Restaurants in der Schweiz verfügen über verschiedene soziale Konzepte, die zur Integration von Menschen mit besonderen Bedürfnissen beitragen. Hier eine Auswahl.
Text: Marc Bodmer
In der Arbeitswelt wieder Fuss zu fassen, ist für sozial Benachteiligte oder Menschen mit besonderen Bedürfnissen alles andere als einfach. Von den Versicherungen werden sie aber angehalten, genau das zu tun. Dieser Herausforderung begegnen karitative Organisationen und Stiftungen unter anderem mit Gastronomielokalen, in denen man vom ersten Tag an mitarbeiten kann. Der Einstieg ist niederschwellig, bedarf in der Regel keiner besonderen Kenntnisse oder Schulungen. Dies hat den Vorteil, dass die Mitarbeitenden schnell (kleine) Erfolgserlebnisse verbuchen können und so motiviert weitermachen.
Vor diesem Hintergrund hat beispielsweise Caritas das Restaurantkonzept «Bon Lieu» entwickelt, bei dem attraktive Gastronomie und soziale Verantwortung miteinander kombiniert werden. Es kann gut sein, dass Sie, liebe Leserin, lieber Leser, schon an einem dieser Orte gespeist haben, denn diese Lokale finden sich in der deutsch- wie auch in der französischsprachigen Schweiz.
Ein solcher «Bon Lieu» ist das Restaurant Limmathof in Zürich. Es präsentiert sich modern-urban in Grau- und Weisstönen. Im Sommer kann man draussen sitzen und vorbeifahrenden Trams zuschauen, während man eines der saisonalen Gerichte geniesst.
«Danke für den Kaffee»
Das Besondere am Limmathof: Das sympathische Restaurant ist nicht nur ein «Bon Lieu» der Caritas, sondern auch ein Gastronomiebetrieb der Stiftung Arbeitskette. Im Raum Zürich hat sich diese karitative Organisation darauf spezialisiert, Arbeitsplätze für Menschen mit Leistungseinschränkungen anzubieten. Dabei liegt der Fokus auf dem (Wieder-)Einstieg in die Arbeitswelt, genauer gesagt den ersten Arbeitsmarkt, bei dem es keine begleitenden Massnahmen mehr gibt.
Diesen wichtigen Schritt schaffen dank eines aufwendigen Konzepts erfreulicherweise rund 60 Prozent der Menschen mit Leistungseinschränkungen: In den gepflegten Restaurants der Arbeitskette kommen in leitenden Positionen Gastro-Profis zum Einsatz, die von Fachpersonen aus dem psychosozialen Bereich unterstützt werden. Die Arbeitsplätze und Lehrstellen sind Menschen mit psychischen oder körperlichen Einschränkungen mit IV-Leistungen vorbehalten, die im Rahmen eines Förderplans trainiert und betreut werden.
Die Reintegration in den Arbeitsmarkt steht aber nicht überall im Vordergrund, sondern auch geselliges Beisammensein: «Die Gäste bezahlen im Restaurant nicht nur ihren, sondern auch einen weiteren Kaffee», sagt Nicolas Fux, Pressesprecher von Surprise. Rund 120 Lokale bieten Cafés Surprises – wie sie seit zehn Jahren in der Schweiz bekannt sind – an. Auf einer Tafel ist ersichtlich, ob ein «Gratis-Kaffee» erhältlich ist. «Ein Ausweis wird dafür nicht benötigt», sagt Nicolas Fux. Das wäre auch nicht zielführend, denn: «Viele Menschen versuchen, ihre Armut zu verstecken, weil sie sich schämen.» Da braucht es nicht noch weitere Hürden.
Der Café Surprise ist übrigens die lokale Variante des sogenannten «cafè sospeso», eines «ausgeschobenen» Kaffees. Die Tradition fasste vor rund 100 Jahren in Neapel (Italien) Fuss, und noch heute bedanken sich ältere Taxifahrer oder Kellner für ein Trinkgeld mit den Worten «Grazie per il caffè».
«Das Kochen und das Teilen einer Mahlzeit ist ein Akt der Liebe und eine Form des kulturellen Ausdrucks.»
Einen Ansatz, der über das Karitative hinausgeht, verfolgt die Genfer Stiftung «Mater» von Walter el Nagar. Der Spitzenkoch strebt einen eigentlichen Kulturwandel an. Auf seinen Stationen in renommierten Lokalen hat er sich schwergetan mit der Verschwendung von Esswaren. «Essen ist die Schnittstelle des Wandels», ist der Gastronom überzeugt. «Essen ist zentral für das Menschsein. Es geht aber nicht nur um Ernährung, sondern um Gemeinschaft, Liebe und kulturelle Identität.» Seine Mutter hat ihm eingeflösst, dass Kochen und Teilen einer Mahlzeit ein Akt der Liebe und eine Form des kulturellen Ausdrucks sind.
«Die Stiftung Mater und das dazugehörende Restaurant Refettorio in Genf nutzt denn auch die Macht des Essens, um komplexe Herausforderungen wie Lebensmittelverschwendung, Obdachlosigkeit und Einsamkeit anzugehen», erklärt Walter el Nagar. «Wir verarbeiten überschüssige Lebensmittel in köstliche Mahlzeiten, die Menschen aus verschiedenen sozialen Schichten miteinander verbinden.» So werden über Mittag zwei Menüs serviert.
Der Umsatz aus dem Mittagsservice unterstützt das Abendessen, das Bedürftigen kostenlos serviert wird. «Die zahlenden Gäste machen so aus jedem Mittagessen einen Akt der Solidarität und helfen der Gemeinschaft.»
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