© Sonja Ruckstuhl

«Ich bin jetzt im sogenannt knackigen Alter»

Er ist ein Klarinetten- und Saxofonvirtuose. Mit seiner Superländlerkapelle begeistert Carlo Brunner das Publikum. Ab dem 20. November lädt der Ländlerkönig zum letzten Mal zum «Lachner Wiehnachts-Zauber». 

Text: Usch Vollenwyder, Fotos: Sonja Ruckstuhl

Am 19. November feiert der «13. Lachner Wiehnachts-Zauber» Premiere – als schweizweit eine der grössten Weihnachtsveranstaltungen. Was ist das Geheimnis seines Erfolgs?
Der Anlass scheint einem Bedürfnis zu entsprechen. Die Stimmung lässt sich nicht beschreiben – diese Gemütlichkeit, das schon fast amerikanisch kitschig-schön dekorierte Zelt, die weihnachtliche Musik … Dazu ein Konzept, das ankommt: Weder volkstümliche Musik noch Schlager, auch nicht Klassik oder Pop stehen im Vordergrund, sondern ganz einfach Weihnachtsmusik – vorgetragen von verschiedenen Sängerinnen und Sängern und meiner Superländlerkapelle.

Zusammen mit Jost Hauser, der als Marroniverkäufer Joschi Closchi durchs Programm führt, haben Sie den «Wiehnachts-Zauber» ins Leben gerufen. Warum ziehen Sie sich nun zurück?
Der «Wiehnachts-Zauber» war unser gemeinsames Projekt. Mit 73 Jahren will Joschi kürzertreten, und ich könnte mir nicht vorstellen, das Projekt allein weiterzuführen. Natürlich bin ich wehmütig und traurig, aber auch erleichtert: Der Anlass war jedes Jahr eine grosse Herausforderung. Wir können ihn auf seinem Höhepunkt übergeben. Und keine Angst: Es wird auch einen «14. Lachner Wiehnachts-Zauber» geben – im gleichen Rahmen wie bisher und mit meiner Schwester Maja Brunner als musikalischer Leiterin. 

Sie spielen im Zirkuszelt, Sie spielen in Messehallen, auf Dorfbühnen, in Restaurants oder im KKL Luzern. Welche Bühne ist Ihnen die liebste?
Ich spiele am liebsten dort, wo ich die Sympathie, Anerkennung und Wertschätzung des Publikums spüre. Ein Konzert ist gelungen, wenn sich dieses freut, lacht und klatscht. Das kann überall sein. Ich will mit meiner Musik ja vor allem unterhalten. Doch wenn die Leute wirklich zuhören, spüren sie die Musik. Und wenn sie sie spüren, lassen sie sich von ihr berühren. Dann ist der Funke zwischen ihnen und mir gesprungen.

«Ich geniesse eine Lebensqualität, die ich früher nicht gekannt habe.»

Böse Zungen behaupten, Ländler seien «sieben gleich und einer ähnlich». Was sagen Sie dazu?
Die bösen Zungen haben recht. Wer kein Fan von Ländlermusik ist, kann die Stücke nicht auseinanderhalten. Aber kann jemand, der klassische Musik nicht mag, Mozart von Beethoven unterscheiden? Erst wenn man sich für eine Musikrichtung interessiert, hört man die Unterschiede heraus und bewundert die Virtuosität, die dahintersteckt.

Braucht es für lüpfige Ländlermusik auch ein fröhliches Herz?
Das weiss ich nicht. Aber ein talentierter Berner Akkordeonist behauptete einmal, nur Leute vom Land könnten Ländlermusik machen; Städter hätten dazu keinen Zugang. Meine Meinung ist eine andere: Wenn das Herz offen und das Interesse da ist, kann jeder Mann und jede Frau volkstümliche Musik machen. Mein Vater – wir wohnten in Küsnacht am Zürichsee – machte ausschliesslich Tanzmusik. Er war aber ein grosser Ländlerfreund. Jost Ribary, damals der wohl bekannteste Volksmusiker, war oft bei uns zu Gast. Er spielte Klarinette. Als ich das Instrument zum ersten Mal hörte, war ich sofort begeistert und tauchte als Städter ein in die Ländlermusikszene.

Sie machten eine rasante Karriere. Wie kam es dazu?
Ach, die Zeiten damals waren ganz andere! Im Schweizer Fernsehen wurden regelmässig volkstümliche Sendungen ausgestrahlt. Die Samstagabend-Unterhaltungsshow «Für Stadt und Land» hatte einen Marktanteil von achtzig Prozent. Ich wurde immer wieder dazu eingeladen – zum ersten Mal als 13-Jähriger. Wer auch immer den Fernseher eingeschaltet hatte, musste mich sehen; es gab ja keine anderen Programme, in die er hineinzappen konnte. Oder am Radio: Oft wurde vor den Mittagsnachrichten mein Waldvogel-Schottisch gespielt. Das Publikum musste ihn mithören, wenn es die Nachrichten nicht verpassen wollte. Bei der heutigen Vielfalt am Radio und Fernsehen ist es selbst für einen sehr talentierten jungen Künstler nicht mehr möglich, sich über alle Sparten hinweg einen Namen zu machen.

Sie wurden vielfach ausgezeichnet – mit dem Prix Walo zum Beispiel oder dem Goldenen Violinschlüssel. Was bedeuten Ihnen diese vielen Auszeichnungen?
Ich habe auch zweimal den Grand Prix der Volksmusik gewonnen. Ich bin stolz auf diese Ehrungen. Sie stehen für die Leistung, die ich als Musiker und Komponist erbracht habe.

«Mühe habe ich manchmal mit Gottes Bodenpersonal.»

Sie sind Interpret, Produzent, Komponist, Geschäftsmann – was sind Sie am liebsten?
Ich bin Volksmusiker mit einer grossen Leidenschaft für Ländler. Ich musste aber auch Geld verdienen: Als Geschäftsführer der Plattenfirma Grüezi stand ich jeden Morgen um acht Uhr im Geschäft. Meine beiden Ländlerkapellen hatten ja nur den Amateurstatus. Mein jahrzehntelanger Akkordeonist Martin Nauer zum Beispiel war Metzger, ein anderer Kollege arbeitete als Journalist, ein weiterer war Wirt. Zurzeit habe ich einen Landschaftsgärtner in meiner Superländlerkapelle. Wir üben und spielen in unserer Freizeit – so wie andere kegeln, jodeln oder jassen.

Interviewbild von Musiker Carlo Brunner in seinem Wohnzimmer vor einem weissen Kachelofen.
© Sonja Ruckstuhl

Sie haben über 2000 Musikstücke komponiert. Haben Sie noch den Überblick?
Nein, natürlich nicht. Komponieren gehörte einfach zu meinem Beruf. Schlager habe ich viele vergessen; sie hatten für mich nie die gleiche Bedeutung wie Ländler. Auch für die Produktion einer neuen CD, oder früher einer Schallplatte, galt es jeweils neue Lieder und Musikstücke zu komponieren. Das war immer Schreibtischarbeit. Ich habe eine unheimlich schöne Gabe von zu Hause mitbekommen: In wenigen Minuten schreibe ich die Noten aus dem Kopf aufs Papier, ich komponiere gleichzeitig die Harmonien dazu, und ich höre vor meinem inneren Ohr, wie es tönen muss.

Traditionelle Anlässe wie Schwingfeste ziehen das Publikum in Scharen an. Wo bleibt die Volksmusik?
Noch vor dreissig Jahren war eine meiner Ländlerkapellen immer zuvorderst an einem Schwingfest! Ich nehme es den heutigen Besucherinnen und Besuchern aber nicht übel, wenn sie lieber Gölä und Trauffer hören wollen. Letztlich machen auch diese eine Art Volksmusik – auf eine junge, trendige Art.

Was steht bei Ihnen nächstes Jahr auf dem Programm?
Ich ziehe mich nicht nur aus dem «Lachner Wiehnachts-Zauber» zurück. Auch meine Ländlerkapelle spielt seit zwei Jahren nur noch an privaten Anlässen, nachdem mein Akkordeonist Martin Nauer nach 42 Jahren nicht mehr öffentlich auftreten wollte. So kann ich es jetzt ruhiger nehmen. Ich wähle meine Auftritte aus. Ich habe Zeit. Ich gehe mit meinem Schatz Erika in die Ferien; ich kann als Gast an Hochzeiten und Geburtstagsfeiern teilnehmen. Ich geniesse eine Lebensqualität, die ich früher nicht gekannt habe.

Hängt dieses Kürzertreten mit dem Alter zusammen?
Nein, überhaupt nicht. Es sind meine jahrzehntelangen Weggefährten Joschi und Martin Nauer, die mich mit ihrem Weggang auf einen langsameren Weg gebracht haben – und das ist gut so. Jedenfalls besser, als von dem ganz hohen Niveau der letzten Jahre plötzlich auf dem Boden zu landen, weil man nicht mehr kann oder nicht mehr mag.

Spüren Sie, dass Sie nicht mehr jung sind?
Ja natürlich. Ich bin im sogenannt knackigen Alter – immer knackt und zwickt es irgendwo in meinem Körper. Diese Beschwerden kommen halt einfach. Solange ich sie als normal empfinde, mache ich mir darüber keine grossen Sorgen. Ich merke das Älterwerden aber noch mehr beim Musizieren. Ich spiele heute schöner als früher, die Ausstrahlung und Intensität haben zugenommen, die Liebe und Erfahrung sind grösser geworden. Als junger Haudegen ging ich einfach drauf los, ich wollte der Schnellste sein, ich liebte die Virtuosität. So schnell wie damals könnte ich heute niemals mehr spielen!

Denken Sie überhaupt an das Alter und das Altwerden?
Ich habe immer noch etwas Lausbübisches in mir. Ich bin ein fröhlicher Mensch, der gerne Spass macht. Natürlich gucke ich am Morgen manchmal in den Spiegel und denke: Heitere Cheib, bist du alt geworden… Seit einer Fussoperation vor neun Jahren fühle ich mich jedoch wie neu geboren: Ich spiele Tennis, fahre Ski und Velo, mache sechsstündige Wanderungen. Nach einem Autounfall 1986 war das während Jahrzehnten nicht mehr möglich gewesen! Die kleinen Wehwehchen, die das Alter mit sich bringt, nehme ich deshalb gerne in Kauf.

Welche Rolle spielt die Religion in Ihrem Leben?
Ich glaube an Gott, ich bin katholisch, war Ministrant und werde auch katholisch bleiben bis ans Lebensende. Ich habe manchmal mit Gottes Bodenpersonal etwas Mühe. Aber wenn ich auf Reisen bin, besuche ich jede Kirche, überall auf der Welt, und zünde für alle Verwandten und Bekannten eine Kerze an. Manchmal stehe ich vor einer Kathedrale und denke: Da muss doch etwas dahinter sein, sonst hätten die Menschen nicht solche Kirchen gebaut … Ich würde mir in unserer Wohlstandwelt ein bisschen mehr Ehrfurcht vor unserem Schöpfer wünschen.

Vor bald drei Jahren haben Sie auf einer Kuba-Reise Ihren Freund Kurt Zurfluh verloren. Wie hat Sie dieses Erlebnis geprägt?
Es war sehr einschneidend, eine Lebensschule, extrem prägend. Wir reisten oft zusammen, beruflich und privat. Manchmal zu viert, manchmal nur wir zwei. Auf die geplante Kubareise wollten unsere Partnerinnen wegen des langen Flugs nicht mitkommen. Und dann das … Es passiert sicher nicht vielen Menschen, dass sie so unerwartet einen Freund in ihren Armen verlieren. Als es geschah, war es unglaublich schlimm. Ein Schock.

Und im Nachhinein?
Im Nachhinein betrachte ist dieses Erlebnis nicht nur als negativ. Kurt war gesund und munter, in den Ferien fühlte er sich im Paradies, und innerhalb einer halben Stunde war er tot. So hatte er sterben wollen – und ich bin glücklich, dass er tatsächlich so sterben durfte.

Das Leben geht in Ihren Grosskindern weiter. Wie fühlen Sie sich in der Rolle als Grossvater?
Der Sohn meiner Partnerin Erika hat zwei Töchter, meine Tochter hat zwei Jungen. Ich bin allen vieren gerne Grossvater. Einer meiner Enkel spielt bereits auf der Klarinette. Überhaupt gleicht er mir; er sieht aus wie ich auf alten Kinderfotos, und ich bin stolz darauf! Ich bin ein Familienmensch, manchmal verreisen wir mit den Enkeln in die Ferien. Wir waren oft auch mit meinen Eltern unterwegs. Nach dem Tod meiner Mutter begleitete uns noch mein Vater so wie auch die Mutter meiner Partnerin. Meine Schwester Maja wohnt ganz nah; ich kann zu Fuss zu ihr zu einem Kaffee gehen. Wir sind in jeder Beziehung ein richtiger Familien-Clan! ❋

© Keystone/Urs Flüeler

Vielfach ausgezeichneter Ländlerkönig

Carlo Brunner, geboren am 22. April 1955 in Küsnacht ZH, lernte Klarinette und Saxofon und hatte mit 15 seine erste eigene Kapelle. Er machte die Ausbildung zum kaufmännischen Angestellten bei Musik Hug und wurde Musikproduzent mit eigener Firma. Unzählige Auftritte mit seiner Ländlerkapelle und der Superländlerkapelle folgten. Carlo Brunner wurde vielfach ausgezeichnet. Mit dem Hit «Das chunnt eus spanisch vor» gewann er 1987 mit seiner Schwester Maja Brunner den Internationalen Grand Prix der Volksmusik. Carlo Brunner lebt seit 21 Jahren mit seiner Partnerin Erika Grab in einem Haus in Schindellegi SZ. Er hat eine Tochter aus erster Ehe und ist vierfacher Grossvater.

Der «Lachner Wiehnachts-Zauber» findet vom 20. November bis zum 23. Dezember 2019 im Zirkuszelt in der Hafenanlage in Lachen SZ statt. Weitere Informationen und Vorverkauf: www.lachner-wiehnachtszauber.ch, Telefon 0900 441 441.

Beitrag vom 18.11.2019