© Sonja Ruckstuhl

«Der Tod ist kein Schreckgespenst für mich»

Dem prallen Leben ist Katja Früh aber auch nicht abgeneigt! Die Drehbuchautorin und Regisseurin über die Hochs und Tiefs mit ihrem alkoholkranken Vater Kurt Früh, Sex in den Siebzigern, Sternstunden und Versagensängste – und den perfekten Abgang von der Bühne des Lebens, den sie sich mit einem Drogentrip versüssen will.

Interview: Claudia Senn; Fotos: Sonja Rucktuhl

Katja Früh ist keine jener Prominenten, die man auf der Strasse erkennt, doch wenn ihre Werke genannt werden, ist jedem sofort klar, wer sie ist: Von ihr stammen Meilensteine der Schweizer Fernsehunterhaltung wie etwa die Serie «Lüthi und Blanc», sie schrieb Hörspiel-Reihen wie den «Memo Treff» sowie unzählige Theaterstücke, bei denen sie auch Regie führte. Zudem ist Katja Früh die Tochter eines Mannes, der hierzulande wie eine Art Nationalregisseur verehrt wurde: des Filmemachers Kurt Früh. Als junge Frau ging sie einst ins Ausland, um dort endlich ein eigener Mensch zu sein statt immer bloss «die Tochter von». Doch heute spricht sie ebenso versöhnlich wie schonungslos über ihren berühmten Vater, der die ganze Familie mit seiner Trinkerei terrorisierte.

Wir treffen die 69-Jährige in ihrer unprätentiösen Wohnung voller Erinnerungsstücke im Zürcher Kreis drei. Ihr Mann Hans Bärenbold, früher Bundeshaus-Korrespondent beim Fernsehen SRF, serviert Kaffee. Je intimer die Fragen werden, desto mehr Spass scheint ihr das Interview zu machen. Hauptsache, sie kann dabei rauchen, «denn ich bin ja leider schwerstabhängig, und das wird sich wohl auch nicht mehr ändern».

Katja Früh, gab es so etwas wie ein Grundgefühl, das sich durch Ihre Kindheitsjahre zog?
Ich hatte eine glückliche und sehr farbige Kindheit, über der jedoch stets ein dunkler Schatten schwebte. Was mir gefiel, war der Trubel. Ständig kamen Freunde zu Besuch, Feste wurden gefeiert, es ging fröhlich und turbulent zu und her. Doch mein Vater war Alkoholiker. Man wusste nie: Hat er heute ein Hoch und ist lustig und überbordend? Oder ein Tief, und ich muss Angst vor ihm haben?

Ein Vater, der trinkt, ist unberechenbar.
Total. Alles ist brüchig, es gibt keine Zuverlässigkeit. Wenn er getrunken hatte, war ich voller Panik, er könnte in mein Zimmer kommen, mit diesen glasigen Augen und der verwaschenen Stimme, mit der er mich für alles Mögliche beschimpfte. Wenn er gar nicht nach Hause kam, schickte meine Mutter mich manchmal los, um ihn zu suchen. Er war wie ein Fixstern, um den die ganze Familie kreiste. Wir alle machten seine Achterbahnfahrten mit.

Haben Sie schon als Kind begriffen, dass Ihr Vater alkoholkrank war?
Das lag offen auf dem Tisch, es war kein Tabu. Irgendwann ging er zu den Anonymen Alkoholikern und trank sieben Jahre lang nichts. Das waren wichtige Jahre, vor und während meiner Pubertät. In dieser Zeit hatten wir es auch wahnsinnig lustig.

Erzählen Sie.
Einmal im Jahr spielten wir «Eltern sind Trottel». Dann musste er uns gehorchen, und wir durften mit ihm machen, was wir wollten, ihn verkleiden, schminken, herumkommandieren. Von Erziehung im klassischen Sinne konnte bei ihm keine Rede sein, er verachtete alles Pädagogische. Stattdessen dachte er sich ganz viel Blödsinn für uns aus. Dafür liebte ich ihn. Wenn Geld auf dem Konto war, sagte er: Los, wir fahren nach Venedig! Dieses Spontane, Verschwenderische, der unbedingte Wille, aus dem Leben möglichst viel herauszuholen, war grossartig. Allerdings verschwendete er das Geld auch, wenn gar keins da war.

Ihr Vater war ein berühmter Regisseur, der von vielen Menschen verehrt wurde. Haben Sie manchmal das Bedürfnis, dieses gloriose Bild zurechtzurücken? 
Nur, wenn man mich explizit danach fragt. Ich finde es schön, wenn man Fan von ihm ist, seine Filme gefallen mir ja selbst. Aber es war nicht einfach, mit einer solchen Persönlichkeit zu leben.

Wie hat Ihre Mutter Sie geprägt?
Sie war ein kühlerer Typ, stellte hohe moralische Ansprüche an uns. Erst spät in meinem Leben habe ich begriffen, dass vieles, was sie mir mitgegeben hat, überhaupt nicht zu mir passt. Ihre Art von Lebenstapferkeit, von Disziplin und Sparsamkeit, hatte etwas Kaltes und Hartes. Oft predigte sie Dinge, die sie selbst nicht einhielt, zum Beispiel den Vegetarismus – Fleisch ass sie trotzdem. Sie wusste alles besser und war in vielem sehr rigide. Doch sie war auch eine originelle Person, die sich gegen Autoritäten auflehnte und uns beibrachte, nicht vor anderen zu kuschen.

Interviewbild mit Katja Früh. Sie trägt eine dunkle Bluse mit weissen Muster und eine schwarze Brille.
© Sonja Ruckstuhl

In Künstlerhaushalten bleibt für Kinder manchmal wenig Raum, weil die Kunst für die Eltern an erster Stelle kommt. War das in Ihrer Familie auch so?
Nein, mein Vater hat sich sehr um mich gekümmert, weil er in mir etwas sah, das ihn spiegelte. Ich war das Papa-Kind. Für meine Schwester hingegen interessierte er sich kaum, darunter hat sie sehr gelitten. Wir mussten keinen Erfolg in der Schule haben, doch wir hatten quasi die Pflicht, künstlerisch begabt zu sein. Das hat uns unter Druck gesetzt.

Die Kunst stand also doch über allem?
Jedenfalls war es für meine Eltern so, dass nur Künstlerinnen und Künstler, und unter ihnen vor allem die Theaterschaffenden, wertvolle Menschen waren. Die anderen zählten nicht. Als meine Schwester den Wunsch äusserte, Krankenschwester zu werden, lachte mein Vater sie bloss aus.

Waren Sie ein aufmüpfiger Teenager?
Ja. Meine Schwester war die Brave, ich die Rebellische, so war unsere Rollenverteilung. Ich hielt mich an keinerlei Regeln, geriet früh in die Kreise von Revoluzzern, jungen Künstlern und Intellektuellen. Allerdings bekam ich von meinen Eltern nicht so viel Widerstand, wie ich gerne gehabt hätte, sie waren ja ebenfalls politisch links. Wenn ich auf eine Demo ging und «Ho Ho Ho Chi Minh!» rief, fand mein Vater das super. In Wirklichkeit wusste ich damals nicht einmal, wer dieser vietnamesische Revolutionär überhaupt war.

Viele Frauen aus der 68er-Bewegung sagen, die sexuelle Befreiung sei im Nachhinein völlig überschätzt und verklärt worden. Empfinden Sie das auch so?
Für mich war diese Zeit schwierig, weil ich so jung war und mithalten wollte. Ich hörte nicht auf meine Bedürfnisse. Man wollte sich damals um jeden Preis modern geben, offen und auf keinen Fall prüde. Wenn ein Mann bloss höflich zu mir war, dachte ich schon, ich muss mit ihm ins Bett, ich war total freizügig. So schlitterte ich von Affäre zu Affäre, viele davon verliefen unglücklich. Seelisch hat mich das vollkommen überfordert.

Mit 19 Jahren begannen Sie mit der Ausbildung zur Schauspielerin in Berlin. Hatten Sie bei Ihrer Berufswahl das Gefühl, den Erwartungen der Eltern gerecht werden zu müssen?
Ganz bestimmt. Es war jedoch auch eine Art Protestakt, denn diese Laufbahn war eigentlich für meine Schwester vorgesehen. Sie galt als schauspielerisches Wunderkind und war sehr hübsch, viel hübscher als ich. Ich sollte mich eher der Malerei und dem Zeichnen widmen, weshalb man mich erst auf die Kunstgewerbeschule geschickt hatte. Dabei wollte ich auch auf die Bühne! Als Kind spürt man, was bei den Eltern wirklich zählt.

Ihre Eltern waren mit Ihrer Berufswahl also glücklich. Doch erfüllte die Schauspielerei auch Ihre eigenen Erwartungen? 
Sie war nicht so toll, wie ich gedacht hatte. Mit 16 hatte ich als Mädchen für alles beim Theater am Neumarkt gejobbt. Das war paradiesisch! Es gab dort nächtelange Diskussionen, Feste und Gelächter. Als junges Küken war ich voll integriert. Daran habe ich alle kommenden Theatererfahrungen gemessen. In Wuppertal und Hannover, wo ich nach der Schauspielschule engagiert wurde, war der Theaterbetrieb hingegen in Routinen erstarrt. Ich fühlte mich so allein, dass ich den Beruf schliesslich aufgab.

«Wenn ich nicht kreativ bin, denke ich sofort, ich sei nichts wert.»

Welches war Ihr Plan B?
Erst einmal jobbte ich auf der Sihlpost und sortierte Briefe. Später tat sich dann die Möglichkeit auf, als Stagiaire zum Radio zu gehen und dort Hörspiele zu inszenieren. Das war der Beginn meiner Karriere als Drehbuch-Autorin und Regisseurin.

Heute gehören Sie zu den profiliertesten Autorinnen der Schweiz, haben unzählige Theaterstücke und Fernsehserien wie «Lüthi und Blanc» geschrieben. Gehören Sie zu jenen Menschen, die ihren Erfolg geniessen können, oder denken Sie insgeheim, dass Sie bloss überschätzt werden und die anderen das zweifelsohne auch bald merken?
Eindeutig das Zweite. Ich schreibe ja seit langer Zeit eine Kolumne im «Magazin». Vor jeder einzelnen habe ich das Gefühl, dass ich diesmal scheitern werde. Es nützt auch nichts, dass ich schon unzählige solche Texte geschrieben habe. Jedes Mal denke ich: Das waren bloss Zufallstreffer, da habe ich eben Glück gehabt, diesmal komme ich nicht davon. Idiotisch, ich weiss.

Lassen Sie uns noch auf eine andere Art von Erfolg zu sprechen kommen: Mit Ihrem Mann Hans Bärenbold sind Sie schon seit 35 Jahren verheiratet. Eine so beständige Partnerschaft gelingt nicht jedem, Chapeau!
Ja, das ist schön. Wir hatten aber auch unsere schwierigen Zeiten. Als ich Anfang fünfzig war, haben wir uns für ein Jahr getrennt und kamen dann wieder zusammen. Seither hat sich vieles zum Guten verändert. Wir haben nun mehr Respekt und Rücksichtnahme füreinander, mehr Liebe und Zärtlichkeit, einen vollständigeren Blick auf den anderen.

Wie haben Sie es geschafft, aus den alten Mustern auszubrechen? Hat Ihnen eine Paartherapie geholfen?
In Therapie waren wir tatsächlich, aber einzeln, nicht als Paar. Im Prinzip ging es darum, Freunde zu werden, wirkliche Freunde.

Teil einer Filmfamilie

Katja Früh (69) ist die Tochter des Regisseurs Kurt Früh («Hinter den sieben Gleisen», «Dällebach Kari») und der Schauspielerin Eva Langraf, die nach der Geburt ihrer Töchter den Beruf aufgab. Erst trat Katja Früh in die Fussstapfen ihrer Mutter und liess sich zur Schauspielerin ausbilden. Dann in jene des Vaters, sie wurde Regisseurin und Drehbuchautorin. Früh ist mit dem vormaligen SRF- Bundeshaus-Korrespondenten Hans Bärenbold verheiratet und lebt in Zürich-Wiedikon. Eines der gemeinsamen Kinder ist die Schauspielerin Lisa Maria Bärenbold.

Ziehen Sie manchmal Bilanz über Ihr Leben? Sind Sie der Mensch geworden, der Sie immer sein wollten?
Beruflich habe ich meine Erwartungen übertroffen. Doch in vielem fühle ich mich auch unzulänglich. Ich würde gerne disziplinierter sein, schöner, schlanker, sportlicher, ein besseres Vorbild. Ich fühle mich auch unzulänglich in dem, was der Alltag von mir verlangt. Wussten Sie, dass mein Mann den ganzen Haushalt alleine macht? Ich meine: wirklich alles!

Das ist doch fantastisch.
Das finde ich auch. Ihm fällt das alles leichter. Er erledigt vieles im Handumdrehen, während ich schon mit drei Tagen Vorlauf ächze und stöhne. Aber ich fühle mich deswegen eben auch unzulänglich.

Ruhen Sie sich denn gar nie auf Ihren Lorbeeren aus?
Nein, sonst kriege ich gleich ein schlechtes Gewissen. Wenn ich nicht kreativ tätig bin, denke ich sofort, ich sei nichts wert. Das steckt tief in mir drin. Eine gewisse Lebensunruhe ist aber verschwunden. Ich habe nicht mehr andauernd Angst, etwas zu verpassen, ich muss nicht mehr an jede Premiere, ich muss am Ende meiner Ferien auch nicht mehr knackbraun sein. Vieles ist mir jetzt wurscht, das finde ich sehr angenehm.

Hadern Sie mit dem Alter?
Über Falten rege ich mich nicht auf, aber wenn ich merke, dass ich wieder zugenommen habe, nervt mich das schon. Und dann diese Schmerzen! Ich hatte mehrere Operationen, bei denen vier Wirbel versteift wurden. Das behindert mich in meiner Beweglichkeit. Aber meistens kann ich es ganz gut akzeptieren.

Haben Sie eine Vorstellung davon, wie Sie einst von der Bühne des Lebens abtreten möchten?
Der Tod ist kein Schreckgespenst für mich. Mit Hilfe von Drogen wird das Sterben schon klappen.

Sprechen Sie von Morphium, das Sterbenden häufig verabreicht wird, damit sie keine Angst haben und besser atmen können?
Ja, ich habe Erfahrung damit wegen meiner vielen Operationen. Morphium ist herrlich. Irrsinnig schön! Nach einem Eingriff habe ich es eine Zeitlang genommen, bis ich merkte, dass ich sofort wieder damit aufhören muss, wenn ich nicht abhängig werden will – es fühlte sich einfach zu gut an. Doch wenn man uralt ist und sowieso bald stirbt, wen kümmert es dann, ob man süchtig wird? Ich will unbedingt viele Drogen, richtig schöne Trips. Vielleicht nehme ich sogar LSD.


Beitrag vom 13.06.2022