Gendersprache, Antirassismus-Regeln, all die neuen Apps und Geräte – wer kommt da noch mit? Wir auch nicht (immer). Doch das ist gar nicht so schlimm. Hauptsache, wir bleiben trotzdem offen und neugierig.
Kolumne von Claudia Senn, Zeitlupe-Redaktorin
Kürzlich hatte ich mal wieder einen meiner Die-Welt-ist-mir-zu-kompliziert-geworden-Momente. Ich freute mich über meine neuen Airpods. Das sind diese knopfartigen, weissen Minikopfhörer von Apple, mit denen man sogar beim Unkrautjäten, Wäscheaufhängen oder auf dem Hometrainer Musik hören kann. Unter Enkeln gelten sie als Must-have, aber auch Grosseltern kommen langsam auf den Geschmack. Der Klang war glasklar. Die Musik umhüllte mich wie ein molliger Klangmantel. Doch warum quatschte andauernd dieser nervige Typ dazwischen? Noch dazu in einer Sprache, die mir gänzlich unbekannt vorkam? War das etwa Gälisch? Ein Dialekt der Sami aus Lappland? Oder die sagenumwobene Kunstsprache Esperanto? Ich war vollkommen ratlos.
Schliesslich machte ich, was alle modernen Menschen tun: Ich googelte. So erfuhr ich, dass der Mann in meinem Ohr in Wirklichkeit Siri war, die elektronische Assistentin, die in jedem iPhone und Apple-Computer irgendwo ganz hinten links ein schummriges Besenkämmerchen bewohnt. Man befiehlt ihr: «Siri, spiel doch mal die 9. Sinfonie von Beethoven!», und schon huscht sie wie eine devote Sklavin aus ihrer Ecke und tut wie geheissen.
Ich bin gegen die Sklaverei. Ich spreche auch nicht gern mit Maschinen. Deshalb hatte ich Siri geflissentlich ignoriert. Doch nun war sie offenbar aus ihrem Dämmerschlaf erwacht und hatte beschlossen, mir jede eingehende E-Mail und SMS vorzulesen, sobald ich meine Kopfhörer in die Ohren steckte. Dumm nur, dass sie nicht sonderlich sprachbegabt ist. Meine in Deutsch verfassten Nachrichten hielt sie für englischsprachige und las sie auch so vor, mit «th» und genäseltem Aristokraten-Akzent wie die verstorbene Queen bei ihren Weihnachtsansprachen. Ach, Siri, kein Wunder, hatte ich das für Gälisch gehalten!
Die Sache mit den Geschlechtern
Es ist nicht nur die Technik, die mir mehr und mehr entgleitet. Auch sonst gibt es so vieles, das ich nicht mehr richtig verstehe. Einen netten Taxifahrer aus Eritrea darf ich zum Beispiel nicht mehr nach seiner Herkunft fragen. Das gilt jetzt als «Mikroaggression», obwohl ich doch bloss freundlich plaudern will. Auch die Sache mit den Geschlechtern wird langsam unübersichtlich. Kürzlich bat mich ein junger Nachbar, dessen rosa gefärbte Wuschelmähne ich bewunderte, ihn zukünftig nicht mehr als Mann anzusprechen und auch nicht als Frau, sondern als «nonbinäre Person mit den Pronomen xier und xiem». Seither passe ich auf wie ein Schiesshund, wenn ich mit ihm spreche, um bloss nichts falsch zu machen.
An schlechten Tagen ist mir das alles zu viel. Da will ich die Notbremse ziehen, damit die Welt endlich stehen bleibt und ich nicht ständig dazulernen muss wie in einem niemals endenden Volkshochschul-Kurs. All diese neuen Begriffe, die modernen gesellschaftlichen Regeln, die Gendersprache, die Apps und Geräte, mit denen man sich anfreunden soll! Andererseits: Wäre es wirklich besser, sich all dem zu verweigern? Ich mag meinen Nachbarn mit den rosa Haaren. Mich interessiert, was in ihm vorgeht, auch wenn ich die Sache mit dem «xier» und «xiem» nicht wirklich kapiere. Ich will keine Grossmutter sein, die ihre Enkel bloss noch mit grossen ratlosen Augen ansieht, wenn sie aus ihrem Leben erzählen. Ich möchte neugierig bleiben und mich als ein Teil der sich immer schneller drehenden Welt fühlen können, selbst wenn mich das manchmal überfordert. Dass ich nun weiss, wie man Siri zurück in ihr Besenkämmerchen schickt, ist ebenfalls ganz hilfreich.