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Garten im Klimakterium

In den Hobbygärten treibt sich ein knorriger Geselle um: der Klimawandel. Begegnungen mit dem Besucher sind zwar unerfreut, trotzdem reicht unser Kolumnist ihm die Hand. 

Falls Sie noch immer am Klimawandel zweifeln: Ich lade Sie gerne in meinen Hobbygarten ein, um Sie mit ihm bekannt zu machen. Zwar habe ich ihn noch nie in meinen Staudenbeeten persönlich angetroffen. Aber er hinterlässt überall seine Spuren – was in aller Deutlichkeit darauf verweist, dass er auch mein kleines Paradies besetzt hat und darin regiert. 

So lässt er beispielsweise die zarten Blüten der Herbstzeitlosen schadlos über den Winter kommen oder hält den Peterli und die Chrysanthemen auf dem Balkon weit über den Dezember hinaus grün, was vor Jahren noch undenkbar gewesen wäre. Und da er den Boden kaum mehr gefrieren lässt, tragen meine Katzen nun statt Schnee reichlich Dreck ins Wohnzimmer, was mich zur ständigen Putzliesel macht – und mich mit jedem Wisch an die seltsamen Vorgänge draussen vor der Stubentür erinnert. In solchen Momenten wünsche ich mir Frau Holle und Väterchen Frost besonders innig zurück. Und längst nicht nur, weil ich den Putzeimer gerne wieder in die Ecke stellen möchte.  

Naturgesetze werden neu geschrieben

All diese Zeichen könnte ich Ihnen bei einem Besuch zeigen. Falls es Ihnen dafür aktuell zu kalt ist: Wir können unser Tête-à-tête gerne in den Sommer schieben. Denn der Klimawandel wirkt in den Beeten längst nicht nur im Winter, sondern auch in allen anderen Jahreszeiten. Im zeitigen Frühling lässt er etwa meine Säulenobstbäume blühen, um die Blüten – und damit meine Hoffnungen auf eine reiche Ernte – kurze Zeit später wieder mit Eiseskälte dahinzuraffen. Die Hasel blüht unter seiner Regie schon um Weihnachten. Und nach Silvester schlängelte sogar eine Blindschleiche durch die dürren Halme, obwohl das Reptil bis in den April in ihrem Erdloch still und starr verharren sollte. Das alles weist in die gleiche Richtung: Mein Garten steckt buchstäblich im Klimakterium.

Letzthin haben ich und mein Freund Andreas überlegt, wie der Klimawandel wohl aussehen würde, wäre er ein Mensch. Dabei sind wir übereingekommen, dass er uns an einen verhärmten Alten erinnert, der viel Bitterniss durch sein Leben trägt, aber wenig Freuden. Wir stellten uns den Klimawandel als kauzigen Gesellen vor, den andere tunlichst meiden, damit er seine schlechte Laune nicht an ihnen auslassen kann. Und weil dieser zusätzlich von Zipperlein und ständigen Schmerzen geplagt wird, hat sich dessen Groll zum Zorn gewandelt, was Begegnungen mit dem Alten noch unerfreulicher und diesen wiederum noch grantiger machten. Ein Teufelskreis also.

Wir redeten vom Klimawandel, als lebe er in unserer Nachbarschaft. Dadurch wurden die sommerlichen Hagelschauer und anderen Wetterkapriolen, die meinen Garten immer wieder heimsuchen, plötzlich nachvollziehbarer – und die Gedanken an die durchlöcherten Blätter der Hosta und zerfetzten Sommerblüher wogen nur noch halb so schwer. Denn wer kann es einem Schwächelnden schon verübeln, dass er frustriert und verzweifelt ist? Ich nicht – ich würde unter diesen Vorzeichen garantiert auch zum Griesgram.   

Expertinnen und Experten listen allenthalben auf, mit welcher Wucht der Klimawandel weltweit wütet. Unter anderem liess er die Jahresdurchschnittstemperatur in den vergangenen 150 Jahren in der Schweiz um gut 2°C steigen, was weit über dem globalen Schnitt liegt (1°C). Als Folge davon werden die Sommer in unserem Alpenland noch trockener, die Niederschläge häufiger und die Winter schneeärmer. Hitzetage und andere Wetterkapriolen werden sich mehren – nur, weil da jemand schlechte Laune hat.

Lieber handeln als jammern

Ich jedenfalls habe meinen Garten längst auf das drohende Ungemach vorbereitet. In den Beeten wachsen viele Trockenspezialisten, die Regen arme Wochen auch ohne Einsatz der Giesskanne überleben. Ich habe Wildstauden fleissig zu Gruppen vereint, weil Verbünde Wetterkapriolen weit besser überstehen als Monokulturen. Auch sammle ich brav Regenwasser. Denn wie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler glauben, wird das Nass dereinst auch hierzulande zur raren Ressource. Also lieber früh handeln, als spät jammern. 

Andreas und ich überlegten uns auch, wie die Geschichte des zürnenden Alten versöhnlich enden könnte. Eigentlich hätten wir ihm ein glückliches Ende und Frieden bis in alle Ewigkeit gegönnt. Doch davon sind wir schnell abgekommen, denn damit hätten wir logischerweise ja auch unser eigenes Ende besiegelt. Stattdessen beschlossen wir, uns wieder stärker um den Murrer zu kümmern. Vielleicht findet er dadurch wieder zu neuen Kräften und zurück zur Freundlichkeit – damit die Begegnungen mit ihm wieder versöhnlicher werden, ob in meinem Garten oder anderswo.

 

Der Gartenpöstler

Roland Grüter, Gartenkolumnist der Zeitlupe

© Jessica Prinz

Roland Grüter (61) ist leidenschaftlicher Hobbygärtner und folgt strikt den Regeln des Bio-Gärtnerns. Heute lebt er in der Nähe von Zürich und hegt und pflegt einen kunterbunten, wilden Blumengarten. Roland Grüter schreibt an dieser Stelle regelmässig über seinen Spass und seine Spleens im grünen Bereich.


Beitrag vom 23.02.2022

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