© Stephan Schmitz

«Es braucht das offene Gespräch»

Heinz Rüegger ist Theologe, Ethiker und Gerontologe. Der ehemalige wissenschaftliche Mitarbeiter des Instituts Neumünster in Zollikerberg weiss um die schwierigen Fragen rund um eine Freitodbegleitung. 

Einen Angehörigen durch einen begleiteten Suizid zu verlieren, ist eine intensive Erfahrung. Wie kann man sich darauf vorbereiten?
Das Wichtigste ist das Gespräch. Menschen, die ihr Lebensende mit einer Sterbehilfeorganisation planen, müssen mit ihren engsten Angehörigen darüber reden und sie in ihre Überlegungen einbeziehen. Auch wenn nicht alle Beteiligten gleicher Meinung sind, ist das offene Gespräch für beide Seiten letztlich eine Erleichterung: Die Angehörigen können den Entscheid ihres sterbewilligen Nächsten besser verstehen und dieser weiss sich in seinem Entschluss von den Seinen getragen. 

Wie kann ein solches Gespräch gelingen?
Gerade wenn verschiedene Meinungen vorherrschen, braucht es oft mehrere Anläufe. Und genug Zeit und Geduld, denn auch die Angehörigen müssen den Prozess durchmachen, den die Betroffenen meist schon länger hinter sich haben. Solche Gespräche sind manchmal schwierig, aber aus meiner Sicht verlaufen sie in der Regel gut. Traumatisch kann sein, wenn nicht miteinander geredet wird: Weil Sterbewillige ihren Angehörigen das Gespräch nicht zumuten wollen und sie so zu schonen meinen. Oder weil Angehörige sich dem Gespräch verweigern, weil sie eine andere Meinung vertreten. Wer sich nie mit den Grundfragen des Lebens und Sterbens auseinandergesetzt hat, kann von einer solchen Situation überfordert sein. 

Ist es ein bestimmter Typ Mensch, der mit einer Sterbehilfeorganisation aus dem Leben geht?
Zum einen kann ein begleiteter Suizid eine Lösung sein für Menschen, die sich in einem langwierigen und schmerzhaften Krankheitsverlauf befinden. Oft sind es an Krebs erkrankte Patientinnen und Patienten, die vom Leiden zermürbt sind und es nicht mehr aushalten mögen. Oder Menschen, die an Mehrfacherkrankungen leiden und sich in ihrem Alltag zu sehr eingeschränkt fühlen. Dann gibt es auch solche, für die Autonomie und Selbstbestimmung ihr Leben lang höchste Priorität hatten. Sie wollen auch über ihr Lebensende selber entscheiden können. 

Wenn ich ein Lebensende mit Exit als Möglichkeit sehe und in ein Altersheim ziehe … … sollten Sie sich schon vor dem Eintritt erkundigen, ob begleiteter Suizid in seinen Räumen gestattet ist. Wenn nicht, kann es sein, dass Sie die Institution zum Sterben verlassen müssen. Die Nationale Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin NEK fordert, dass jedes Alters- und Pflegeheim seine Haltung zum begleiteten Suizid definiert und Bewohnerinnen und Bewohner darüber informiert. 

Ein oft gehörtes Argument meint, dass ein Freitod die Pflegenden sehr belasten kann. Was sagen Sie dazu?
Neben der Fürsorgepflicht gehört der Respekt vor der Patientenautonomie zum ethischen ABC in der Pflege. Pflegende müssen ihren Patientinnen und Patienten zugestehen, dass diese im Hinblick auf Medizin und Gesundheit, auf Leben und Sterben andere Entscheidungen treffen, als sie es vielleicht selber tun würden. Wer eine solche Haltung verinnerlicht hat, kann gut mit dem Freitod von Bewohnerinnen und Bewohnern umgehen. Das Gleiche gilt für Seelsorgende: Wenn jemand auf diesem letzten Weg ihren Beistand wünscht, ist er meines Erachtens zu gewähren. Das gehört zu ihren Aufgaben – unabhängig davon, welcher Meinung sie selber sind. Das heisst allerdings nicht, dass sie beim konkreten Vollzug dabei sein müssen. 

Wie ist es für die Mitbewohnerinnen und Mitbewohner?
Wer glaubt, dass Mitbewohnende mit einer solchen Situation überfordert sind, unterschätzt alte Menschen ganz gewaltig. Sie können mit Fragen von Leben und Tod in der Regel viel besser umgehen als jüngere. Sterben gehört in einem Alterszentrum zum Alltag. Da die Pflegenden an ihre Schweigepflicht gebunden sind, wird ein Freitod in einem Heim oft kein öffentliches Thema – ausser die sterbewillige Person will das, wie im Fall von Leni Altwegg. ❋ 

Heinz Rüegger (66), Dr. theol., Theologe, Ethiker und Gerontologe, ist seit seiner Pensionierung freiberuflich als Referent, Autor und Berater sowie als freier Mitarbeiter des Instituts Neumünster tätig. Er berät u.a. Alters-und Pflegeheime, die für ihre Institution eine Strategie im Umgang mit begleitetem Suizid ausarbeiten wollen. Heinz Rüegger hat drei erwachsene Kinder und lebt mit seiner Frau in Zollikerberg. www.heinzrueegger.ch

Beitrag vom 10.02.2020