Seit einigen Jahrzehnten kreisen wieder vielerorts Rotmilane am Himmel. Die prächtigen Greife waren einst stark dezimiert worden. Heute trägt die Schweiz als wichtiges Verbreitungsgebiet eine besondere Verantwortung für diese Tiere.
Text: Esther Wullschleger Schättin
Die eleganten Greifvögel mit den langen, schmalen Flügeln und dem gegabelten Schwanz bieten einen prächtigen Anblick. Ihre rötlichbraune Körperfarbe kontrastiert mit deutlichen weissen Flecken auf den Flügelunterseiten, während der Kopf hellgrau gestrichelt erscheint. Rotmilane sind auch stattliche Tiere, grösser als viele andere Greifvögel – mit Ausnahme von Adler und Bartgeier. Bis etwa 165 Zentimeter Flügelspannweite können die grössten Exemplare erreichen, wobei Weibchen ein wenig grösser werden als die sonst kaum zu unterscheidenden Männchen.
Die Rotmilane sind Suchflugjäger, mit scharfen Augen halten sie aus sicherer Höhe Ausschau nach Nahrung wie Kleintieren, die sie überwältigen können, oder auch toten Tieren am Strassenrand. Fast stundenlang können Greifvögel über einem Gebiet kreisen und segeln. Dabei erweisen sie sich als äusserst flinke Flieger und vollbringen elegante Wendungen, den langen Gabelschwanz zum Manövrieren wie ein Ruder neigend. Während der Suchflüge behalten sie fliegende Artgenossen stets im Auge und merken schnell, wenn einer in der Nähe am Boden landet. Ist das der Fall, fliegen sie ebenfalls herbei. Noch aus über einem Kilometer Entfernung können Rotmilane eintreffen, sodass sich bald grössere Ansammlungen an ergiebigen Nahrungsstellen bilden.
Rotmilane und Mäusebussarde sammeln sich oft auf frisch gemähten Wiesen oder umgepflügten Äckern, wo sie leichter Kleintiere wie Mäuse, Insekten oder Würmer aufspüren können. Der Mäusebussard wirkt dabei im Flug kompakter und weist breite Flügel auf. Im Gegensatz zum Rotmilan ist er ein Wartenjäger, hält also von einem Ansitz aus nach Beute Ausschau. So fällt er weniger auf, was manche Beobachter mutmassen lässt, dass der Rotmilan diesen wohlbekannten Vogel verdränge. Der Eindruck täuscht. Auch der ökologisch unterschiedlich lebende Mäusebussard zeigt eine zunehmende Bestandestendenz. Und mit bis zu 20000 Brutpaaren ist er noch fast fünfmal häufiger hierzulande als der Rotmilan.
Verfolgt und dezimiert
Kaum ein anderer Greifvogel hat derart augenfällige Populationsschwankungen durchlebt wie der in Europa beheimatete Rotmilan. Er war früher ein recht häufiger Bewohner im Siedlungsraum und Kulturland und kam in weiten Teilen der Schweiz, bis in die grösseren Alpentäler hinein, vor. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde er wie andere Greife verfolgt und stark dezimiert, sodass er aus weiten Gebieten der Schweiz verschwand und bald nur noch im Norden des Landes vorkam.
Durch Schutzmassnahmen erholten sich die Vorkommen langsam. Das Mittelland wurde im Lauf des späteren 20. Jahrhunderts mehr und mehr wiederbesiedelt. Der Trend hält weiter an, und von schweizweit 90 Brutpaaren im Jahr 1969 ist der Bestand auf heute ungefähr 3000 Brutpaare angewachsen. Mit diesem guten Bestand trägt die Schweiz eine besondere Verantwortung für den Rotmilan, denn in verschiedenen Gebieten Europas sind diese prächtigen Greifvögel weiterhin dezimiert oder grösseren Gefahren ausgesetzt.
Weit verbreiteter Vetter
Nah verwandt mit dem Rotmilan ist der etwas kleinere, dunkelbraune Schwarzmilan, der Lebensräume in Gewässernähe bevorzugt. Er ist extrem weit verbreitet und kommt in verschiedenen Unterarten von Europa und Afrika bis nach Asien und Australien vor. Vor allem in Asien leben die Schwarzmilane oft als wohlbekannte Abfallverwerter in der Nähe des Menschen. In Australien suchen Schwarzmilane – wie andere Greife auch – bei Feuerausbrüchen nach aufgescheuchter Beute. Die findigen Vögel wurden schon dabei gesehen, wie sie brennende Stecken aufhoben und an anderer Stelle fallen liessen und so weitere Feuer legten.
Normalerweise leben Rotmilane als Zugvögel und verlassen mitteleuropäische Gegenden im Herbst, um in Südfrankreich und auf der iberischen Halbinsel zu überwintern. Vor 50 Jahren zogen sie noch alle aus der Schweiz im Herbst in den Süden, doch zeigte sich, dass immer mehr von ihnen den Winter hier verbringen. Innert der letzten 15 Jahre konnten Vogelkundler bei Zählungen eine deutliche Zunahme von Rotmilanen auf den gemeinsam genutzten winterlichen Schlafbäumen feststellen, wo sich die Vögel jeweils in grosser Zahl sammeln. Die Rotmilane kommen mit den winterlichen Verhältnissen offenbar gut zurecht und finden auch dann genügend Nahrung in der Natur. Bei sehr heftigen Wintereinbrüchen und viel Schnee können sie jedoch auch in wärmere Gebiete ausweichen.
Ältere Vögel sind sesshafter
Im Rahmen eines umfangreichen Forschungsprojekts der Schweizerischen Vogelwarte zeigte sich, dass es vor allem ältere Tiere sind, die nicht mehr in den Süden ziehen. Rotmilane im ersten Lebensjahr wandern grösstenteils in den Süden. Die jungen Vögel streifen auch im Sommer weit umher, während die bejahrten dann einen Brutplatz besetzen und ihre Horste in recht grosser Höhe auf Bäumen angelegt haben.
Interessant ist die Eigenart der Milane, ihre Nester mit allerhand bunten Materialien auszuschmücken. Das taten sie schon vor Jahrhunderten – sie sollen dazu sogar Hüte von den Köpfen der Menschen geholt haben. In modernen Zeiten findet man Plastiktüten, Schnüre, Verpackungsmaterial, Papier und ähnliches in die Horste verbaut, in jüngster Zeit auch Atemschutzmasken. Die Bedeutung der farbigen Dekoration könnte darin liegen, Artgenossen in der Umgebung die Präsenz eines starken Revierinhabers zu signalisieren.
Die Zweitauflage eines Buches über den Rotmilan erscheint Anfang 2023: Adrian Aebischer, Patrick Scherler: «Der Rotmilan. Ein Greifvogel im Aufwind», Haupt Verlag.
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