Wenn man andere nicht mehr versteht
Altersschwerhörigkeit ist weit verbreitet. Rund die Hälfte der Betroffenen nehmen ihre Einschränkungen schicksalsergeben hin. Die wichtigsten Antworten auf mögliche Ursachen und taugliche Lösungen.
Text: Roland Grüter
Wer ist betroffen?
In der Altersgruppe über 65: rund 50 Prozent der Männer und 25 Prozent der Frauen. Altersschwerhörigkeit (Presbyakusis) geht in der Regel auf einen ganz normalen Alterungsprozess zurück und kann alle treffen. Erstaunlich: 46 Prozent unternehmen rein gar nichts, obwohl die Auswirkungen des Hörverlustes im Alltag massiv sind. 54 Prozent stemmen sich dagegen und lassen durchschnittlich fünf bis sieben Jahre verstreichen, bis sie eine Spezialistin oder einen Spezialisten aufsuchen.
Weshalb ist der Anteil an Frauen geringer?
Wissenschaftler vermuten, dass Hormone wie Östrogen die Ohren von Frauen vor schnellem Hörverlust schützen – jener von Männern verschlechtert sich doppelt so schnell.
Wie kommt es zum Hörverlust?
Das Leistungsvermögen des Innen ohrs mit seinen Sinnes- und Haarzellen nimmt mit zunehmendem Alter ab, die Hörnerven und bestimmte Bereiche im Gehirn vermögen die Signale nur noch lückenhaft respektive eingeschränkt weiterzuleiten oder zu verarbeiten. Die Genetik, schädigende Faktoren wie Lärm und Nikotin, Diabetes, hohe Cholesterinwerte und überstandene Mittelohrerkrankungen können überdies Altersschwerhörigkeit begünstigen.
Holen Sie sich zeitig Rat
Welche Symptome verweisen darauf?
Anfangs bekunden Betroffene Mühe, hohe Töne wahrzunehmen. In der Folge fallen auch der Mittel- sowie Tieftonbereich weg. Die Folge: Betroffene verstehen Gesprächspartner immer schlechter, insbesondere, wenn es im direkten Umfeld laut wird. Zusätzlich können störende Ohrgeräusche (Tinnitus) auftreten. Da der Hörverlust meist schleichend erfolgt, gewöhnen sich Betroffene daran. In der Regel sind es denn auch die Menschen im Umfeld, welche die Einschränkungen bemerken. Falls auch Sie darauf angesprochen werden: Gestehen Sie sich selber ein, dass Ihr Hörsinn schwindet. Denn genau damit tun sich viele schwer. Nur so können Sie sich aber zeitig Rat und Hilfe holen.
Wieso ist schnelles Handeln ratsam?
Wer andere nicht versteht, dem droht soziale Isolation – und riskiert damit sein physisches, emotionales und soziales Wohlbefinden. Darüber hinaus ist das Hirn auf akustische Signale angewiesen, um in Topform zu bleiben. Bleiben sie aus, nimmt die intellektuelle Leistungsfähigkeit der Denkzentrale ab. Wie Studien belegen, steigt dadurch das Risiko, an Altersdemenz oder Altersdepression zu erkranken, immens. Und, zu guter Letzt: Gemeinhin kann das Gehirn Geräusche und Töne nur etwa drei Jahre abspeichern. Danach verblassen die Erinnerungen, nach sieben Jahren erlöschen sie komplett. Will heissen: Wer Altersschwerhörigkeit über Jahre erduldet, muss später wieder richtig hören lernen.
«46 Prozent der Betroffenen unternehmen rein gar nichts gegen den Hörverlust, obwohl die Auswirkungen im Alltag massiv sind.»
Was also tun, wenn man andere nicht mehr gut hört?
Dann ist es an der Zeit, sich mit dem Hausarzt oder mit Spezialistinnen oder Spezialisten der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde (HNO) darüber auszutauschen. Mit Hörtests und Sprachverständnisprüfungen wird der Grad der Einschränkung erkundet. Ist das Hörvermögen bereits verloren, helfen einzig Hörgeräte. Ist das Hörvermögen sehr stark eingeschränkt oder sogar verloren gegangen, ist allenfalls ein sogenanntes Cochlea-Implantat nötig. Es wird im Rahmen einer rund zweistündigen Operation in eine Vertiefung des Schädelknochens eingesetzt.
Helfen womöglich Hörtrainings?
Mehrere Studien haben bewiesen, dass strukturierte, audiologische Trainings tatsächlich Verbesserungen bringen. Das Sprachverständnis von Wörtern und Sätzen wird mit speziellen Übungen gesteigert. Positiver Nebeneffekt: Die Verarbeitungsgeschwindigkeit der Signale wird verbessert, das Gedächtnis wird leistungsfähiger.
Weshalb bekunden alte Menschen oft Mühe, ein Hörgerät zu tragen?
Weil sie sich vor einer Stigmatisierung fürchten. Dabei hat sich die Technologie in den vergangenen Jahren enorm weiterentwickelt: Hörgeräte sind mini-klein und für andere kaum mehr sichtbar.
Wie findet man das richtige Modell?
Lassen Sie sich von Hörberatern über die unterschiedlichen Bauformen, Leistungsklassen, Service-Pakete und Preise informieren. Unabhängige und kostenlose Beratung bietet beispielsweise Pro Audito Schweiz, die unabhängige Beratungsstelle für Fragen rund um den Hörverlust. Die Hotline ist von Montag bis Freitag jeweils von 9 bis 12 Uhr unter Telefon 0800 400 333 erreichbar.
Was kosten solche Geräte?
Hörgeräte können gut und gerne mehrere tausend Franken kosten – vor allem, wenn Beeinträchtigungen beide Gehörsysteme betreffen. Versicherte der AHV haben alle fünf Jahre Anspruch auf neue Hörgeräte. Die Versicherung übernimmt einen Kostenanteil von 630 Franken (einseitige Hörgeräte-Versorgung) respektive von 1237.50 Franken. Eine HNO-Expertin oder ein -Experte muss den Bedarf aber vorher bescheinigen. Die Kosten für die Expertise übernimmt die AHV ebenfalls. Falls jedoch Reparaturen anstehen, sind – im Gegensatz zur IV – keine Kostenbeteiligungen vorgesehen. In der Grundversicherung der Krankenkassen ist dieses Hilfsmittel leider ausgeschlossen.