
«Fritz Widmer war ein Liederat»
Martin Hauzenberger ist Historiker, Liedermacher, Buchautor und ehemaliger Zeitlupe-Redaktor. Vor kurzem erschien seine Biografie über Fritz Widmer, Berner Troubadour der ersten Stunde und enger Vertrauter des legendären Mani Matter.
Sie kannten den 2010 verstorbenen Fritz Widmer auch persönlich. Welche Erinnerungen haben Sie an ihn?
Wir jungen Musiker von damals haben die originalen Berner Troubadours sehr bewundert. Für uns waren sie die grossen Lieder-Götter. Fritz Widmer war derjenige der fünf Liedermacher – Mani Matter war sechs Tage nach meinem ersten öffentlichen Auftritt im November 1972 mit dem Auto tödlich verunfallt –, der mit offenen Armen und einem grossen Herzen auf uns Neulinge zukam. Er gab uns Tipps und bot uns bei seinen Auftritten eine Bühne. Danach teilte er seine Gage mit uns. Menschlichkeit, Hilfsbereitschaft und Grosszügigkeit waren seine Markenzeichen.
Warum haben Sie ausgerechnet über ihn eine Biografie geschrieben?
Fritz Widmer war der vielseitigste der Berner Troubadours. Er hat seine Lieder weiterentwickelt. Sie erzählten nicht mehr nur eine Geschichte mit einer Pointe, sondern regten zum Nachdenken an, gaben eine Stimmung wieder. Er übersetzte Chansons aus anderen Sprachen, als Englischlehrer vor allem aus dem Englischen und aus dem Schwedischen. Er schrieb drei Romane in Mundart und war bekannt für seine Sprachkolumnen. Wegen seines Gesamtwerks nenne ich ihn einen «Liederaten».
An wen richtet sich Ihr Buch?
Vor allem an Menschen über sechzig aus dem Bernbiet. Das Buch ist aber auch ein Zeitdokument: Es beschreibt die Berner Musikszene von anno dazumal, enthält Hinweise auf den politischen Zeitgeist und verweist damit auch auf die Stimmung, wie sie in den Sechziger- und Siebzigerjahren in unserem Land herrschte. Das Buch richtet sich deshalb auch an jüngere Menschen und an Leserinnen und Leser ausserhalb der Berner Szene, die sich für diese Zeit interessieren.

Wie hat sich die Mundart-Szene seither verändert?
Sie ist viel breiter und offener geworden! Früher gab es nur die Liedermacher, danach kamen der Mundart-Rock, Mundart-Pop, Mundart-Punk oder auch Rap, Spoken Word und Poetry-Slam. Polo Hofer, Büne Huber oder Kuno Lauener – sie alle haben sich auf ihre Art an Mani Matter orientiert. Doch auch die heutigen Jungen, Steff la Cheffe zum Beispiel oder Guy Krneta, kennen Mani Matter und haben ihn schon in der Schule gesungen. Heute gibt es nicht nur mehr Liedermacher, sondern auch viele Liedermacherinnen.
Und am Anfang dieser Entwicklung standen die Berner Troubadours?
Mundart-Lieder gab es schon vorher. Man denke nur ans «Träumli» von den Boss-Buben oder an die «Kleine Niederdorfoper». Neu war das ACI-Prinzip «auteur-compositeur-interprète»: Text, Musik und Interpretation stammen von der gleichen Person. Wer auf der Bühne stand, hat das Lied auch selber getextet und komponiert. Dieses ACI-Prinzip kam aus Frankreich und entwickelte sich von Bern aus über die ganze Schweiz. Schon ab Mitte der Siebzigerjahre war es überall bekannt: Aernschd Born aus Basel, Walther Lietha aus Chur oder der Zürcher Toni Vescoli traten alle mit eigenen Mundart-Liedern auf.
Warum begann die Bewegung in Bern?
Das war nicht nur Zufall. Im Gegensatz zu anderen Städten gab es in Bern eine grosse Anzahl von Keller-Theatern. Diese kleinen Bühnen boten jungen Musikerinnen und Musikern viele Auftrittsmöglichkeiten. Heute gibt es diese Szene in der ganzen Schweiz. Gute Mundart-Musik lässt sich in jedem Dialekt machen.
❱ Buch: Martin Hauzenberger: Der Berner Troubadour aus dem Emmental. Fritz Widmer. Biografie. Zytglogge Verlag, Basel 2021, 239 S., ca. CHF 34.–.