© Screenshot youtube

«Sweet dreams (are made of this)» von Eurythmics Songs und ihre Geschichten

Eurythmics waren das erfolgreichste gemischte Doppel der 1980er-Jahre: Annie Lennox und Dave Stewart prägten mit ihrem schillernden Synthie-Pop die Dekade nachhaltig mit. Zu ihren grössten Hits gehören u.a. «Sweet dreams (are made of this)», «Who’s that girl?» und «There must be an angel».

Text: Urs Musfeld

Die Wege der 1954 in eine schottische Arbeiterfamilie geborene Annie Lennox und des zwei Jahre älteren Dave Stewart aus Sunderland kreuzen sich 1978 in London.

Als Teil der New Wave-Band The Tourists schaffen sie es 1979 mit dem Dusty Springfield-Song «I only want to be with you» auf Platz 4 in den UK-Charts. Nach der Auflösung der Gruppe und trotz der Trennung als Paar gründen die beiden 1980 die Eurythmics. Musikalisch ist es ein Abschied vom gitarrenlastigen Sound hinein in die stetig wachsende Synthie-Pop-Szene.

Mit dem zweiten Album «Sweet Dreams (Are Made Of This)» und der gleichnamigen Single-Auskopplung gelingt dem Soundtüftler, Gitarristen und Produzenten Dave Stewart und Annie Lennox, der Frau mit der markanten und tiefen Stimme, 1983 der internationale Durchbruch. Der Song wird ein weltweiter Hit, der in verschiedenen Ländern, darunter auch in den USA, die Charts anführt.

«Sweet dreams (are made of this)» zeichnet sich aus durch eine hypnotische Melodie und eine der einprägsamsten Synthesizer-Linien in der Geschichte der elektronischen Popmusik und ist auf Anhieb wiedererkennbar. Trotzdem entspricht der Song nicht dem klassischen Hit-Strickmuster. Er besitzt keinen eigenen Refrain, seine Strophen liefert die Hookline. 

Der von Stewart kreierte Sound harmoniert perfekt mit der sinnlichen Kühle im Gesang von Annie Lennox. Ihre Stimme wechselt wahlweise zwischen Coolness und Soul und besitzt zudem die nötige Durchschlagskraft. Was zunächst als Experiment mit Synthesizern und einem Achtspur-Bandgerät beginnt, entwickelt sich zu einer zeitlosen Pop- und Clubhymne.

Entstanden ist das Lied am Tag der Trennung von Annie Lennox und Dave Stewart. Es reflektiert die Suche nach Erfüllung und die vielfältigen Wege, die Menschen auf der Suche nach Glück und Zufriedenheit einschlagen. Was motiviert sie?

Eurythmics
Annie Lennox und Dave Stewart © eurythmics.com

Endlose Suche

«Ich habe das Wort Motivation durch das Wort Träume ersetzt», erklärt die Sängerin in einem Interview mit dem englischen Guardian. Der Stoff, aus dem die «süssen Träume» gemacht sind, schlägt schnell in Bitterkeit um. «Es ist kein fröhliches Lied. Es ist düster», erläutert Lennox weiter: «Es drückt aus, wie ich mich damals fühlte: hoffnungslos und nihilistisch.» Lennox fasst diese düstere Weltsicht in wenigen Sätzen zusammen und wiederholt sie immer wieder. Die Zeilen werden zu einem Mantra, zu einer Beschwörung.

Sweet dreams are made of this
Who am I to disagree?
I’ve traveled the world and the seven seas
Everybody’s looking for something

Süsse Träume bestehen daraus
Wer bin ich, um zu widersprechen?
Ich bereise die Welt und die sieben Meere
Jeder sucht nach etwas

Die Suche kennt keine Grenzen und betrifft alle Menschen, unabhängig von ihrem kulturellen oder geographischen Hintergrund. Angesprochen werden auch die Illusionen, die oft mit dieser Suche einhergehen. Die wiederkehrende Frage, wer man ist, um zu widersprechen, unterstreicht die Unsicherheit und die ständige Selbstreflexion, die Teil dieses Prozesses sind.

Some of them want to use you
Some of them want to get used by you
Some of them want to get abuse you
Some of them want to be abused

Manche wollen dich benutzen
Manche wollen von dir benutzt werden
Manche wollen dich missbrauchen
Manche wollen missbraucht werden

Die Zeilen verweisen auf die dunklen Seiten der menschlichen Natur und auf die Fähigkeit zur Manipulation und zum Missbrauch (hier nicht in einem sexuellen Kontext verstanden).

Damit der Song nicht zu pessimistisch klingt, fügt Dave Stewart noch einen hoffnungsvolleren Teil hinzu: Den animierenden Aufruf, trotz Schwierigkeiten, standhaft zu bleiben:

Hold your head up
Keep your head up (movin› on)
Hold your head up (movin› on)
Keep your head up (movin› on)

Halt deinen Kopf oben, 
Halt deinen Kopf oben (es geht weiter)
Halt deinen Kopf oben (es geht weiter
Halt deinen Kopf oben (es geht weiter

Das Musikvideo zu «Sweet dreams (are made of this)» zeigt Lennox und Stewart in einer surrealen und dystopischen Umgebung, in der sie den Song inmitten von Bildern industrieller Maschinen und religiöser Ikonografie vortragen.

Die einerseits androgyn, andererseits sehr weiblich wirkende Annie Lennox passt bestens zwischen die neuen Stars der Zeit: Madonna, Prince, Michael Jackson, Boy George. Und wie David Bowie versteht es auch sie als Kunstfigur eine riesige Projektionsfläche für die unterschiedlichsten Ausdeutungen zu geben. Annie Lennox wird zu einem Aushängeschild einer neuen Frauengeneration.

Es folgen weitere Hits («Who’s that girl?»,«Here comes the rain again», «There must be an angel», «Sisters are doin’it for themselves») und ausgiebige Tourneen. 1990 nehmen die Eurythmics eine Auszeit. Nach einer kurzen Wiedervereinigung und der Veröffentlichung des Comeback-Albums «Peace» löst sich das Duo offiziell auf. Für einzelne Projekte stehen die beiden auch später gelegentlich gemeinsam auf der Bühne.

Lennox und Stewart widmen sich nun ganz ihrer bereits erfolgreich gestarteten Solokarrieren. Neben der Musik engagiert sich Annie Lennox sozial und politisch, für HIV/Aids-Bewusstsein, Frauenrechte und im Kampf gegen Hunger in Afrika. Noch heute ist die 69-Jährige als humanistische Aktivistin tätig. Vielbeschäftigt und gefragt ist auch Dave Stewart, sei es als Songwriter, Produzent (Bon Jovi, Bob Dylan, Tom Petty) oder Musicial-Komponist.

Im Rahmen der Tournee Eurythmics Songbook: Sweet Dreams – 40th Anniversary hat der Gitarrist 2023 zum Jubiläum des Albums die Musik der Eurythmics zurück auf die Bühne gebracht, begleitet von einer fünf-köpfigen Frauenband und drei Sängerinnen – im Einverständnis von Annie Lennox, die nicht mehr umherreisen will. Die Auftritte sind diesen Sommer weitergeführt worden und finden nochmals im November statt.

Urs Musfeld alias Musi

Portrait von Urs Musfeld

© Claudia Herzog

Urs Musfeld alias MUSI, Jahrgang 1952, war während 39 Jahren Musikredaktor bei Schweizer Radio SRF (DRS 2, DRS 3, DRS Virus und SRF 3) und dabei hauptsächlich für die Sendung «Sounds!» verantwortlich. Seine Neugier für Musik ausserhalb des Mainstreams ist auch nach Beendigung der Radio-Laufbahn nicht nur Beruf, sondern Berufung.

Auf seiner Website «MUSI-C» gibt’s wöchentlich Musik entdecken ohne Scheuklappen zu entdecken: https://www.musi-c.ch/

Beitrag vom 16.09.2024

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Das könnte sie auch interessieren

Musik

«O, Superman» von Laurie Anderson

Laurie Anderson, die amerikanische Multimedia-Pionierin, hat das einzigartige Talent, Performance, Text, Theater, Film, Musik, Bildende Kunst und neue Medien zu einem homogenen Ganzen zu verschmelzen. Weltweit bekannt wurde ihre Stimme 1981 durch ihr Lied «O Superman».

Musik

Mamma Mia: Was für ein Musical-Herbst

Eine ganze Palette an grossen Musical-Hits gibt es ab Oktober zu geniessen: Vom Dauerbrenner wie «Phantom of the Opera» bis zu Erich Vocks letztem Auftritt in der «Kleinen Niederdorfoper».

Musik

Wer ist J.S. Bach?

An den kommenden Appenzeller Bachtagen lautet das Motto «Bachs Werkstatt», Der Schwerpunkt liegt auf dem Schaffensprozess des berühmten Komponisten.

Musik

«Es lebe der Zentralfriedhof» von Wolfgang Ambros

Wolfgang Ambros gilt als Begründer des Austropop. Er steht für das Erwachen einer autonomen, kritischen österreichischen Popkultur. Zu seinen Hits gehören «Da Hofa», «Zwickt’s mi», «Es lebe der Zentralfriedhof» oder «Schifoan».