Schwein gehabt
Die Mutter hielt Peter Wiedmers Ritt auf dem Säuli fotografisch fest. Aus dem Lausbuben wurde später der langjährige Gemeindeschreiber von Erlenbach im Simmental.
Erlenbach im Simmental, wo ich aufwuchs, ist bis heute ein «richtiges Dorf». Als Kinder genossen wir dort viele Freiheiten. Kaum ein Streich, den wir fantasievollen Buben nicht ausprobiert hätten… Wenn ich Fotos aus dieser Zeit anschaue, muss ich immer an Huckleberry Finn und seine Abenteuer denken. Unsere Eltern wussten oft gar nicht, wo wir herumstreunten – Handys gab es ja damals noch nicht. Dafür musste sich auch niemand wegen des Verkehrs sorgen: Ein Auto galt in meiner Kindheit im Dorf noch lange als seltene Attraktion.
Dass wir daheim auch helfen mussten, war selbstverständlich. Mein Vater war Briefträger und ich übernahm es am Nachmittag manchmal, die Höfe auf der Schattseite ennet der Simme zu bedienen. Heute wäre dies undenkbar, allein schon wegen des Postgeheimnisses. Oft musste ich auch auf meine jüngeren Geschwister aufpassen. Ein besonders guter Babysitter war ich allerdings nicht, denn meine kleine Schwester stürzte einmal unter meiner Aufsicht in den Dorfbach.
Der Krieg überschattete meine Kindheit kaum. Ich erinnere mich an die Vorhänge für die Verdunkelung und an den «Anke», den ich auf Geheiss der Eltern unerlaubterweise ohne Rationierungsmarken vom Bauernhof meines Onkels heimschmuggelte. Dank der Bauern hatten wir dafür immer genug zu essen im Tal.
Wir lebten bürgerlich bescheiden. Ein Ausflug zur Tante ins Diemtigtal war das höchste der Gefühle. Ich war stolz, dass mein Vater als Briefträger das Postauto gratis benutzen durfte. Der Briefträger brachte damals die Post noch zwei Mal am Tag und war im Dorf eine Respektsperson. Man schaute ihm aber auch früher schon auf die Finger: Ab und zu tauchte ein «Herr aus Bern» auf und kontrollierte, wie lange er für seinen «Kehr» benötigte.
Im Sommer fuhr meine Mutter oft mit dem Velo und mir auf dem Gepäckträger in den Nachbarort Därstetten, um meine Grossmutter und meinen Onkel auf dem Bauernhof zu unterstützen. Besonders beim Heuen waren helfende Hände willkommen. Onkel Hans hatte bereits eine benzinbetriebene Mähmaschine, die mich als Bub faszinierte. Die Maschine wie auch der Heuwagen wurden aber noch von Pferden gezogen. Meine Aufgabe war es, im tragbaren «Bremen-Kessel» mit Feuer und morschem Holz möglichst viel Rauch zu erzeugen, um die riesigen Insekten von den Pferden fernzuhalten. Auch für den Nachschub an kühlen Getränken war ich zuständig. Es gab Zuckerwasser mit einem Schuss Schnaps, was auch mir schmeckte…
Das Bild knipste meine Mutter wohl ungefähr 1947 oder 1948 mit ihrem kleinen schwarzen Kästchen. Ob mein Ritt heute noch als tiergerecht gälte? Mir scheint, dem Säuli war das frische grüne Gras wichtiger als sein Reiter. Fotos wie dieses und Geschichten von früher interessieren mich mehr, je älter ich werde. Heute bedaure ich, nicht mehr gefragt und notiert zu haben.
Später machte ich die kaufmännische Lehre bei Konsum in Spiez und zog nach der Ausbildung nach Genf. Obwohl mir die Grossstadt gefiel, zügelte ich wegen Wohnungsmangels mit meiner Familie zurück in die Deutschschweiz. Meine frühere Wohngemeinde wählte mich schliesslich zum Gemeindeschreiber. Eine Ausbildung dazu gab es damals noch nicht, aber ich konnte sie später nachholen. Vierzig Jahre blieb ich im Amt.
Spannend an diesem Beruf sind die vielen Lebensbereiche, mit denen man zu tun hat – zum Beispiel Einwohnerkontrolle, Steuern, Soziales, Infrastruktur, Ortspolizei, Bauwesen oder Kulturelles. Das Gemeindegebiet, so gross wie der Kanton Basel-Stadt, umfasst sieben Dörfer und Weiler, wo gute persönliche Kenntnisse das Verwalten erleichtern. Als Gemeindeschreiber ist man exponiert, was nicht allen behagt. Nach den Bürozeiten fanden abends oft Sitzungen mit dem Gemeinderat und den Kommissionen statt.
Heute lebe ich im Simmental und im Worblental bei meiner Partnerin. Ich singe immer noch im Gemischten Chor Erlenbach, um am Dorfleben teilzuhaben. Wie schon früher als Ausgleich zum Bürojob bewege ich mich viel und gern an der frischen Luft.
In der Corona-Zeit musste ich oft an unsere Familiengeschichte denken: Mein Grossvater starb 1918 an der Spanischen Grippe und hinterliess meine Grossmutter in Erwartung mit dem sechsten Kind. Sie führte den Hof weiter, damals ganz ohne staatliche Unterstützung. Dies habe ich kürzlich für meine vier Enkelinnen und Enkel aufgeschrieben. Ich möchte ihnen zeigen, dass es damals wie heute schwierige Zeiten gab – und dass es mit positivem Denken und grossem Einsatz gelingt, eine lebenswerte Zukunft aufzubauen.
Aufgezeichnet von Annegret Honegger
Korrektur Ass b 1.1.1974 arbeitete ich
in Riggisberg nicht 1.1.21
Lieber Peter
Ich. habe Deine Jugenerlebnisse gelesen und sehr intetessant gefunden.
Kannst Du Dich noch an mich erinnern?
Wir haben den 1.Gemeindeschreiber-Kurs in Bern in den 70 er Jahren während 3 Jahren besucht!
Ich arbeitete damals in Zweisimmen
Eineohnerkontrolle AHV und ab 1..1.21
als Gemeindekassier in Riggisberg.
Lebt Klaus Kunz von Därstetten och?
Ich würde mich freuen von Dir etwas zu hören und gebe Dir meine e-mail-Adresse an hansueli.haldi@gmx.ch
liebe Grüsse aus Riggisberg Hansueli