Schelme im Dorf 8. April 2024
Die langjährige Zeitlupe-Redaktorin Usch Vollenwyder erzählt alle zwei Wochen aus ihrem Alltag im bernischen Gürbetal. Heute: vom Ende der dörflichen Heile-Welt-Idylle.
Mein Mann erinnert sich nicht, dass seine Eltern je die Haustür abgeschlossen hätten. Wir haben es auch so gehalten – wie wohl die meisten alteingesessenen Dörfler und Dörflerinnen. Die Tür blieb Tag und Nacht unverschlossen, selbst wenn wir in die Ferien gingen. Schliefen wir im Sommer auf der Terrasse, stand zusätzlich die Balkontür offen. Auch wenn ich allein zu Hause war, schloss ich hinter mir nie ab. Unser Dorf ist in mondleeren Nächten stockfinster – der Gemeindepräsident vor einem halben Jahrhundert hatte das bis heute geltende Argument gegen eine Strassenbeleuchtung geliefert: «Einheimische kennen den Weg auch im Finstern, Fremde haben in der Nacht hier nichts zu suchen.» Daran schienen sich auch Spitzbuben und Einbrecher zu halten.
Selbst die Autos wurden selten abgeschlossen, meist blieben früher sogar die Schlüssel stecken. Anders wäre es nicht möglich gewesen, dass vor etwa dreissig Jahren ein Autodieb im Dorf die Runde machte und auf der Auffahrt zu einem Bauernhof das hintere Auto wegstellte, weil ihm das vordere, neuere, besser gefiel. Die Bäuerin war ob dieses Manövers sogar erwacht, hatte auf die Uhr geschaut und gedacht, ihre Söhne kämen aber wieder einmal schön spät nach Hause… Das Auto fand man zwei Jahre später mit hunderttausend Kilometern mehr auf dem Tacho an der östlichen Schweizer Grenze. Diese Geschichte kursiert bis heute im Dorf. Als warnendes Beispiel vor Dieben wurde sie bis heute nie erzählt.
Gewarnt ist das Dorf erst jetzt: Vor etwa einem Monat stellte ein junger Nachbar eine Videosequenz aus seiner Überwachungskamera auf den WhatsApp-Status. «Achtung Diebe im Dorf» schrieb er dazu. Deutlich sind zwei junge Männer zu sehen, wie sie versuchen, die Türen an den Fahrzeugen auf seinem Hofplatz zu öffnen. Das Video machte sofort die Runde. Jeder schaute in seinem Auto nach, ob etwas fehlte. Glücklich diejenigen, die es abgeschlossen hatten. Pech hatten die anderen – wir zum Beispiel: Der Notgroschen aus dem Handschuhfach war weg. Andere verloren in dieser Nacht grössere Summen. Wir beschlossen, ab sofort Auto und Haustür über Nacht abzuschliessen. Meist vergassen wir es.
Letzte Woche hatte mein Mann eine seiner schlaflosen Nächte. Es war drei Uhr, als er draussen ein Geräusch hörte. Er stand auf und guckte aus dem Fenster. Die Innenbeleuchtung unseres Autos war angegangen, jemand sass hinter dem Steuer und wühlte im Handschuhfach. So schnell er konnte – von rennen ist bei uns nicht mehr die Rede – ging mein Mann die Treppe hinunter zur Haustür und schickte den Hund hinaus. Dieser freute sich über die nächtliche Abwechslung, schoss schwanzwedelnd um die Ecke und kam gleich darauf wieder zurück – der Eindringling war längst weg. Mein Mann schlüpfte in Trainerhose und Pullover und ging mit dem Auto auf Verfolgungsjagd. Das alles erzählte er mir, als er unverrichteter Dinge nach ein paar Minuten wieder zurückkehrte. Ich selber war erst erwacht, als er den Motor gestartet hatte. Ich hatte auf die Uhr geschaut und mich gefragt, was um Himmels Willen mein Mann um diese Uhrzeit mit dem Auto wollte…
Seither sind die Nächte anders. Ich schliesse Haus- und Autotüren ab und ärgere mich darüber, dass ich mir meine heile Dörfli-Welt so schnell habe nehmen lassen. Jetzt gehöre ich ebenfalls zu denen, die sich misstrauisch um Hab und Gut sorgen. Verschwunden ist auch das Vertrauen in die dörfliche Hundepopulation – bis anhin die vermeintlich beste Verteidigung gegen Einbruch und Diebstahl: Unserem Strässchen entlang stehen fünfzehn Häuser mit insgesamt elf Hunden. Tagsüber sind sie nicht zu überhören. Und in der Nacht? Statt ihrer Aufgabe als Wachhunde nachzukommen, schlafen sie ihren gerechten Hundeschlaf.
- Schliessen Sie Haus- und Autotüren in der Nacht immer ab? Wenn nicht: Haben Sie damit schon schlechte Erfahrungen gesammelt? Wir würden uns freuen, wenn Sie uns Ihre Meinung kundtun oder die Kolumne teilen würden. Herzlichen Dank im Voraus.
- Hier lesen Sie weitere «Uschs Notizen»
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