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Andere Länder, andere Sitten 20. Juli 2020

Zeitlupe-Redaktorin Usch Vollenwyder ist 69 Jahre alt. Als Angehörige der Risikogruppe erzählt sie jede Woche aus ihrem Alltag im bernischen Gürbetal. Heute: von Corona-Massnahmen jenseits der Grenze.

Wir treffen unsere deutschen Freunde in der Mitte zwischen ihrem Wohnort in Hessen und unserem Berner Gürbetal – in einem kleinen Weindorf zwischen Pfälzerwald und Rheinebene. Wir haben uns viel zu erzählen, wurden wir doch gleichzeitig aus dem friedlichen Alltag gerissen und ins Pandemie-Zeitalter katapultiert. Wir vergleichen die deutschen und schweizerischen Massnahmen und Schutzkonzepte: Unsere Freunde haben ihre Eltern im Altersheim immer noch nicht besuchen dürfen. Und noch sind längst nicht alle Schulen geöffnet. 

Die Gesichtsmaske ist eine Selbstverständlichkeit geworden und gehört zum deutschen Alltag wie das Handy. Sie baumelt an Wanderrucksäcken und Autorückspiegeln, guckt aus Handtaschen und Hosensäcken, wird locker in der Hand mitgetragen, am Arm umgebunden oder hängt am Velolenker. In jedem Geschäft und im Tankstellenshop, auf dem Markt, bei der Weindegustation oder im Restaurant: Sie wird längst vor dem Betreten aufgesetzt. Zerknüllte Masken liegen nicht nur auf Parkplätzen und Raststätten, sondern vereinzelt auch zwischen Rebstöcken und auf Wanderwegen.

Im Supermarkt sorgt eine doppelte Reihe Bierharasse dafür, dass die Kundschaft nicht zu nah an die Fleischtheke tritt. Nicht Plexiglasscheiben schützen die Kassiererinnen, sondern vielmehr Plexiglaswände. Und rund um die Kassen hängen Plastikplanen. Nirgendwo gibt es einen Kaffee oder ein Bier, und sowieso kein Nachtessen, ohne vorherige Anmeldung auf einem A4-Blatt, auf dem Name, Adresse, Telefonnummer, Mailadresse und Ankunftszeit eingetragen werden müssen. Zwei bis vier Wochen sollen die Listen aufbewahrt werden – ich stelle mir die Tonnen von Papier vor, die sich so aufeinanderstapeln.

Bevor wir zurückfahren, kaufe ich bei der Bäckerin für den Heimweg ein Brötchen. Von Maske zu Maske und mit viel Plexiglas dazwischen unterhalten wir uns. Ich sage, dass die Einschränkungen in Deutschland doch deutlich einschneidender seien als in der Schweiz. Mit grossen Augen schaut sie mich an: Genau wegen dieser ganzen Reiserei und all der Touristinnen und Touristen aus Ländern, die dieses Corona kaum noch ernstnehmen würden, müsse man bestimmt bald wieder alles schliessen. Und «des do will isch übberhaubt garnet uff kän Fall» betont sie mit Nachdruck in ihrem Pfälzer Dialekt. In dieser Beziehung kann ich ihr auf gut Berndeutsch nur beipflichten: «I o nid».

Beitrag vom 20.07.2020
Usch Vollenwyder

Zeitlupe-Redaktorin

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