranstaltungen in Ihrer Nähe.
- Gehen Sie hinaus, Bewegung und Natur tun gut.
- Haben Sie ein Herz für Tiere? Vielleicht gibt es in der Nähe ein Tierheim, das Sie besuchen wollen, oder ein Nachbar hat ein Haustier, um das Sie sich ab und zu kümmern könnten.
- Laden Sie Leute zu sich ein, sei es auch nur für einen Kaffee und ein paar Guetzli. Lassen Sie sich von einer Absage nicht entmutigen.
- Werden Sie selber aktiv, probieren Sie Neues aus. Auch wenn es nicht beim ersten Anlauf klappt, bleiben Sie dran.
- Nehmen Sie Kontakt mit einer Fachstelle auf, damit Sie sich auf Ihrem Weg begleitet und unterstützt fühlen.
Folgende Fachstellen können Sie im Umgang mit Einsamkeit weiter unterstützen, beraten und informieren: Fragen Sie nach bei Ihrem Hausarzt / Ihrer Hausärztin, bei Ihrer Spitex-Organisation, bei der Fachstelle für das Alter in Ihrer Gemeinde oder bei kirchlichen Ansprechpersonen.
- Pro Senectute, Telefon: 058 591 15 15, prosenectute.ch. Mit direkter Verbindung zur Beratungsstelle in Ihrer Region
- Die dargebotene Hand, Telefon: 143, 143.ch, für ein helfendes und unterstützendes Gespräch, anonym und rund um die Uhr.
- Weitere Anlaufstellen, Angebote und Organisationen in Ihrer Region finden Sie auf einsamkeit-gesichter.ch.