Wo viele weiche Knie bekommen, blüht Kari Schmid auf. Der schwindelerregende Ausserberger Wanderweg der Suone Niwärch ist seine Welt – der Walliser pflegt ihn mit Herz und Kreativität.
Text: Fabian Rottmeier
Kari Schmid schaut zu seiner Welt auf 1200 Metern. Zu seinen 29 Geissen, 3 Katzen, 5 Eseln, den paar Hühnern und seinem Hund. Seit vielen Jahren lüegt er auch zur Suone Niwärch, einer dieser alten Walliser Bewässerungskanäle, die heute historisches Kulturgut sind. Der wohl spektakulärste aller Walliser Suonen-Wanderwege beginnt unmittelbar vor seiner Chalet-Wohnung, eine Stunde zu Fuss oberhalb von Ausserberg. Entlang des 640 Jahre alten Bewässerungskanals führt ein 45-minütiger, schwindelerregender Wegabschnitt. Was für viele ein Wagnis bedeutet, ist für Kari Schmid ein alltäglicher Hundespaziergang. Border-Collie «Boy» läuft mit, als wäre er nicht schon einmal heftig das felsige Gelände embrigitrolut. An diesem heissen Sommertag kühlt er sich häufig in der Wasserleite ab, wie Einheimische die Suonen nennen. Sein Besitzer hat ihm gar ein «Hundebad» (inklusive Beschriftung) in den Kanal gebaut.
Es ist nur eines von vielen Werken des 69-Jährigen entlang der Niwärch. Da ein kleines Bänkli oder eine Steinplatte als Rastmöglichkeit, dort ein Zauntörchen, um seine Geissen im Tal zu halten. An Felswänden hat er Kletterseile als Handlauf befestigt. Natürlich nicht, ohne das Seil teilweise mit einer Holzhülle vor den Felskanten zu schützen. Ein Riss könnte fatale Folgen haben. Die Talseite fällt senkrecht ab. Der Weg macht demütig, so steil, aber auch schön sind die Wände und Berge im Baltschiedertal.
Ausserberg ist stolz auf sein Kulturgut
Ausserberg – oberhalb von Visp – ist bekannt für seinen Suonen. 40 Kilometer sind es total. Es ist das zweite Jahr, dass Kari Schmid in offizieller Funktion der Gemeinde als Niwärch-Suonenwächter wirkt. Seine wichtigste Aufgabe: sicherstellen, dass das Wasser fliesst. Dafür hat er in regelmässigen Abständen selbstgebaute Wasserrechen aus Holz, die er täglich säubert, quer in die Suonenkanäle gesteckt. Sein zweiter Fokus gilt dem «Gangwerk». Mit seinem handlichen Gartenrechen schiebt er alles, was nicht dort liegen sollte (Steine, Gräser, Ästchen), vorsichtig das Tobel hinunter (nein, es hat keine weiteren Wege unterhalb). Hie und da zeigt er auf eine Stelle, die wegbrechen könnte. «Hier muss der Kari eppis machu », sagt er.
Er – und viele Freiwillige, wie er betont – unterhalten die exponierte Etappe, obwohl die «Niwärch» seit 1972 auch durch einen parallel verlaufenden und begehbaren Stollen ins Dorf weiterführt. Viele Walliser Suonen werden immer noch dazu benutzt, Wiesen und Rebberge zu bewässern. Kari Schmid sagt, der Weg würde ohne das Wasser wegen der Erosion bald unbegehbar.
Er kennt die Suone schon ein Leben lang – und erzählt, wie er mit seinen acht Bauerngeschwistern im Wasser gespielt hat oder wie seine Mutter in ihrer Kindheit auf der anderen Talseite mit Kühen der schmalen Gorperi-Suone entlangging. «Heute kaum zu glauben.» Dann gehts weiter, denn: Boy langweilt sich und bellt dann wie üblich drauflos. «Ein paar Flausen hat er», sagt Kari Schmid, der alleine mit seinem Hund lebt. Eine Familie hat er nicht. «Das passt so.» Der gelernte Zimmermann hatte sich mit 41 Jahren als Landwirt selbstständig gemacht – und züchtete fortan Tiere, vor allem Schwarzhalsgeissen, aber auch Eringerkühe.
Der introvertierte Erzähler
Kari Schmid ist auch ein Geschichtenerzähler. «Ich dachte immer, ich sei ein introvertierter Mensch, aber man sagt mir das Gegenteil nach.» Eine Wegstelle erinnert ihn an eine Begegnung mit einem besonders flinken Steinbock, eine andere an eine abgestürzte Kuh oder ein tödliches Arbeitsunglück. Es komme aber selten zu Unfällen. «Und schau, hier suhlen sich im Herbst die Hirsche.»
Wer den anspruchsvollsten Teil der Wanderung überstanden hat, wird mit einem prächtigen Panorama belohnt. Der Baltschiederbach tost. Kari Schmid ist am oberen Ende der Suone angelangt. Der Beginn der Niwärch ist derzeit wegen eines Lawinenschadens unromantisch: ein langes Plastikrohr leitet das Wasser notdürftig ab. Der Suonenwächter setzt sich bei einer Alphütte zufrieden auf eine Bank, taucht seine Bierdose zur Kühlung in einen Quellbrunnen, während Boy Wichtigeres zu tun hat. Er markiert das Gebiet – und macht auch vor dem mannshohen Jesuskreuz nicht halt. ❋
Suonen-Wanderwebsite: les-bisses-du-valais.ch, Buchtipp: «Wandern an sagenhaften Suonen», Rotten Edition, Visp, CHF 35.– erhältlich auf suone.ch
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