© Kostas Maros

«Die Tiere erkennen uns – auch Fische»

Vor 150 Jahren wurde der erste Tierpark der Schweiz eröffnet – der Zolli in Basel. Für Direktor Olivier Pagan eine Erfolgsgeschichte. Diese setzt der 61-Jährige fort, obwohl seine Amtszeit bald zu Ende geht.

Interview: Marco Hirt, Fotos: Kostas Maros

Es ist hundertjährig, im Denkmal­inventar geführt, aber doch ganz ­modern: das renovierte Vogelhaus im Zoo Basel. Direktor Olivier Pagan steht mitten im erneuerten Innenraum der 2023 eröffneten Freiflughalle mit seiner südostasiatischen Pflanzenwelt. Hier tummeln sich ­Vogelarten mit fantasievollen Namen wie Veilchenorganist, Rotschnabel-Sonnenvogel und Schillerglanzstar. Herrlich, ihrem bunten Gesang zu lauschen! «Könnten wir nur die Tonkulisse zu den Bildern mitliefern», meint der 61-Jährige zum Fotografen.

Am 3. Juli feiert der Zoo Basel seinen 150. Geburtstag. Welchen Wert hat dieses Jubiläum für den Zolli, wie er vor Ort liebevoll genannt wird?
Es ist nebst der beeindruckenden Zahl auch ein grosser Leistungsausweis. Trotz der enormen Entwicklung gibt es den Zolli nach wie vor. Er hat es geschafft, eine Bildungs­institution und eine kulturelle Einrichtung zu bleiben. Und auch fortschrittlich zu sein, ist er doch ein Spiegelbild der Gesellschaft mit den sich verändernden Sichtweisen.

«Ein solcher Geburtstag soll auch fürs Morgen stehen.»

Wie ist es für Sie als Direktor, Teil der Feierlichkeiten zu sein?
Es bedeutet mir sehr viel. Einerseits ist es mein zweites Jubiläum, das ich aktiv miterleben und mitgestalten darf – beim 125. Geburtstag war ich hier als Tierarzt tätig. Anderseits ­sehen wir nun das Resultat einer ­intensiven Zeit, die vor zweieinhalb Jahren anfing, als wir mit der ­Planung der Aktivitäten starteten.

Was war Ihnen dabei wichtig?
Es soll mehr als nur ein Bier- und Wurstfest sein. Klar, am 3. Juli feiern wir den Geburtstag, wie es sich gehört – und der Eintrittspreis ist gleich wie 1874, 50 Rappen plus ein Naturschutzfranken, Kinder sind gratis. Zum Angebot gehören eine Zeitreise mit historischen Aspekten wie auch ein Audiowalk mit Geschichten von Menschen, die mit dem Zoo verbunden sind. Oder Tierpflegende erzählen täglich vor Ort aus ihrem Alltag. Unsere Jubiläumswebsite informiert über das ganze Programm.

Zoodirektor Olivier Pagan
© Kostas Maros

Mit einer Erweiterung macht sich der Zoo auch selbst ein Geschenk.
Ein solcher Geburtstag soll auch fürs Morgen stehen, um dem Publikum eine Perspektive zu geben – bis hin zum 175. Geburtstag. Der Zoo wird grösser, wie wir kürzlich bekannt­gaben; die letzte Erweiterung war vor über 60 Jahren. Im Herbst informieren wir konkret.

Wie beginnt ein Arbeitstag als Zoo-Direktor? Mit einem Rundgang zu «Ihren» Tieren?
Eine etwas gar romantische Vorstellung! (Er schmunzelt.) Wenn ich von einem kranken Tier weiss oder mir etwas anschauen soll, dann geht mein Weg zuerst zu dieser Station. Ansonsten fängt mein Arbeitstag klassisch an – ich checke meine Mails. Darauf folgen Teamsitzung, Rapporte der Tierpfleger, Besprechungen und auch mal Führungen. Routine spüre ich seit über 30 Jahren nicht.

Sie haben es erwähnt: Bevor Sie 2002 Direktor wurden, waren Sie ab 1993 als Tierarzt im Einsatz. Wie sahen da Ihre Aufgaben aus?
Als Zoo-Tierarzt steht die Gesund­erhaltung des Tierbestands im Vordergrund. Wichtig sind Präventivmassnahmen wie Parasitenbekämpfung und Impfungen, bedeutend ist aber auch die Ernährung, die u. a. zur Vorbeugung von Erkrankungen dient. So braucht es Menüpläne – für die Seegurke wie für den Elefanten. Zudem ist das Beherrschen des Anästhesierens ein Muss, da ein Seelöwe oder ein Gorilla nur im schlafenden Zustand behandelt werden kann.

Zoodirektor Olivier Pagan
© Kostas Maros

Haben die Tiere da zum Teil speziell auf Sie reagiert?
Oh ja. Gerade Affen haben schnell ­gemerkt, dass der Mann mit dem Blasrohr nicht ihr Freund ist. Sie haben mich nicht positiv gesehen, obwohl ich ihnen geholfen habe. Aber allgemein ist es schon so: Unsere Tiere erkennen uns – auch Fische ihre Pfleger. Und je höher entwickelt das Tier ist, desto stärker ist die ­Wiedererkennung.

Inwieweit hat sich der Zoo von ­damals, als Sie hier angefangen ­haben, verändert?
Zum einen haben wir uns komplett von der einstigen Idee des Sammlungsprinzips entfernt und zeigen etwa nicht mehr möglichst viele Raubtierarten. Zum anderen wurden an vielen Orten naturnahe Themen- und Gemeinschaftsanlagen geschaffen. Die Didaktik wurde verstärkt, zu sehen an den neuen  Digitalschildern im Vivarium mit umfassenderen Angaben. Zudem verknüpfen wir lehrreiche Informationen mit den Tieren, wie bei den Löwen über den Nahrungskreislauf.

Was aber nichts an der Einstellung der Tierschützer ändert, die einen Zoo nicht zeitgemäss finden?
Das ist so. Es gibt jene, die uns angreifen, aber kein reelles Bild vom heutigen Zoo haben und auch keinen Augenschein nehmen wollen, wie es jetzt ist. Es gibt aber auch Organi­sationen, die Kritik üben und durchaus mit uns den Dialog suchen.

«In der Wildnis ausgestorbenen Tierarten kommen bei uns noch vor.»

Argumentiert wird, dass Tiere im Zoo leiden, das Tierwohl nicht gewährleistet ist?
Das ist ein Frontalangriff auf unsere Professionalität. Unsere Tierpflegenden, Kuratoren und Tierärzte sind Profis in der Haltung – und wer könnte es besser als sie wissen, wie gut es den Tieren geht. Sie sind unter ihrer Beobachtung, deren Wohlergehen wird anhand von Körperbeschaffenheit, Kondition und Verhalten laufend überprüft.

Was wäre, wenn es keine Tierparks mehr geben würde?
Die IUCN, die Internationale Union zur Bewahrung der Natur, hat letzthin ein Positionspapier veröffentlicht. Sie anerkennt darin den bedeutenden Beitrag, den Zoos für den Arten- und Naturschutz leisten. Eine Botschaft, über die ich sehr froh bin. In der Wildnis ausgestorbene Tierarten kommen nur dank uns noch vor. Und sind wie die Socorrotaube hier im ­Vogelhaus überhaupt noch erlebbar.

In vier Jahren werden Sie pensioniert. Beschäftigt Sie das bereits?
Ja. Etwas wehmütig realisiere ich, dass ich in der Planung und Entwicklung des Zoos zwar noch stark in­volviert bin, aber bei der Realisation nicht mehr dabei sein werde. Aber nach intensiven Jahren ist es irgendwann auch an der Zeit, zu gehen und sich Neuem zuzuwenden.

Haben Sie schon Pläne?
Meine Frau Nathalie wird etwa zur selben Zeit pensioniert. Uns zieht es wieder aufs Meer. Vor knapp 25 Jahren haben wir einen trans­­atlantischen Segeltörn unternommen. Nun reizt uns der Pazifik. Ich habe meiner Schwester, die in Tasmanien lebt, einmal versprochen, sie auf dem Seeweg zu besuchen. Das machen wir mit unserer eigenen, 15 Meter langen «Nussschale».

© Kostas Maros

Zur Person

  • Geboren am 2. Februar 1963, aufgewachsen erst in Dübendorf, ab dem dritten Lebensjahr in der Westschweiz.

  • Ging in Neuenburg zur Schule, machte dort auch die Matura und studierte darauf in Bern Veterinärmedizin und schloss mit dem Eidgenössischen Tierarzt-Diplom ab.
  • Danach u. a. als Leiter der Abteilung Zootier Pathologie an der Universität Bern tätig, ab 1993 als Tierarzt im Zoo Basel, seit April 2002 auch dessen Direktor.
  • Verheiratet mit Nathalie Zwahlen, lebt in Münchenstein BL. Hobbys: Segeln, Sport und Musik.

Welche Sie derzeit bauen?
Das Segelschiff ist bereits gebaut. Wir müssen es aber auf Vordermann bringen, da es 30-jährig ist. Es geht unter anderem um Renovations­arbeiten und Anpassungen. Die Kenntnisse für den Bau hatten wir uns bei der Vorbereitung zum ersten Törn angeeignet.

Ihre Frau arbeitet auch als Tierärztin. Hat Sie das Veterinärmedizin-­Studium zusammengeführt?
Nein, sie hat damit begonnen, als ich fertig war. Sie hatte sich von meiner Begeisterung inspirieren lassen. Wir kennen uns schon viel länger – seit 40 Jahren. Und haben vor etwas mehr als 30 Jahren geheiratet.

Was war der Auslöser, dass Sie Tierarzt wurden?
Ich war als Bub ein grosser Reptilienfan und besass auch ein Terrarium mit Schlangen und Echsen. Mich ­beschäftigte, wie das Innenleben ­dieser Tiere aussieht. Ich habe auch verletzte Vögel zu retten versucht. Da wuchs der Wunsch in mir, Tierarzt zu werden. Ich war etwa acht Jahre alt.

Zoobesuche gehörten sicher auch zu Ihrer Kindheit.
Oh ja, wir waren gern und oft im Zolli Basel. Speziell erinnere ich mich ans Elefantenreiten, das es seit 1992 aber nicht mehr gibt.

Wie endet für Sie ein guter Zoo-Tag?
Im besten Fall mit einem positiven Erlebnis – zum Beispiel einem Zuchterfolg. Dann setze ich mich aufs Velo, fahre heim nach Münchenstein und lüfte in den 20 Minuten den Kopf durch.

Ein Tier zumindest erwartet Sie dann auch daheim – Ihr Hund.
Ja, ein Beauceron, eine französische Rasse. Meine Frau und ich sind beide mit Hunden aufgewachsen und ­geniessen es, einen Vierbeiner zu haben. Lässig ist zudem, dass Nougat mich auch auf meinen Joggingtouren begleitet.

Kommt er auch mit auf den Segeltörn?
Nein. Erstens ist er nicht mehr der Jüngste, und zweitens ist der Lebensraum «Schiff auf hoher See» nicht unbedingt für einen grösseren Hund geeignet.

Streifzug durch den Zolli – gestern und heute

Nachhaltig

Eintauchen in die etwas andere Welt mitten in einer Grossstadt: Dazu lädt zum 150. Geburtstag
das Buch «Zoo Basel – Die Stadt-Oase neu entdecken» ein, das nach hohen ökologischen Aspekten produziert wurde. Auf den über 250 Seiten mit 157 meist farbigen Abbildungen erwartet die Leserin und den Leser ein umfassender Rundgang durch den Zolli.

Nostalgisch

Das Autorenteam Jennifer Degen und Lukas Meili führt an 40 Orte und blickt in diesen 40 Kapiteln auf die beliebte Institution. Die beiden haben Tierpflegende bei der Arbeit begleitet, thematisieren historisch denkwürdige Momente, beleuchten die Rolle des Zoos im Naturschutz und lassen auch Besuchende mit ihren schönsten Zolli-Erinnerungen zu Wort kommen.

Giraffen 1947 bei ihrer Ankunft in Basel.

Ein Grossteil der Tiere wurde bis Mitte der 60er-Jahre aus der Natur geholt – wie diese Giraffen 1947 bei ihrer Ankunft im Zug in Basel. © Hans Bertolf

Nahbar

Zahlreiche neue Tieraufnahmen und Fotos veranschaulichen den Zoo und seinen Alltag in Gehegen, Vivarien, Technikräumen und Werkstätten. Historische Bilder erinnern auch an unrühmliche Zeiten, als während der sogenannten «Völkerschauen» Menschen u. a. aus Afrika vorgeführt wurden. Oder auch aufsehenerregende Momente wie 1959: Da war Goma der erste in einem europäischen Zoo geborene Gorilla, der in der Familie von Zoodirektor Ernst Lang von Hand aufgezogen wurde.

Elefantenreiten im Zoo Basel

Das Elefantenreiten war eine bei Kindern einst sehr beliebte Attraktion. Seit 1992 wird auf diese Form der Unterhaltung verzichtet. © Paul Steinemann

 

 

Buchcover: Zoo Basel

Das Jubiläumsbuch «Zoo Basel» ist im Christoph Merian Verlag erschienen (CHF 49.–).

Umfassende Infos rund um den Zoo Basel, die Geschichte und das Jubiläum: zoobasel.ch / jubilaeum.zoobasel.ch

Beitrag vom 11.06.2024