
Familie im Gefängnis
Mit ihren Geschwistern unternahm Bertha Schenker-Müller aus Dietikon ZH gerne Skiwanderungen. Die 82-Jährige wuchs an einem ungewöhnlichen Ort auf: im Luzerner Frauengefängnis.
Ich bin im «Wybersedel» aufgewachsen, dem damaligen Luzerner Frauen gefängnis am Rotsee. Mein Vater bewirtschaftete dort den Bauernhof mit 65 Jucharten Land. Meine Mutter war die gute Seele des Hauses. Beide waren sehr begabt im Umgang mit Menschen und Tieren. Etwa fünfzig Personen gehörten zu unserem Haushalt, der für mich wie eine grosse Familie war. Es wurde viel gearbeitet, aber auch viel gemeinsam gelacht, gespielt und gesungen. Der Umgang untereinander war eine Lebensschule, der ich viel verdanke.
Von gut situierten Bekannten aus der Stadt erhielten wir Kinder oft Kleider und Spielsachen. Grosse Freude hatten wir an den vier Paar Skis: Was für ein Luxus! Oft packten Frieda, Hans, Johanna und ich frühmorgens unsere Rucksäcke mit belegten Broten und gingen Skiwandern. Wir stiegen auf die tiefverschneiten Hügel in der Umgebung und sausten herunter, so gut es eben ging. Skifahren hatten wir ja nie richtig gelernt … Heute kann ich kaum glauben, dass uns nie etwas passierte, so allein unterwegs den ganzen Tag.
Familie im Gefängnis Mit ihren Geschwistern unternahm Bertha Schenker-Müller aus Dietikon ZH gerne Skiwanderungen. Die 82-Jährige wuchs an einem ungewöhnlichen Ort auf: im Luzerner Frauengefängnis. Auch sonst hatte mein Schutzengel viel zu tun. Ich war ein wildes Kind und spielte oft Streiche. Den Frauen legte ich Mäuse und Blindschleichen in die Schürzentasche oder in den Nähsaal. Am liebsten lenkte ich beim Heuen das mächtige Ochsengespann, obwohl mir dies strengstens verboten war. Dass ich dafür die Rute bekam, schmerzte mich weniger als meinen Vater. Meine Kindheit war ein Paradies, an das ich oft dankbar zurückdenke. Damals wie auch in meiner eigenen Familie durfte ich viel Liebe erfahren – sie ist das Wichtigste auf der Welt.