Seit ihrer Kindheit ist Barbara Sulzer vom Leben auf den Bergweiden fasziniert. Zusammen mit der IG Alp initiierte sie das Alpofon: die Hotline mit einem offenen Ohr und einer helfenden Hand für Älplerinnen und Älpler.
Text: Jessica Prinz
Das Empfinden und Zusammenleben, die Farben und Gerüche: Alles wirkt auf der Alp intensiver», schwärmt Barbara Sulzer. «Je höher oben ich bin, desto sensitiver ist meine Wahrnehmung. Vielleicht auch, weil das Leben dort so ein Chrampf ist.» Mehrere Sommer lang führte die heute 60-jährige Landwirtin die Kühe auf die Hochweide und dorthin, wo das Gras am besten nachgewachsen war. Sie pflegte und molk sie, konnte anhand der Milchmenge sofort ablesen, ob die Wiesen noch genug Futter für sie hergaben. «Das ist wirklich faszinierend!»
Schon als Kind wusste die gebürtige Zürcher Unterländerin, dass sie einmal z’Alp will. Damals, in den Ferien im Glarnerland, entstand ihre grosse Liebe zu den Bergen und Kühen. Noch während des Landwirtschaftsstudiums schnupperte sie erste Alpluft: im strömenden Regen oberhalb von Linthal. «Da dachte ich mir: Wenn es mir zwei Wochen im ‹Schiff› gefällt, schaffe ich das auch eine Saison lang.» Aus einem Sommer wurden acht, aus der Begeisterung wurde Leidenschaft.
Mit Gleichgesinnten gründete Barbara Sulzer die «Interessensgemeinschaft Alp», die sich für den Erhalt der Alpen als Arbeitsplatz einsetzt. Bald entstand dort auch die Idee des Alpofons: ein Sorgentelefon für Älplerinnen und Älpler. Vier Ehrenamtliche wechseln sich mittlerweile von Juni bis September an der Hotline ab und beraten die Anrufenden in den unterschiedlichsten Fragen rund um die Alpwirtschaft, aber auch bei Liebeskummer, Problemen mit der Lohnfortzahlung und der zeitaufwendigen Suche nach Personal.
Über die Gründe der Personalausfälle führt Barbara Sulzer genau Statistik. Die Hälfte erfolge wegen Krankheiten und Unfällen, sagt sie. In den steilen Hängen oder beim oft stressigen Zusammentreiben des Viehs rutsche man schnell aus, breche sich das Bein oder den Arm. «Zudem gibt es immer wieder Leute, die keinerlei Erfahrung mitbringen», erzählt die erprobte Älplerin leicht schmunzelnd. Manchmal treten diese sogar nur in Turnschuhen die Alpstelle an. «Manche torkeln zudem ganz komisch im Gebirge, was auch bei Kühen oder Rindern vorkommt, die zuvor immer nur auf dem Ebenen gelaufen sind», ergänzt sie. «Im Laufe der Zeit lernen sie aber, wie man sich in den Bergen richtig fortbewegt.»
Oft fallen die Leute auch aus, weil sie körperlich oder psychisch überfordert sind, Heimweh oder Herzschmerz haben. Oder wegen Konflikten, die das intensive Zusammenleben und Arbeiten mit sich bringt. «Ich höre immer wieder von Personen, die in die heilsame Natur entfliehen wollen, im Glauben, dass dort die Welt noch in Ordnung ist. Manche meinen, die Probleme blieben im Tal und seien damit gelöst. Aber man nimmt sie mit – genauso wie den Charakter, den man hat», weiss Barbara Sulzer. Sie ist dennoch überzeugt: «Ein Sommer auf der Alp tut allen gut, ob Bauer oder Bürogummi, ob jung oder reich an Jahren. Solange man körperlich in einer guten Verfassung ist, ist man nie zu alt dafür.»
Sehnsucht nach den Bergen
Die zweifache Mutter bleibt mittlerweile selbst meist im Tal auf ihrem Hobby-Betrieb. Von ihren Erfahrungen erzählt sie in der Stube des alten Glarnerhauses in Mollis, das sie zusammen mit ihrem Mann bewohnt. Es ist das Hauptquartier der IG Alp und ihr Zuhause. Draussen grasen ihre Milchschafe. Das Alpofon hat die gelernte Bäuerin diesen Sommer schweren Herzens an andere delegiert: Eine Krankheit, die ihr zu schaffen machte, und der zusätzliche Druck, ständig erreichbar sein zu müssen, zwangen sie, ihr Amt nach über 20 Jahren abzugeben. Trotzdem stöbert sie immer mal wieder durch die Telefon- und Anmeldelisten, auf denen sämtliche Fälle und interessierte Alparbeiterinnen und -arbeiter penibel erfasst werden. Sie will wissen, was auf den Alpen vor sich geht.
Die Sehnsucht nach der Arbeit in den Bergen wird in der Wahlglarnerin nie erlöschen. «Die Alpwirtschaft ist eine alte Tradition, mit der eine reichhaltige Kultur verbunden ist», erklärt sie. Es handle sich um weit mehr als nur eine Futtererweiterung für die Tiere. Sie schaffe im Tal Platz für Ackerland, auf dem Getreide, Gemüse, Kartoffeln und vieles mehr angebaut werden könne. Auch veredelten die Tiere das würzige Gras zu wertvollen Nahrungsmitteln wie Milch und Fleisch. Würde man die Bergweiden nicht nutzen, könnte das hohe Gras in steilen Bergflanken im Winter mancherorts zur perfekten Rutschbahn für Lawinen werden. Zudem förderten die Alpen die Biodiversität. «Ich könnte noch viele Gründe aufzählen, die für sie sprechen», sagt Sulzer fast demütig. «Es ist das grosse Ganze, das diesen einzigartigen Mikrokosmos ausmacht. Die Alp ist wichtig, auch für uns, die hier unten im Tal leben.»
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