Die Scharfstoffe des I­ngwers ­wirken als Turbo für ­unser Wohl­befinden.© mauritius images

Scharf auf Ingwer

Die exotische Wurzel ist stark in Mode: in der Küche, aber auch in der Naturheilkunde. Denn Ingwer kann viele Leiden lindern und unser Immunsystem stählen. 

Text: Roland Grüter

Zwei, drei Schlucke – und das Halsweh ist weg. Solche Hoffnungen knüpfen viele Menschen an sogenannte Ginger-Shots, wie sie mittlerweile in den Auslagen der meisten Grosshändler zu finden sind. Dabei handelt es sich um konzentrierte Ingwer-Extrakte, die in kleinen Fläschchen für teures Geld angeboten werden. Produzenten preisen sie als «Wunderwaffe gegen Erkältungen» und als «Vitaminbombe» an und schrammen mit solchen Bezeichnungen die Grenze zur Illegalität. Denn genau genommen dürfen keine Heilsversprechen an Lebensmittel geknüpft werden – also auch nicht an Ginger-Shots. 60 Milliliter des «Zaubersaftes» kosten zwischen 2.50 und 5.90 Franken, das entspricht -einem Literpreis von 41 bis 98 Franken. 

Die Erwartungen, die an die «Kurzen» (Shots) gestellt werden, sind zwar kühn, ganz von der Hand zu weisen sind sie jedoch nicht. «Denn die Wirkung von Ingwer ist in der Naturheilkunde seit Jahrtausenden unbestritten», sagt Nelly Richina, Leiterin der Zürcher Berg-Apotheke. Sie ist eine ausgewiesene Expertin der Naturmedizin. In ihrer spezialisierten Apotheke finden sich über 2000 Heilkräuter: «Ob als Saft, Tablette, Tee, Öl oder Wickel, ob getrocknet, frisch oder gemahlen: Die Wirkstoffe der Pflanze, die vor allem in den Tropen wächst, sind gut erforscht.» Deren Wurzelteil, das sogenannte Rhizom, enthält unzählige Wirkstoffe und zur Hauptsache ein ätherisches Öl, das aus über 150 Komponenten besteht. 

Vor allem die Scharfstoffe des Ingwers, die Gingerole, wirken als Turbo fürs Wohlbefinden. Wie diverse Studien zeigen, helfen sie gegen Übelkeit, bringen die Verdauung auf Touren, fördern den Appetit, lindern Schmerzen (etwa bei Rheuma) und stärken unsere Abwehrkräfte. Nelly Richina: «Denn Ingwer macht unsere Zellen widerstandsfähig gegen freie Radikale und damit gegen oxidativen Stress – der Körper ist weniger anfällig für Viren, Pilze und Bakterien aller Art. Er kurbelt auch den Kreislauf an, wirkt fiebersenkend und macht die Symptome von Heiserkeit und Schnupfen erträglicher.» 

Kreuzwirkungen mit anderen Medikamenten sind fast keine bekannt. Einzig Menschen mit schweren Magen- oder Darmerkrankungen sollten auf die Kraft der Exotin verzichten. Und jene, die Schärfe schlecht vertragen. 

Wunder kann Ingwer jedoch keine bewirken, auch wenn die Produzenten der Ginger-Shots dies in ihrer Werbung suggerieren. Models, Schauspielerinnen und Internet-Sternchen trugen die Konzentrate als Erste ins Rampenlicht – und lancierten damit einen Trend, der mittlerweile auch die Schweiz erreicht hat. Ginger-Fans trinken das gelbe Power-Elixier zum Frühstück, so als könnten sie damit alle Nachlässigkeiten eines umtriebigen Lebens hinunterspülen. «Das funktioniert auf die Schnelle natürlich nicht», sagt Nelly Richina: «Ingwer unterstützt zwar die Abwehrkraft unseres Körpers – diese ist aber trotzdem auf genügend Schlaf und gesunde Ernährung angewiesen.» 

Gibt es Alternativen zu den scharfen Ginger-Shots? «Durchaus», sagt Nelly Richina. «Die einfachste: regelmässig Gerichte mit Ingwer essen.» Im Handel sind überdies Teemischungen zu finden, die ebenfalls Ingwer enthalten, aber weit bekömmlicher sind als die modernen Konzentrate. Nelly -Richina: «Es hat sich bewährt, zwei bis drei Mal täglich eine Tasse frisch zubereiteten Ingwer-Tee zu trinken.» 

Wer trotzdem auf die Power der Ginger-Shots setzen will, ohne viel Geld zu zahlen: Das entsprechende Extrakt lässt sich ohne grösseren Aufwand selber herstellen. Ingwer schälen, mixen, die dreifache Menge von Apfel- und Zitronensaft sowie etwas Honig untermischen. Fertig. Das Konsumentenmagazin «Beobachter» hat berechnet, wie viel 60 Milliliter kosten: 20 Rappen.

Milde Sorten

Obwohl die Wirkkraft des Ingwers unbestritten ist, vertragen viele Menschen dessen Schärfe schlecht. Eine Übersicht jener Pflanzen,
die dieselbe Wirkung zeigen, aber verträglicher sind:

Entzündungshemmende Kräuter: Teufelskralle (bei Rheuma),
Kurkuma, Weihrauch

Kräuter gegen Erkältungen: Pelargonium sidoides (Geranie gegen Atemwegserkrankungen), Kapuzinerkresse, Echinacea

Schmerzlindernde Kräuter: Mutterkraut (bei Migräne),
Pestwurz, Weidenrinde

Kräuter bei Verdauungsbeschwerden: Galgant, Verveine
und Mischungen aus Kümmel, Anis und Fenchel.

Mehr Infos und Beratung: www.berg-apotheke.ch, Tel. 044 241 10 50

Beitrag vom 15.10.2019