Schöne Dinge am Lebensende

Ein Bett mit einem Baldachin, autobiografische Sterbeliteratur oder Interviews mit todkranken Menschen: Die Ausstellung «Sterben gestalten» im Berner Generationenhaus wirft noch bis zum 29. April 2023 einen neuen Blick auf die letzte Lebensphase.

Text: Usch Vollenwyder, Fotos: David Jäggi/ ZHdK

Über einem Bügel hängt ein schwarz-rotes Kleid mit kurzen, weiten Ärmeln. In seiner Funktionstüchtigkeit gleicht es einem klassischen Spitalhemd mit offener Rückenpartie, aber Material, Farbe und Ästhetik verwandeln es in ein schönes, persönliches Kleidungsstück. In einem Gestell daneben liegen Grusskarten mit guten Gedanken für den letzten Lebensweg, wenn Besserungswünsche sinnlos geworden sind. Die Wutmutpuppe, zwei miteinander verknotete Bambustücher, ist eine Alternative zum Kuscheltier und thematisiert das Wechselspiel zwischen Mut und Wut von Betroffenen und Angehörigen am Sterbebett.

Die Designerin Bitten Stetter, Professorin an der Zürcher Hochschule für Künste, entwirft Objekte für kranke und sterbende Menschen: Schnabeltassen aus schönem Porzellan anstelle der billigen Plastikbecher zum Beispiel, wiederverwertbare Mundstäbchen aus weicher Wolle und leichtem Baumwollstoff statt der üblichen Stäbchen, die an einen kratzigen Küchenschwamm erinnern. Zu Bitten Stetters Arbeiten gehören auch ein Handyhalter am Handgriff über dem Bett, eine Stabkerzen-Halterung fürs Bettende oder die faltbare Bettbox für persönliche Dinge, wenn der Nachttisch nicht mehr erreichbar oder von pflegerischen Hilfsmitteln besetzt ist.

Die Ausstellung «Sterben gestalten» im Berner Generationenhaus zeigt Ergebnisse des Forschungsprojekts «Sterbesettings – eine interdisziplinäre Perspektive 2020–2023». In dieser Nationalfondstudie werfen Forschende aus den Bereichen Kultur, Religion, Pflege und Design einen neuen Blick auf das Lebensende. Denn auch beim Sterben findet ein Kulturwandel statt: Kirchliche Traditionen verlieren ihre Bedeutung, neue Abschiedsformen sind gefragt, persönliche Rituale werden wichtiger. In Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Palliative Care des Stadtspitals Waid in Zürich werden deshalb neue Kommunikations- und Pflegematerialien erprobt, welche das Wohlbefinden Sterbender verbessern sollen.

Die Ausstellung ist kostenlos und umfasst sieben Themenfelder – von «Produkten für die Lebensreise» bis hin zu künstlerischen Videoinstallationen. Wer sich Zeit nimmt und sich auf die Ausstellungsgegenstände und Bilder, die Interviews und autobiografischen Sterbebücher einlässt, kommt bald ins Nachdenken und Grübeln – auch über sein eigenes Lebensende. Dabei muss jeder und jede für sich selber herausfinden, wie weit er sich überhaupt damit befassen und den eigenen Abschied schon zu Lebzeiten planen und organisieren will. In einer Zeit, in der sich die einst vorgegeben Strukturen mit Bestatter oder Bestatterin, mit Aufbahrung, Kirche, Friedhof und Leichenmahl immer mehr auflösen, wird alles möglich: Auch der letzte Lebensabschnitt ist gestaltbar geworden.

Weitere Informationen

  • Öffnungszeiten (noch bis zum 29. April 2023): Montag bis Freitag 7.30 Uhr bis 18.00 Uhr, Samstag 9.00 Uhr bis 17.00 Uhr
  • Führungen durch die Ausstellung: Samstag, 15., 22. und 29. April 2023 jeweils um 14.00 Uhr
  • Berner Vernissage «Ein letztes Buch» mit der Schriftstellerin Ruth Schweikert: Dienstag, 18. April 2023, 18.00 Uhr
  • Gastvortrag Pro Senectute «Ageing: Letzte Übergänge gestalten» von Prof. Bitten Stetter: Freitag, 21. April 2023 15.15 Uhr, Raum 028
  • Adresse: Berner Generationenhaus, Bahnhofplatz 2, 3011 Bern, www.begh.ch
  • Internet: sterbesettings.ch

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Beitrag vom 14.04.2023
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