«Ich kenne 30-Jährige, die sich wie 70-Jährige geben»
Die 28-jährige Samantha Zaugg liefert sich in den Zeitungen von CH Media einen erfrischend offenen und pointierten Briefwechsel mit dem 78-jährigen Philosophen und Publizisten Ludwig Hasler. Die Journalistin und Kunststudentin sagt, weshalb auch sie jeweils provozieren muss.
Interview: Fabian Rottmeier
Die beiden Welten, in denen Samantha Zaugg und Ludwig Hasler aufgewachsen sind, liegen 50 Jahre auseinander. Kein Wunder, sind sie sich oft uneinig, wenn sie über ein Thema diskutieren. In Form einer Zeitungskolumne schreiben sie sich seit Herbst 2020 wöchentlich Briefe, die inzwischen gesammelt im Buch «Jung & Alt» veröffentlicht wurden. Die Idee zu diesem Generationenaustausch kam aus der Redaktion von CH Media. Die beiden nehmen in ihren Texten kein Blatt vor den Mund und kratzen mit simplen Fragen nur vermeintlich an der Oberfläche. Weshalb backen alte Männer nicht? Darf man sich im Alter damit begnügen, es «schön zu haben»? Sollten junge Menschen den alten dankbar sein? Samantha Zaugg sagt im Gespräch, der Briefwechsel habe wohl auch deshalb funktioniert, weil sie sich nicht kannten – und somit auch nicht schonten.
Samantha Zaugg, wie gingen Sie die Aufgabe an, stellvertretend für junge Menschen zu schreiben?Ich nahm mir vor, auch andere Perspektiven aus meiner Generation einzubringen. Gewiss, auch junge Leute sind keine homogene Masse. Aber ich wollte meinen Blickwinkel als Studentin erweitern, indem ich beim Schreiben etwa an Lernende oder an Personen denke, die sich weder als Frau noch als Mann definieren. Ich fühle mich privilegiert, dass ich Themen, die mir wichtig sind, öffentlich adressieren kann – etwa Antirassismus, Feminismus oder psychische Gesundheit, über die meine Generation vermehrt offen und reflektiert spricht.
«Lieber Ludwig … Der Grund, weshalb wir nach Singularität, ich übersetze hier mit Einzigartigkeit, streben, ist: Weil wir es können. Wir sind die Generation der Möglichkeiten.»(Zitat aus «Jung & Alt»)
Ludwig Hasler beschrieb Sie als «auffällig selbstsicher». Ein Merkmal Ihres Charakters – oder vielmehr Ihrer Generation? Weder noch. Ich würde meine Generation nicht als besonders selbstsicher beschreiben. Meine Angriffslust hat damit zu tun, dass unsere Brieftexte kurz ausfallen. Deshalb muss ich prägnant schreiben, rasch auf den Punkt kommen und etwas auslösen. Die Textform bestimmt also meinen Tonfall. Die Kehrseite: Viele Leserinnen und Leser denken, ich sei als Person genau so, wie ich schreibe. An die kritischen und beleidigenden Reaktionen in Mails und Leserbriefen musste ich mich zuerst gewöhnen. Alte Männer lassen sich immer wieder etwas Neues einfallen. (lacht) Mittlerweile bin ich darauf gefasst.
«Lieber Ludwig … Ich habe das Gefühl, dass die Alten konstant besorgt sind. Aber einfach wegen den falschen Sachen … Ich mache mir auch Sorgen. Aber ganz andere. Weil die Alten so viel Auto fahren und reisen und Fleisch essen und Häuser haben und Zeug kaufen.»
Die Klimakrise war wiederholt Thema in Ihrem Austausch. Wird sie zum Solidaritätsproblem zwischen Jung und Alt? Ich denke schon. Ich hege keinen Groll gegenüber alten Menschen, aber ihre Ignoranz nervt schon. Viele beschäftigen sich nicht mit dem Klimawandel, obwohl sie wissen, wie ernst die Situation ist. Wir müssten rasch handeln – die Politik funktioniert aber sehr träge. Ein Dilemma. Ich glaube nicht, dass unser Parlament in dieser demografischen Zusammensetzung die Probleme rund ums Klima und die Digitalisierung lösen wird.
Auch das Konsumverhalten von Älteren kritisieren Sie. Ich habe festgestellt, dass Konsum bei der älteren Generation noch immer positiv bewertet ist. Er steht für Aufschwung. Lustig auch, wie irritiert meine Grossmutter darüber war, dass ich hie und da in Unverpackt-Läden einkaufe. Warum sich die Mühe machen, fragte sie sich. Und weshalb um Himmels willen soll man seine Wohnung mit Essig putzen? Das stinkt doch bloss.
Hat sich Ihr Bild über Ludwig Haslers Generation durch die Briefe verändert? Nicht wirklich. Die Leserkommentare haben meinen Eindruck eher bestätigt. Eine Erkenntnis daraus ist bestimmt, dass man nicht generalisieren sollte. Junge sind ebenso verschieden wie Alte. Ludwig und ich sind uns in vielem ähnlicher als manche Person meines Alters. Ich kenne 30-Jährige, die sich wie 70-Jährige geben.
«Lieber Ludwig … Du fragst, ob es heute noch richtige Alte gibt. Ja, die gibt’s. Ich erkenne sie daran, dass sie nur eine Sache auf einmal machen.»
Ist Alter noch immer etwas «Abstraktes» geblieben, wie Sie im Buch schreiben? Ja. Ich habe keine Ahnung, wie es sich anfühlen wird, alt zu sein. Das ist jedoch nichts Negatives. Es scheint mir normal zu sein, im Jetzt zu leben. Wenn ich mir schon heute den Kopf darüber zerbrechen würde, dass ich dereinst meine Joggingrunden aufgeben muss … Wofür ich ältere Menschen manchmal bewundere: Sie sind nicht so zerstreut und ruhelos unterwegs wie ich. Ich bin gespannt, ob im Alter gewisse Dinge von alleine ihre Wichtigkeit verlieren.
Haben Sie eine Idee davon, wie Sie alt werden möchten? Gerne würde ich offen und interessiert bleiben für Themen, die dann vielleicht an mir vorbeigegangen sind. Ich möchte definitiv nicht jemand werden, der nicht zuhört. Die Qualität des guten Zuhörens wird leider unterschätzt.
«Lieber Ludwig … Manchmal habe ich das Gefühl, ihr alten Leute habt zwar grosse Ohren, aber richtig gut zuhören könnt ihr trotzdem nicht.»
Samantha Zaugg und Ludwig Hasler: «Jung & Alt», Rüffer & Rub, Zürich, ca. CHF 26.–, ruefferundrub.ch
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