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«Demenz trifft uns mitten ins Herz»

Für die SRF-Sendung «Mona mittendrin» hat Mona Vetsch ein Pflegeheim für Menschen mit Demenz besucht. Im Interview erzählt sie, was sie dabei beeindruckt, bewegt, aber auch gefreut hat.

Interview: Fabian Rottmeier

Sie haben schon viele verschiedene Orte und Berufswelten gesehen: Wo würden Sie Ihren Besuch im Sonnweid, dem Pflegeheim für Menschen mit Demenz in Wetzikon, einordnen?
Mona Vetsch: Ich werde oft auf meine Reisen an entfernte Orte angesprochen. Aber ich muss gestehen, dass ich in Neuseeland mit einem weit vertrauteren Gefühl angekommen bin als in Wetzikon. Das Demenzzentrum Sonnweid hat mir eine neue Welt eröffnet. Ich musste alles, was ich bisher über den Zugang zu Menschen wusste, vergessen.

Sie mussten quasi eine neue Sprache erlernen?
Genau. Ich war es bislang gewohnt, mein Ziel – ob bei der Arbeit fürs Radio oder fürs Fernsehen – mithilfe der Sprache zu erreichen. Sie ist mein Arbeitswerkzeug. In Wetzikon jedoch war die Sprache oft nutzlos – und ich fand mich auf wackligem Boden wieder. Ich kannte dies von früheren Sendungen und habe dabei gelernt, dass Unsicherheit auch ein Vorteil sein kann. Sie ist oft ein guter Zugang, denn sie ermöglicht es meinen Gesprächspartnern, mir ihre Welt zu erklären. 

Fühlte es sich auch befreiend an, nicht immer fragen zu können?
Ja, aber erst, als ich dies akzeptiert hatte. Anfänglich wurde ich nervös, denn normalerweise vermittelt man Erkenntnisse über eine gute Antwort. Bei Menschen mit Demenz geht es jedoch darum, ihnen nahe zu sein. Wichtig ist, dass man ihnen Zeit schenkt und für sie da ist – unabhängig davon, ob man von ihnen noch als Angehöriger erkannt wird oder nicht. Dabei habe ich auch mit mir selbst gehadert und mich gefragt: Gopf, muss jemand dement werden, bevor man sich getraut, ihn zu berühren?

«Es gibt gute Wege, mit diesem Schicksal umzugehen.»

Wie haben Sie versucht, die Betroffenen nicht in eine unangenehme Situation zu bringen?
Man lernt sehr schnell dazu. Gleich zu Beginn riet man mir, auf Wissensfragen zu verzichten. Sie führen bei Menschen mit einer Demenz zu nichts. Man sollte auch darauf verzichten, sie auf Fehler hinzuweisen. Dass ich Kinder habe, hat mir im Sonnweid bestimmt geholfen: Denn auch bei Menschen mit Demenz gilt es, sich auf ihre Welt einzulassen. Man erfreut sich an ihrer Fantasie und steigt auf einen Gedanken ein, statt ihn mit einem «Das ist doch Blödsinn!» abzuwürgen. So habe ich sehr viele berührende Momente erlebt. Eine eher schweigsame Frau sagte mir zum Beispiel, sie kenne mich aus der Sonntagsschule. Ich war zuerst etwas irritiert, antwortete dann jedoch, das könne gut sein, ich hätte früher die Sonntagsschule auch besucht, worauf sich ein Gespräch zu diesem Thema entwickelte, an dem sich mehrere Personen beteiligten. Wenn man mit jemandem etwas teilen kann, sei es auch nur ein Gespräch, fühlt man sich verstanden.

Sie gestehen zu Beginn der Sendung, dass Ihnen das Thema Angst macht. Was hat Ihr Besuch diesbezüglich bewirkt?
Die Erkrankung selbst macht mir immer noch grosse Angst. Ich habe gesehen, wie unbarmherzig sie verläuft. Sie ist nicht heilbar. Alles, was verloren geht, bleibt verloren – auch Erinnerungen und die eigene Persönlichkeit. Fast noch schlimmer ist es für die Angehörigen, die dabei hilflos zuschauen müssen. Sie verlieren einen Menschen, den sie lieben, Schritt für Schritt. Ich habe gelernt, dass es gute Wege gibt, mit diesem Schicksal umzugehen, sodass ein versöhnliches Abschiednehmen möglich wird. Die Mitarbeitenden in der Sonnweid überlegen sich genau, wen sie auf welche Art und Weise unterstützen können. Diese Atmosphäre und dieser Berufsethos haben mir imponiert.

«Bei Demenz ergibt nichts mehr Sinn.»

Was hat Sie am meisten beeindruckt?
Die Angehörigen. Ich durfte mit zwei Ehemännern sprechen, die beide seit über 50 Jahren mit ihren Partnerinnen verheiratet sind und diese über mehrere Jahre gepflegt haben. Der eine sagte, sie hätten zu Hause einen langsamen Rollenwechsel vollzogen. Es war für ihn selbstverständlich gewesen, für seine Frau zu sorgen. Heute besucht er sie in der Sonnweid. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht, wenn sie ihn kommen sieht … ein unglaublich berührender Moment. Diese bedingungslose Liebe und diese menschliche Stärke haben mich sehr bewegt. Die Frau des anderen Mannes kann nicht mehr sprechen. Es gehe alles nur noch übers Spüren, erzählte er mir, und meinte, er habe seine Frau nochmals neu kennengelernt.

Ist es die Verletzlichkeit dieser Menschen, die einem so nahe geht?
Eine schwierige Frage. Das Thema ist wohl auch deshalb so faszinierend, weil es uns im Zentrum des Menschseins berührt. Die Krankheit trifft uns mitten ins Herz, ins Bewusstsein. Dort, wo wir uns von anderen Spezies unterscheiden. Wir möchten bei allen Dingen, dass sie einen Sinn ergeben. Bei Demenz ergibt nichts mehr Sinn. Rationelles Denken hilft nicht weiter. Daran kann man auch verzweifeln.

SRF-Reporterin Mona Vetsch half drei Tage im Demenzpflegeheim Sonnweid aus.
Mona Vetsch mit drei Bewohnerinnen des «Sonnweid». © SRF

Was hat Sie überrascht?
Wie unterschiedlich sich eine Demenz zeigen kann. Die einen können die Krankheit in einem frühen Stadium noch beschreiben, andere kaum noch in ganzen Sätzen sprechen. Oft waren es die Bewohnenden, die mir einen Weg gezeigt haben, wie eine Interaktion funktionieren kann. Beispielsweise über Soldatenlieder, die jemand angestimmt hat. Mich hat auch überrascht, dass ich nie jemanden gesehen habe, der ausflippt, herumschreit oder ausfällig wird. Stattdessen sah ich Menschen, die mit sich im Reinen schienen. 

Können Sie ein Beispiel nennen?
Mit meinen gesunden Augen sah ich in einem Saal Menschen, die einfach zwei Stunden lang an einem Tisch sassen, und dachte mir: «Du meine Güte!». Das Fachpersonal erklärte mir, dass dies bloss für ein gesundes Gehirn langweilig sei. Mit einem dementen Gehirn hingegen verliere man jegliches Verständnis für Zeit. Man nimmt es dann eher als unangenehm wahr, wenn andere die ganze Zeit etwas von einem wollen. Das ist für Menschen mit Demenz sehr anstrengend. Dieselben Leute, die zwei Stunden lang herumsassen, gingen dafür abends in den Gängen hin und her, so lange sie wollten. Dass man dies zuliess, fand ich toll. Eine Angehörige erzählte mir, dass sie ihren Mann immer daran messe, wer er einmal gewesen sei. Die Betreuenden im Sonnweid hingegen würden ihn so akzeptieren, wie er heute ist. Ein schöner Gedanke.

«Ich kann nur erahnen, wie viel Energie es braucht, eine geliebte, an Demenz erkrankte Person zu Hause zu pflegen.»

Wie stark beschäftigt Sie die Sendung noch heute, zweieinhalb Monate nach den Dreharbeiten?
Ich denke häufig an die Menschen in Wetzikon und habe inzwischen auch Bücher zum Thema gelesen. Ich möchte sie möglichst bald wieder besuchen. Es war für mich eine angenehme Abwechslung, dass sich an diesem Ort niemand dafür interessierte, ob man mich aus dem Fernsehen kennt oder nicht. Ich war ganz einfach jemand, der helfen konnte, wenn etwas zu Boden gefallen war oder sie beim Spaziergang durch die Gänge begleiten konnte. Michael Schmieder, der Gründer der Sonnweid, sagte mir, Demenz sei eigentlich so etwas wie Anarchie. Regeln lösen sich dabei genauso auf wie der Status. Es spielt keine Rolle mehr, wer man ist. Alle werden reduziert auf das pure Menschsein.

Inwiefern hat sich Ihr Blick auf die Demenz verändert?
Ich habe meine Berührungsängste verloren. Man geht ein Thema offener an, wenn man schon einmal damit zu tun hatte. Zum Zweiten ist mir klar geworden, dass Demenz viel mehr als «bloss» Vergesslichwerden bedeutet. Die Krankheit verändert eine Person komplett. Betroffene gehen in einen neuen Zustand über, den niemand kennt. Nach wie vor kann ich nur erahnen, wie viel Energie es braucht, eine geliebte, an Demenz erkrankte Person zu Hause zu pflegen. Dies im Wissen, dass rund zwei Drittel der demenzkranken Menschen daheim leben …

«Mona mittendrin – bei Menschen mit Demenz» in voller Länge:

© SRF

«Mona mittendrin» auf SRF 1

Auch in der vierten Staffel der SRF-Sendung wagt sich Mona Vetsch wieder auf unbekanntes Terrain. Während es im Backpacker-Hotel eher locker zu und her geht, erlebt die 44-Jährige in einem Zürcher Pflegeheim für Menschen mit Demenz beklemmende, aber auch sehr berührende und menschliche Momente. Die erste Folge bei der Berufsfeuerwehr wurde bereits ausgestrahlt und ist weiter unten in voller Länge zu sehen. Mehr Infos zur Sendung gibt es hier: srf.ch/monamittendrin

Ausstrahlungstermine am Fernsehen:
Bei Menschen mit Demenz: SRF 1, 21. November, 21.05 Uhr
Im Backpacker-Hotel: SRF 1, 28. November, 21.05 Uhr
Bei der Hofschlachtung: SRF 1, 5. Dezember, 21.05 Uhr
Bei den Fahrlehrern: SRF 1, 12. Dezember, 21.05 Uhr

Bereits ausgestrahlt und hier als Video zu sehen: «Bei der Berufsfeuerwehr»

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Beitrag vom 19.11.2019
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