
«Walk on by» von Dionne Warwick Songs und ihre Geschichten
Mit ihrer subtilen und sinnlichen Stimme, die im Pop und Soul gleichermassen zuhause ist, hat Dionne Warwick ihre Karriere über Jahrzehnte geprägt und zahlreiche Künstlerinnen inspiriert.
Text: Urs Musfeld
Dionne Warwick gehört zu den Sängerinnen mit den meisten Chartsplatzierungen, darunter Klassiker wie «I say a little prayer», «Do you know the way to San Jose» und «Walk on by».
Geboren 1940 in New Jersey wächst Dionne Warwick in einer von spiritueller Musiktradition geprägten Familie auf. Wie viele ihrer Verwandten wird sie Teil der Gospel-Formation The Drinkyard Singers. Als Teenager gründet sie mit ihrer Schwester Dee Dee und ihrer Tante Cissy Houston (der späteren Mutter von Whitney Houston) die Gesangsgruppe The Gospelaires.
Bei der Aufnahmesession für «Mexican divorce» (1962) von der Doo-Wop-Band The Drifters mit den Gospelaires als Background-Chor fällt dem Komponisten des Songs, Burt Bacharach, das besondere Timbre von Dionne Warwicks Stimme auf.
Zusammen mit seinem Texter Hal David schreibt er von nun an bis in die 1970er-Jahre ein auf sie massgeschneidertes Repertoire. Lieder, die von Zweifeln und Zwiespältigkeiten handeln, von Kummer, Leid, aber auch der Leichtigkeit der Liebe. Es geht um die ganz grossen Gefühle, durchtränkt von Melancholie.
1962 erscheint ihre Debut-Single «Don’t make me over». Mit der vierten Single «Anyone who had a heart» gelingt ihr 1963 der erste grosse Hit. Ein Jahr später folgt der zweite Millionenseller «Walk on by», der ihre Solo-Karriere festigt. Ein Song aus der Perspektive einer Frau über eine Liebe, die nicht zu Ende ist und doch endlich vergehen soll. Davids Worte stellen universell nachvollziehbaren Herzschmerz dar – einfach, prägnant und poetisch.
Die Musik von Bacharach ist rhythmisch und harmonisch komplex, erfinderisch in der Klangpalette, emotional hoch aufgeladen, witzig und urban. Er lässt sie so einfach klingen wie eine Melodie, die man auf der Strasse pfeift. Ein Song wie aus einem Guss, ein kleines Drei-Minuten-Kunstwerk, geschmackvoll arrangiert und orchestriert, getragen von einem sanften Bossa Nova-Beat.
Dionne Warwicks Gesang schwankt zwischen Gelassenheit und Verzweiflung, zwischen düsterer Akzeptanz und wütendem Wehklagen. «Walk on by» zeigt das perfekte Zusammenspiel von Songwriter und Sängerin.
If you see me walkin‘ down the street
And I start to cry each time we meet
Walk on by
Walk on by
Wenn du mich die Strasse hinuntergehen siehst
Und ich jedesmal, wenn wir uns sehen, anfange zu weinen
Geh vorbei,
Geh vorbei
Make believe that you don’t see the tears
Just let me grieve
In private ‚cause each time I see you
I break down and cry
Tu so, als würdest du die Tränen nicht sehen
Lass mich einfach nur im Stillen trauern,
Denn jedesmal wenn ich dich sehe
Breche ich zusammen und weine
Walk on by (Don’t stop)
Walk on by (Don’t stop)
Walk on by
Geh vorbei, bleib nicht stehen
Geh vorbei, bleib nicht stehen
geh vorbei
Jede Wiederholung des Satzes «geh vorbei» ruft den Schmerz der Liebe hervor.
I just can’t get over losin‘ you
And so if I seem broken and blue
Walk on by
Walk on by
Ich komme nicht darüber hinweg, dass ich dich verloren habe
Wenn ich also gebrochen und einsam aussehe
Geh vorbei
Geh vorbei
Foolish pride, that’s all that I have left
So let me hide
The tears and the sadness you gave me
When you said goodbye
Dummer Stolz ist alles, was mir noch bleibt
Also lass mich die Tränen und die Traurigkeit verstecken, die du mir gebracht hast
Als du dich verabschiedet hast
Walk on by (Don’t stop)
Walk on by (Don’t stop)
Now you really gotta go, so walk on by (Don’t, don’t stop)
Baby, leave, you’ll never see the tears I cry (Don’t, don’t stop)
Now you really gotta go, so walk on by (Don’t, don’t stop)
Baby, leave, you’ll never see the tears I cry (Don’t, don’t stop)
Jetzt musst du wirklich gehen, also geh vorbei, bleib nicht stehen
Liebling geh, du wirst nie die Tränen sehen, die ich weine
Jetzt musst du wirklich gehen, also geh vorbei, bleib nicht stehen
Liebling geh, du wirst nie die Tränen sehen, die ich weine
«Walk on by» verkörpert die einzigartige Stellung, die Dionne Warwick in der Ruhmeshalle der schwarzen Sängerinnen der 1960er-Jahre besitzt. Während beispielsweise Aretha Franklin fest im Soul, Gospel und R&B verwurzelt ist, wendet sie sich mit ihrem Fokus auf komplizierte Arrangements und Geschichtenerzählen eher an das Pop-Publikum.
Es ist nicht die Stimmkraft, sondern feinstes, jazziges Modulationsvermögen. Das Leise, das dazugehört, diese leichte Distanziertheit im Timbre, die Warwick zur Kunst formt, selbst in den zartesten Passagen. Ihr Soul hat schon immer diese Eingängigkeit, diese elegante Glätte, die in ihren besten Momenten von einem emotionalen Tiefgang angehaucht ist.
Zu ihren weiteren Hits aus der Feder von Hal David und Burt Bacherach gehören «Say a little prayer» (1967). «Do you know the way to San Jose?» (1968) oder «I’ll never fall in love again» (1969).
Nachdem sich das Dreiergespann 1973 verkracht hat, bleibt die sechsfache Grammy-Awards-Gewinnerin weiterhin erfolgreich, insbesondere in den 1980er-Jahren. 1982 schafft es die von den Bee Gees geschriebene und von Warwick interpretierte Ballade «Heartbreaker» in die Hitparaden.
Drei Jahre später steht sie mit dem Song «That’s what friends are», einem Benefiz-Song für die Aids-Forschung, an der Spitze der Charts, aufgenommen mit Gladys Knight, Elton John und Stevie Wonder.
Zurzeit befindet sich die 84-jährige Sängerin auf einer Abschiedstournee mit dem Titel «Don’t Make Me Over – In Person & In Her Own Words» und strahlt immer noch Noblesse und Souveränität aus.
Einzelne Konzerte schliesst sie allerdings auch in Zukunft nicht aus.
- Gefällt Ihnen die Musik von Dionne Warwick? Welche Hits mögen sie besonders? Erzählen Sie uns doch davon. Wir würden uns sehr freuen.
- Mehr «Songs und ihre Geschichten» von Urs Musfeld finden Sie hier.
Urs Musfeld alias Musi

© Claudia Herzog
Urs Musfeld alias MUSI, Jahrgang 1952, war während 39 Jahren Musikredaktor bei Schweizer Radio SRF (DRS 2, DRS 3, DRS Virus und SRF 3) und dabei hauptsächlich für die Sendung «Sounds!» verantwortlich. Seine Neugier für Musik ausserhalb des Mainstreams ist auch nach Beendigung der Radio-Laufbahn nicht nur Beruf, sondern Berufung.
Auf seiner Website «MUSI-C» gibt’s wöchentlich Musik entdecken ohne Scheuklappen zu entdecken: https://www.musi-ch