Grüne Weihnacht
Der Adventskranz erinnert an uralte Zeiten. Die grünen Tannzweige, mit denen er traditionell umrandet wird, spendeten den Menschen einst Zuversicht – so wie immergrüne Pflanzen im Garten. Gartenpöstler Roland Grüter ist davon begeistert.
Der Winter regierte einst mit eiserner Faust. Er leerte die Gärten verlässlich – und damit die Vorratskammern und Mägen der Menschen. Denn in der Bibberkälte reifen kaum Gemüse und Früchte, die allermeisten Pflanzen treten in den Ausstand und dösen dahin, bis der Frühling Matsch und Niesel ablöst.
Einige Gehölze und Stauden aber widersetzen sich dieser Regel und bleiben auch in der kargen Jahreszeit wach. Manche tragen sogar ihr Blätterkleid durch diese Tage. Hinter dem Eigensinn wähnten unsere Urahnen lange eine göttliche Macht. Das winterliche Grün war für sie ein Fingerzeig, dass die Zeit der Entbehrungen begrenzt bleibt. Sie machten den Menschen Hoffnung, dass die Natur irgendwann zu neuem Leben erwacht und damit ihrer Not ein Ende setzt. Deshalb schmückten bereits Germanen und Kelten im Winter jeweils ihre Stuben mit grünen Zweigen. Jene der Stechpalme waren ihnen besonders heilig.
Eine Laune der Biologie
Heute weiss man, dass hinter wintergrünen Pflanzen nicht etwa heilige Kräfte wirken, sie gehen stattdessen auf eine Laune der Biologie zurück. Viele Gehölze und Stauden stehen nämlich in der Natur im Schatten grosser Nachbarn, etwa im Untergehölz lichter Wälder. Im Winter verlieren die Riesen ihre mächtigen Kronen, und die Gefolgschaft zu ihren Füssen nutzt die Chance, die einfallenden Strahlen zu nutzen, um daraus Saft und Kraft zu schöpfen. Will heissen: Immergrüne Pflanzen betreiben auch in schneereichen Zeiten Photosynthese. Dazu zählen beispielsweise Efeu, Winterjasmin, Kriechspindel, Buchs und die allermeisten Koniferen-Arten. Oder auch Kräuter wie Salbei oder Rosmarin. Ein natürlicher Frostschutz schützt sie davor, dass sie selbst bei tiefsten Temperaturen durchfrieren und daran Schaden nehmen.
Bläst der Winterwind durch die kahl-kalten Gartenbeete, rücken immergrüne Gewächse noch immer ins Blickfeld der Betrachterin, des Betrachters. In Minigärten, die uns das moderne Leben gelassen hat, werden sie meistens als Hecken, als Sichtschutz, eingesetzt. An anderen Stellen gehen sie jedoch in den allermeisten Fällen vergessen, da Naturfreundinnen und Naturfreunde den Winter in der Gestaltung ihrer Gärten meistens vergessen und blatttragende Gewächse auslassen. Die Folgen sind unübersehbar: Die blühenden Paradiese verwandeln sich im Spätherbst jeweils in wüste Brachen. Überall Ödnis und Tristesse, kein schönes Bild. Deshalb ist mir Wintergrün besonders wichtig.
Zurück zur Bedeutung der grünen Zweige. Mittlerweile hat sich die Welt um die Achse gedreht. Der Winter zeigt sich milder, und wir sind schon lange nicht mehr auf die Verpflegung aus dem Hausgarten angewiesen. Migros, Coop und andere Grossisten füllen die Vegetationspausen allseits mit Gemüsen und Früchten. Doch wintergrüne Zweige gelten noch immer als Symbolträger, insbesondere im Advent. Das ist unter anderem Johann Wichern (1808–1881) zuzuschreiben. Der evangelische Theologe gilt als Erfinder des Adventskranzes. Er arbeite in einem norddeutschen Schülerheim. Als die Buben und Mädchen den Kirchenmann ständig fragten, wie lange es bis Weihnachten noch dauere, stellte er 1839 zwanzig kleine und vier grosse Kerzen auf ein Wagenrad. An jedem Tag zündete er eine davon an, die dicken jeweils an den Sonntagen. So konnten die Kinder die Tage bis zum Freudenfest herunterzählen.
Adventskranz erinnert daran
Später stellte Johann Wichern seine Kerzen auf Tannenzweige. Denn auch er sah das Grün des Reisigs als Zeichen des Lebens und der Hoffnung. Sein Werk war ursprünglich Adventskranz und -kalender in einem. Erst später wurden sie separiert. Doch es sollte dauern, bis beide zu ihrem Siegeszug starteten.
Der erste Adventskranz kam 1924 erstmals in einer Kirche zum Einsatz, die Stuben eroberte er sogar noch später. Mittlerweile brennen auf den Kränzen nur noch vier Kerzen, und auch sein Format ist sichtbar geschrumpft. Die Tannenzweige aber sind geblieben. Oft werden sie mit roten Beeren oder Schleifen geschmückt. Auch diese Farbe ist nicht zufällig gewählt. Rot symbolisiert das Blut Jesu Christi, das er am Kreuz vergossen hat.
Sie sehen, die Weihnachtszeit ist voller Symbolik. Die Rot-Grün-Partnerschaft ging – zumindest ausserhalb der Politik – nahezu vergessen. Die meisten wissen nicht mehr, dass darin uralte Traditionen und Hoffnungen mitschwimmen, obwohl wir jedes Jahr von neuem ein Loblied darauf anstimmen: «O Tannenbaum, o Tannenbaum, wie grün sind deine Blätter!»
Der Gartenpöstler
Roland Grüter (63) mag den Winter nicht sonderlich, deshalb ist ihm Wintergrün besonders wichtig – nicht nur auf dem Adventskranz. Er lebt in der Nähe von Zürich und hegt einen kunterbunten, wilden Blumengarten. Roland Grüter schreibt an dieser Stelle regelmässig über seinen Spass und seine Spleens im grünen Bereich.
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