«The Boxer» von Simon & Garfunkel Songs und ihre Geschichten
Sie intonieren die Atmosphäre einer Stadt, sie umfassen ein Jahrzehnt. Nur fünf reguläre gemeinsame Alben haben Simon & Garfunkel unter diesem Namen aufgenommen, aber mit ihrer Mischung aus Folk und Pop unzählige Welthits hervorgebracht. Songs wie «The sound of silence», «Mrs. Robinson», «The boxer» oder «Bridge over troubled water» haben sich in das kollektive Gedächtnis gebrannt.
Von Urs Musfeld
Paul Simon und Art Garfunkel sind zwei Schulfreunde, beide geboren im Herbst des Jahres 1941, aufgewachsen in jüdischen Mittelstandsfamilien im New Yorker Stadtteil Queens. Gemeinsam beginnen sie im Teenageralter Coverversionen ihrer Lieblingslieder aufzunehmen und an der perfekten Harmonie ihrer Stimmen zu arbeiten, dem Kennzeichen ihrer späteren Karriere. Sie nennen sich Tom & Jerry und landen 1957 mit «Hey schoolgirl» ihren ersten kleinen Hit. Ihr Sound erinnert an das bekannte Duo The Everly Brothers.
Nach dem High-School-Abschluss studiert Paul Simon englische Literatur, Art Garfunkel Architektur. Als sich Anfang der 1960er-Jahre im New Yorker Künstlerviertel Greenwich Village die Folkszene mit ihrem politischen Selbstverständnis formiert (Bob Dylan, Joan Baez, Phil Ochs), nehmen die beiden 1964 als Simon & Garfunkel ihr akustisches Debüt-Album «Wednesday Morning, 3 A.M.» auf.
Darauf enthalten ist die ursprüngliche Version von «The sound of silence». Paul Simon schreibt den Song über Monate hinweg. Schon als Jugendlicher hat er sich im Badezimmer eingeschlossen, das Licht ausgemacht und den Wasserhahn aufgedreht: «Der Klang des Wassers entspannte mich», erklärt er in einem Interview. «Die Fliesen sorgten für ein fabelhaftes Echo, wenn ich sang: «Hello darkness my old friend …». Er fühlt sich wohl und geborgen in der Dunkelheit:
«Hallo Dunkelheit, meine alte Freundin
ich bin gekommen, um mit dir zu reden
weil eine Vision sanft schleichend
ihre Saat hinterliess, während ich schlief
und die Vision, die mir ins Hirn gepflanzt wurde
besteht noch immer
in dem Klang der Stille»
Das Album schlägt nur mässig ein. Ohne ihr Wissen legt ein Produzent ein Jahr später E-Gitarre, Bass und Schlagzeug unter das Lied: Diese Folk-Rock-Version von «The sound of silence» wird 1965 ihr erster Nummer-eins-Hit in den USA und läutet den internationalen Durchbruch von Simon & Garfunkel ein. Es folgen weitere erfolgreiche LPs und Singles, darunter «Mrs.Robinson» aus dem Soundtrack zum Film «The Graduate» (1968).
Die Rollenaufteilung bleibt weiterhin klar: Simon ist für poetische Texte und Melodien mit Wiedererkennungswert zuständig, Garfunkel steuert seine glockenhelle Stimme bei, die den Songs ihren unverwechselbaren Klang gibt. Der Grundton ist von Melancholie, einer Lebenshaltung des wehmütigen Bedauerns gekennzeichnet.
Perfektion bis ins Letzte
1970 erscheint ihre fünfte Studio-LP «Bridge Over Troubled Water». Simon & Garfunkel spielen die Klaviatur eines modernen Studios voll aus – kleinste Details werden bis zur Perfektion ausproduziert und übereinandergeschichtet. Paul Simon packt die unterschiedlichsten Musikeinflüsse zusammen und vermischt sie. Latin-Rhythmen, Gospel beeinflusste Arrangements oder peruanische Volksmusik in «El condor pasa», ein erstes Beispiel für Simons Interesse an Weltmusik. Die weiteren Hits sind das Titelstück «Bridge over troubled water» (eine Ode an die Freundschaft) und «The boxer».
«The boxer» – ein verkapptes Selbstporträt vor grosstädtischer Kulisse, aus der wir einen müden Kämpfer hervortreten sehen, einen jungen Mann, der sein Heim und Familie verlassen hat, um sich fortan in den dunklen Ecken des urbanen Dschungels herumzutreiben:
When I left my home and my family
I was no more than a boy
In the company of strangers
In the quiet of a railway station running scared
Laying low, seeking out the poorer quarters
Where the ragged people go
Looking for the places only they would know
Als ich mein Zuhause und meine Familie verliess
War ich nichts weiter als ein Junge
In der Gesellschaft von Fremden
In der Stille des Bahnhofs bin ich voller Angst davongerannt
Habe mich versteckt und die ärmeren Viertel ausfindig gemacht
Wo die zerlumpten Menschen leben
Habe die Plätze gesucht, die nur sie kennen
Der Weg nach dem wahren Leben führt in weiter. Er sucht Arbeit, findet keine. Stattdessen erhält er Angebote von Huren:
Asking only workman’s wages
I come looking for a job
But I get no offers
Just a come-on from the whores on Seventh Avenue
I do declare there were times when I was so lonesome
I took some comfort there
Hab nur nach Lohn für Arbeiter gefragt
Als ich einen Job gesucht hab
Aber ich hab’ keine Angebote gekriegt
Ausser eindeutigen Angeboten von den Huren in der Seventh Avenue
Ich muss gestehen, es gab Zeiten, da war ich so einsam
Dass ich dort etwas Trost gesucht habe
Zum Schluss taucht noch der zweite Charakter des Liedes auf – der Boxer. Eine Art Metapher für den jungen Mann, dessen Geschichte den Anfang dominiert. Beide haben entmutigende Enttäuschungen erlebt und sich dennoch entschlossen, im Kampf zu bleiben:
In the clearing stands a boxer
And a fighter by his trade
And he carries the reminders
Of every glove that laid him down
And cut him ‹til he cried out
In his anger and his shame
«I am leaving, I am leaving»
But the fighter still remains
Auf der Lichtung steht ein Boxer
Und ein Kämpfer seines Fachs
Und er trägt die Spuren
Jedes Handschuhs, der ihn niedergestreckt hat
Und ihn getroffen hat, bis er aufgeschrien hat
In seiner Wut und seiner Scham
«Ich breche auf, ich hau’ab»
Doch der Kämpfer in mir bleibt
Paul Simon offenbart später, dass er dieses Lied geschrieben hat, als die Kritiken zu ihrer Musik nach früherem Lob immer harscher wurden – er ist der «Boxer». Trotz der Leichtigkeit, die «The boxer» ausstrahlt, stecken in dem fünfminütigen Song über hundert Stunden Arbeit im Studio.
Mit dem Album «Bridge Over Troubled Water» schlagen Simon & Garfunkel ihre eigenen Rekorde: Sechs Grammys, während Wochen Nummer eins in den US-Billboardcharts, den Albumhitparaden von Grossbritannien, Holland, Norwegen und Deutschland.
Getrennte Wege
Schon immer ist die Beziehung der beiden Musiker von Spannungen geprägt. Während der ausufernden Sessions zu «Bridge Over Troubled Water» zerbricht sie schliesslich. Sie gehen auseinander, weil jeder sein Talent für sich glänzen lassen will. Bei Simon klappt es bestens. Sein weltweit grösster Erfolg ist das Album «Graceland» im Jahr 1986. Im Vergleich dazu verläuft Garfunkels Solokarriere weniger spektakulär. Es ist hauptsächlich der Single-Hit «Bright eyes» (1977), der in Erinnerung bleibt.
1981 entscheiden sich die beiden unterschiedlichen Charaktere nach Jahren der Funkstille zu einem gemeinsamen Auftritt bei einem Benefizkonzert vor 500 000 Leuten im Central Park in New York und feiern damit ein grandioses Comeback. Es folgen ein paar weitere Tourneen (1993, 2003) und Konzerte, das letzte 2010. Meist verbunden mit Trennungen im Streit.
So richtig versöhnt sind Simon & Garfunkel immer noch nicht, aber inzwischen scheinen die beiden Musiker sich damit arrangiert zu haben. «Wir haben unsere Leben gegenseitig bereichert», stellt Garfunkel klar. «Wir waren einfach eine bemerkenswerte Kombination zweier sehr verschiedener Menschen, die mit einer sehr kurzen Lunte verschmolzen sind».
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Urs Musfeld alias Musi
Urs Musfeld alias MUSI, Jahrgang 1952, war während 39 Jahren Musikredaktor bei Schweizer Radio SRF (DRS 2, DRS 3, DRS Virus und SRF 3) und dabei hauptsächlich für die Sendung «Sounds!» verantwortlich. Seine Neugier für Musik ausserhalb des Mainstreams ist auch nach Beendigung der Radio-Laufbahn nicht nur Beruf, sondern Berufung.
Auf seiner Website «MUSI-C» gibt’s wöchentlich Musik entdecken ohne Scheuklappen zu entdecken: https://www.musi-c.ch/