
Der Chef im Bauch
Der Magen ist ein robustes, aber auch sehr empfindsames Organ. Weshalb gut darauf zu achten ist, was man ihm zumutet.
Text: Marco Hirt
Die Festtage liegen hinter uns. Eine Zeit des gemütlichen Zusammenseins, aber auch eine Zeit des Geniessens. Es wurde üppig gegessen und reichlich getrunken, weshalb der Verdauungstrakt, primär der Magen, mehr als gefordert ist. Oft wird der Genuss zum Verdruss: Das fettige Essen kann vom Magen weniger schnell verarbeitet werden, zu viel Alkohol kann zu einem Anstieg der Magensäure führen. Die Folgen – wer kennt sie nicht: Völlegefühl, Blähungen, Sodbrennen.
«Es ist aber nicht so, dass im Januar eine Zunahme an Betroffenen mit Magenproblemen festzustellen wäre», meint Prof. Dr. med. Stefan Kahl. «Es gibt zwar eine zyklische Häufung von Oberbauchbeschwerden und Magengeschwüren – diese ist jedoch im Frühling und im Herbst.» Eine wissenschaftliche Erklärung gebe es dafür bisher nicht. Könnte jedoch nach dem übermässigen Konsum eine Schonzeit angesagt sein? «Nein, ich empfehle grundsätzlich, sich ausgewogen zu ernähren. Da braucht es weder Schonzeit noch Fastenkuren», erklärt der Leiter und Chefarzt Gastroenterologie von Clarunis, dem Universitären Bauchzentrum Basel. «Die Dosis macht das Gift. Heute greift man aus Zeitgründen öfter mal zu Fast Food und Fertigprodukten, was ich nicht verteufeln will. Dennoch sollte man über seine Gewohnheiten nachdenken und zumindest versuchen, sich gesünder zu ernähren.» Damit der Magen bei seiner Tätigkeit nicht noch mehr belastet wird: Er ist nämlich ein Schwerstarbeiter!
Im Laufe eines 75-jährigen Lebens verwertet er etwa 30 Tonnen feste und 30 000 Liter flüssige Nahrung. Über die Speiseröhre gelangen Speisen und Getränke zum Eingang des Magens, der im linken Oberbauch liegt. Seine wichtigste Aufgabe besteht in der Vorverdauung. Mithilfe des Magensafts, produziert von der Mageninnenwand, wird die Nahrung zu einem gut durchmischten Speisebrei verarbeitet – um ihn nach durchschnittlich drei Stunden (Fleisch: ca. 4 bis 6 Stunden, Gemüse: ca. 2 bis 2,5 Stunden) dosiert in den Zwölffingerdarm abzugeben. Die Salzsäure im Magensaft unterstützt die Aufspaltung von Nährstoffen sowie die Immunabwehr und tötet gefährliche Keime ab. Dass die ätzende Säure das Organ selbst nicht angreift, hat mit der schützenden Schleimschicht zu tun, die die gesamte Mageninnenwand bedeckt.
So robust der Magen sich bei der Verdauung einerseits präsentiert, so sensibel ist er anderseits. Wie der Darm ist auch der Magen von einer Vielzahl an Nerven durchzogen, die die Abläufe im Gleichgewicht behalten und eng mit dem Bauchhirn (auch als das enterische Nervensystem bekannt) verbunden sind. Das Bauchhirn ist mit unserem Gehirn vor allem über den Vagusnerv im Austausch: So ist dieser direkt mit dem Hunger- und Sättigungszentrum im Hypothalamus verbunden, wohin ernährungsrelevante Sinneseindrücke geschickt werden.
Sehen oder riechen wir etwas Feines, setzt unverzüglich die Produktion von Speichel und Magensäure ein. Oder falls der Magen noch voll ist, meldet er dies, das Hungerzentrum wird ausgeschaltet, das Sättigungszentrum übernimmt.
Kein Wunder, dass wir deshalb auch schnell spüren, wenn es der Psyche nicht gut geht. Stress, Sorgen, Ärger: Nervliche Belastungen schlagen bekanntlich auf den Magen. Die Folgen sind jedoch nicht nur Magen-Darm-Beschwerden, sondern reichen weiter über Schlafstörungen, Konzentrationsprobleme bis hin zu Erschöpfung und Burn-out. Dem Chef im Bauch entgeht nichts!
«Den Lebensstil zu ändern, ist schwierig.»

Prof. Dr. med. Stefan Kahl
ist Leiter und Chefarzt Gastroenterologie von Clarunis –
Universitäres Bauchzentrum Basel.
Hat man etwas über die Stränge geschlagen und wird von einem Sodbrennen geplagt, greift man schnell zu einer Tablette. Kann man dies bedenkenlos tun?
Prof. Dr. med. Stefan Kahl: Ich sehe kein Problem darin, sich mit frei käuflichen Medikamenten zu behelfen. Auch wenn dies häufiger der Fall ist.
Was sind die Alarmzeichen, dass bei einem Reflux mehr dahinterstecken könnte?
Wenn das Sodbrennen trotz der Säureblocker schnell wieder zurückkehrt. Oder wenn zum Beispiel Schluckbeschwerden auftreten oder ein Gewichtsverlust festzustellen ist. Symptome, die sich nicht einzig mit dem Reflux erklären lassen. Dann sollte ärztlich untersucht werden, wo das Problem liegt.
Bei anhaltenden Bauchschmerzen lohnt sich auch die Abklärung, ob der Grund eine Infektion mit dem Helicobacter-Bakterium ist.
Richtig, denn eine nicht behandelte Helicobacter-Entzündung ist hauptursächlich für Magenkrebs oder ein Magengeschwür. Helicobacter wurde von der Weltgesundheitsorganisation WHO als gesicherte Vorstufe einer Krebserkrankung deklariert.
Ist im schlimmsten Fall sogar eine Magenentfernung nötig?
Im Wesentlichen kommt es darauf an, wie fortgeschritten der Tumor ist und wo er sich befindet. Grundsätzlich werden magenerhaltende Therapieverfahren angestrebt.
Ist ein Leben ohne Magen überhaupt möglich?
Ja, aber die Lebensqualität ist sehr eingeschränkt.
Sehr begehrt sind aktuell Diabetesmedikamente wie Ozempic, auch als Abnehmspritzen bezeichnet. Sollte diese wirklich nehmen, wer keinen Diabetes, aber Gewichtsprobleme hat?
Das Medikament ist zugelassen für die Diabetesbehandlung, eine Nebenwirkung ist die Gewichtsabnahme, auch verursacht es Magen-Darm-Beschwerden. Hat man genügend Studien, kann dies sicher als Abnehmpräparat verschrieben werden.
Abnehmspritzen statt Ernährungsumstellung?
Den Lebensstil zu ändern, ist schwierig, zu einem Medikament zu greifen, einfach. Es ist aber auch so, dass bei vielen Menschen eine Umstellung nicht reicht. Übergewicht ist nur zu einem kleinen Teil falscher Ernährung geschuldet und ist oft die Folge von Stoffwechselstörungen und genetischer Veranlagung. So oder so: Übergewicht stellt eine enorme Belastung für den Menschen, aber auch die Volkswirtschaft dar. Die Gesundheitskosten, die durch Erkrankungen wegen Übergewichts entstehen, sind immens. Mit der Gewichtsabnahme wird das Risiko für weitere, auch lebensbedrohliche, Erkrankungen gesenkt und das Gesundheitssystem im Allgemeinen entlastet.
Wenn der Magen nicht mehr mag
Leidet das Organ, leiden auch wir: Denn die Beschwerden lassen oft nicht lange auf sich warten. Welche können das sein? Und was ist zu tun, damit es gar nicht dazu kommt?
Das macht dem Magen zu schaffen:
Sodbrennen
Wenn Magensäure bis in die Speiseröhre steigt, ist ein saures Aufstossen oder sogar ein brennender Schmerz zu spüren. Sodbrennen, auch Reflux (lateinisch für Rückfluss) genannt, tritt u. a. nach üppigem Essen auf. Ist dies nur gelegentlich der Fall, sollten Genussgewohn-heiten geändert werden. Bei ständigem Sodbrennen ist eine ärztliche Kontrolle nötig.
Gastritis
Eine Entzündung der Magenschleimhaut sorgt u. a. für Magenschmerzen, Völlegefühl oder Blähungen. Häufigste Ursache sind eine Infektion mit Helicobacter-pylori-Bakterien oder die übermässige Einnahme von Schmerzmitteln.
Magengeschwür
Aus einer Gastritis kann sich ein sogenannter Ulcus, eine Wunde in der Magenwand, entwickeln. Gehen Sie umgehend zu einer ärztlichen Fachperson bei Symptomen wie Bluterbrechen oder schwarz gefärbtem Stuhl!
Reizmagen
Dieser sorgt für ständige Beschwerden im Oberbauch, doch organisch scheint alles gesund zu sein. Wodurch ein Reizmagen entsteht, ist bisher nicht bekannt. Verschiedene Faktoren wie zum Beispiel vorausgegangene Magen-Darm-Erkrankungen oder psychische Aspekte wie Stress spielen eine Rolle.
Magenkrebs
In der Schweiz erkranken jährlich ca. 930 Personen daran. Krebszellen können sich aus der Magenschleimhaut als Folge von chronischen Magenentzündungen oder Infektion mit dem Helicobacter-pylori-Bakterium entwickeln. Ungewollter Gewichtsverlust und häufiges Erbrechen über längere Zeit sind u. a. Symptome, die es abzuklären gilt.
Helicobacter-pylori
Das säureresistente Bakterium, welches in Europa etwa jede dritte Person in sich trägt, gilt als Auslöser für eine Reihe von Magenerkrankungen. Meist erfolgt die Infektion im Kindesalter. Das Bakterium verhält sich oft jahrelang unauffällig, sodass Betroffene nichts davon merken.
Das hilft dem Magen:
Sich Zeit nehmen
Sich ausgewogen (ballaststoffreich!) ernähren – fettige, frittierte und stark gewürzte Speisen meiden. Wichtig: Sich Zeit nehmen, jeden Bissen sorgfältig kauen, abends nicht zu spät und möglichst leichte
Mahlzeiten essen.
Genug trinken
Ausreichend Wasser trinken – aber auf übermässigen Konsum von Alkohol und kohlensäurehaltigen Getränken verzichten. Auch Nikotin schadet dem Magen.
Ruhezeiten einplanen
Ständige Unruhe und Anspannung nicht unterschätzen: Magennerven und Psyche sind eng miteinander verbunden. Sich entspannende Aktivitäten oder Ruhezeiten gönnen, auch für ausreichend Schlaf sorgen.
Aktiv bleiben
Regelmässige Bewegung – ein Verdauungsspaziergang hilft dem damit gut durchbluteten Magen bei seiner Arbeit.
Buch-Tipps:
«Jeder Magen hat seinen Reiz»
In diesem ersten populärwissenschaftlichen Sachbuch zum Thema Magen nimmt uns der deutsche Chirurg Prof. Dr. med. Michael Schäffer mit auf eine ebenso unterhaltsame wie informative Reise in unser Inneres.
Heyne-Verlag, ca. CHF 28.90
«Endlich Ruhe im Magen»
Beschwerden wegen Sodbrennen, Gastritis und Reizmagen? Abhilfe schafft dieses Kochbuch mit passenden Rezepten, bietet aber auch viel Praxiswissen rund um gesunde Ernährung.
Verlag Gräfe und Unzer, ca. CHF 29.90
«Reizmagen – Wenn alles auf den Magen schlägt»
Was den Magen aufregt – und was ihn besänftigt: Der Ratgeber kombiniert über 40 reizarme Rezepte mit Entspannungstechniken und ganzheitlicher Hilfestellung.
Verlag Trias, ca. CHF 29.90
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