Granatapfel: Vom Mittelmass zum Superfood
Was ist aussen eins und innen eintausendundeins? Die Lösung des Rätsels aus alten osmanischen Zeiten: der Granatapfel.
Text: Gaby Labhart
Ganz so viele Kerne sind in der unvergleichlich köstlichen Frucht zwar nicht enthalten, aber ein paarmal Hundert sind es alleweil. Sie sind pralle Schönheiten, in ihrem tiefen Rot, traumhaft aromatisch, oszillierend zwischen seelenvoller Süsse und feiner Säure. Eine göttliche Frucht! So, und jetzt kommt das Aber. Diese Kerne nämlich klammern sich an ihr ledriges Gehäuse wie ein Äffchen an seine Mama. Sie sind kaum herauszukriegen und verwandeln Küchen in Schlachtfelder. Ihr Saft verfärbt ausserdem nicht nur die Hände, sondern kann auch auf Textilien hässliche, kaum mehr zu entfernende Flecken hinterlassen. Was tun?
Füllen Sie eine grosse Schüssel mit kaltem Wasser. Granatapfel anschneiden, sofort in die Schüssel tauchen und unter Wasser weiter aufbrechen und die Kerne auslösen. Nun sinken diese auf den Boden der Schüssel, Schale und die weisse Häutchen, in die sie eingehüllt sind, schwimmen an der Oberfläche. Wasser und Abfälle abgiessen, Kerne in der Schüssel sind zum Verzehr bereit.
Der Granatapfelbaum, Punica granatum, ist ein geborener Perser, aber schon in vorhistorischer Zeit über Indien und das Mittelmeer, um 150 v. Chr. dann auch nach China und um 1560 nach Amerika verbreitet worden, schreibt das Appetit-Lexikon. Bei den alten Römern war der Ruf der Samen nicht gerade grandios: Als «sauer, süss und mittelmässig» wurden sie beschrieben. Und im Mittelalter hatten die Orangenbäume dem Granatapfelbaum den Rang definitiv abgelaufen. An der Tafel Ferdinands I. von Österreich bildeten Zitronensaft und Granatkörnersaft den Ersatz für Essig. Eines aber war in allen Kulturen klar: So viele ins Fruchtfleisch eingebettete Samen – mehr Symbolik für Fruchtbarkeit war kaum mehr möglich.
Heute gelten Granatapfelkerne als «Superfood», und demgemäss ist ihre Karriere nicht mehr aufzuhalten. In Hollywood werden sie als «Anti-Aging-Frucht» gepriesen, und anscheinend sollen sie die Stars als Pausengetränk in rauen Mengen trinken. Ob man vom Genuss von Granatapfelsaft schöner oder jünger wird, ist nicht bewiesen. In den vergangenen Jahren haben sich jedoch diverse Studien ernsthaft mit den essbaren Edelsteinen beschäftigt und dabei nachgewiesen, dass der Saft Cholesterin und Blutdruck positiv beeinflusst und damit Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorbeugt. Ebenso positiv ist sein Einfluss bei Beschwerden in der Menopause. Der Granatapfel ist reich an Kalium, Vitamin C, Kalzium und Eisen.
Ein besonders interessanter Inhaltsstoff ist die Ellagsäure, die zu den antioxidativ, antiviral, antimikrobiell und antikarzinogen wirkenden Polyphenolen gehört und eine besonders hohe Schutzwirkung hat. Sie findet sich nur in relativ wenigen Obstarten wie Erdbeeren, Himbeeren, Brombeeren, Heidelbeeren, Trauben und Walnüssen – und gar nicht in Gemüse. Interessant ist die nach wie vor ungelöste Frage, weshalb der fermentierte Saft noch wirksamer ist als der frisch gepresste.
Zum Schluss doch noch etwas Küchenpraxis: Granatäpfel sind wochen-, ja sogar monatelang haltbar. Die ledrige Schale wird zwar mit der Zeit bräunlich, aber sie ist so undurchlässig, dass der saftige Inhalt vor dem Austrocknen lange geschützt bleibt.