
«Into the mystic» von Van Morrison Songs und ihre Geschichten
Seit über 50 Jahren unternimmt der nordirische Sänger und Songschreiber Van Morrison textlich und musikalisch verschlungene Streifzüge durch Religionen und Mythen, Soul-Predigten auf Folk- und Jazz-Fundamenten, mit Stippvisiten immer wieder zu Rhythm & Blues und Country.
Text: Urs Musfeld
Seine Fähigkeit, emotionale Tiefe mit musikalischer Vielfalt zu verbinden, hat ihn zu einer einzigartigen Stimme gemacht. Seinen ersten grossen Hit als Solo-Künstler landete Van Morrison 1967 mit der Single «Brown eyed girl».
Geboren 1945 in Belfast als Kind einer protestantischen Arbeiterfamilie hat er in den späten 1950er-Jahr seine ersten Auftritte in verschiedenen Bands und spielt eine Vielzahl von Instrumenten, darunter Gitarre, Mundharmonika und Saxofon. Zu seinen Vorbildern zählen Mahalia Jackson, Ray Charles und Muddy Waters genauso wie Woody Guthrie und Hank Williams.
Massgeblichen Einfluss auf die musikalische Entwicklung des jungen Musikers hat auch die riesige Plattensammlung seines Vaters. So ziemlich jedes Genre, das sich Morrison später als Künstler zu eigen macht, läuft damals in seinem Elternhaus auf dem Plattenspieler.
Bekannt wird er Mitte der 1960er-Jahre als Leadsänger der nordirischen Rock-Band Them. Zu ihren grössten Hits gehören «Baby, please don’t go» und «Here comes the night». Mit der Van Morrison-Eigenkomposition «Gloria» gelingt den Them ein Standard, der später u.a. von Patti Smith, Jimi Hendrix und The Doors gecovert wird.
«Brown eyed girl», seine erste Single nach dem Ausstieg aus der Band, schafft es 1967 in die Top 10 der US-Charts. Den eigentlichen Übergang zu seiner beindruckenden Solokarriere markiert die Veröffentlichung des 2. Albums «Astral Weeks» im Jahr 1968. Ein komplexes Gesamtkunstwerk, stilistisch schwer einzuordnen – kommerziell hingegen ein Misserfolg. Der eigenwillige Nordire hat hier seine eigene musikalische Welt geschaffen.
Spiritualität und Mystik
«Moondance», das Nachfolgealbum aus dem Jahr 1970, wird ein Erfolg. Morrison definiert hier den Stil, den er mit Variationen bis heute pflegt. Es gibt auch einige zentrale Themen und Bilder, die Van Morrison immer wieder aufgreift. Es geht um die Suche nach spiritueller Erneuerung und Erlösung in Dingen wie Natur, Musik, romantischer Liebe und Sex. Nicht immer eindeutig, aber häufig auch in Form von doppeldeutigen Anspielungen und Begrifflichkeiten. Und es hat viel Platz für Mystik.
Das beschwingte und beliebte Titelstück drückt eine Sehnsucht nach Intimität und Verbundenheit aus, bei einem Tanz im Mondschein. Die Soul-Ballade «Crazy love» spiegelt die Gefühle tiefer Zuneigung und Sehnsucht wider. «Caravan» erzählt vom Unterwegssein, der gemeinschaftsstiftenden Kraft der Musik und der Magie des Radios: «Schalt das Radio ein und lass mich das Lied hören».
«Into the mystic» ist das Herzstück von «Moondance»: Gleich zu Beginn nimmt uns Van Morrison mit auf eine Segelreise, die auch als Metapher für eine Lebensreise verstanden werden kann. Das Besondere des Liedes liegt gerade in dieser Dualität, die durch die Verwendung von Wörtern, die gleich klingen, aber unterschiedliche Bedeutungen und Schreibweisen haben, dargestellt wird (Homophone).
Auf der einen Seite stellen wir uns ein reibungsloses Segeln vor, «von dem Wind getragen» («borne before the wind») oder – wie im Text – in einer spirituelleren Interpretation, «vor dem Wind geboren» («Born before the wind»), die ein Gefühl der Zeitlosigkeit und Verbindung zu etwas Grösserem hervorruft.
We were born before the wind
Also, younger than the sun
‚Ere the bonnie boat was won
As we sailed into the mystic
Wir wurden vor dem Wind geboren
Auch jünger als die Sonne
Bevor das Bonnie-Boot gewonnen wurde
Als wir in das Mystische segelten
Das Bonnie-Boat ist eine Anspielung auf «The Skye Boat Song», einem traditionellen schottischen Lied, das die Reise von Prinz Charles Edward Stuart, auch bekannt als Bonnie Prince Charlie, im späten 19. Jahrhundert, aufzeichnet.
Hark now, hear the sailors cry
Smell the sea and feel the sky
Let your soul and spirit fly
Into the mystic
Hört, wie die Seeleute schreien
Riecht das Meer und fühlt den Himmel
Lasst eure Seele und euren Geist fliegen
In das Mystische
Und immer träumt er von der Rückkehr nach Hause:
Yeah, when that fog horn blows
I will be coming home
Yeah, when that fog horn blows
I wanna hear it
I don’t have to fear it
Ja, wenn das Nebelhorn bläst
Ich werde nach Hause kommen
Ja, wenn das Nebelhorn bläst
Ich will es hören
Ich muss es nicht fürchten
And I wanna rock your gypsy soul
Just like way back in the days of old
Then magnificently we will float
Into the mystic
Und ich will deine Zigeunerseele rocken
Genau wie damals in den alten Tagen
Dann werden wir herrlich schweben
In das Mystische
Neben Segeln und Fliegen als Bilder der Bewegung taucht hier das Schweben als Bild einer ganz und gar transzendentalen Reise auf.
When that fog horn blows
You know I will be coming home
Yeah, when that fog horn whistle blows
I gotta hear it
I don’t have to fear it
Wenn das Nebelhorn bläst
Du weisst, dass ich nach Hause kommen werde
Ja, wenn das Nebelhorn pfeift
Ich muss es hören
Ich muss es nicht fürchten
Allein durch das Nebelhorn weiss er, wo er ist. Er trifft irgendwo in einem Hafen ein, hat Land und Ziel erreicht. Auf der Suche nach seinem Platz im Universum als Teil des Ganzen kommt er mit sich ins Reine.
Zum Schluss aber sagt er vielsagend:
Come on, girl
Too late to stop now
Komm schon, Mädchen
Zu spät, um jetzt aufzuhören
«Into the mystic» fängt die Essenz von Abenteuer, Liebe und dem Unbekannten ein. Das Lautwerden und Flüstern, das Beschwörende von Van Morrisons Stimme, im Zusammenspiel mit den Instrumenten, das Aufeinander-Eingehen machen das Stück – überhaupt seine Musik – besonders. Eine Umfrage der BBC in den späten 1990er-Jahre hat ergeben, dass Chirurgen das Lied wegen seines «niedrigen Pulses» gerne bei ihren Operationen hören.
Über 40 Studio-Alben hat Van Morrison aufgenommen, darunter grossartige, mittelmässige und überraschende. Sein neustes Werk «Remembering Now» ist am 13. Juni erschienen. Mit Hut, Sonnenbrille und meist in dunklem Anzug – so sieht man den stimmgewaltigen Musiker heute oft auf der Bühne. Wenn Morrison beseelt ist, sind seine Konzerte eine spirituelle Offenbarung. Legendär ist aber auch seine schlechte Laune bei den Auftritten. In Interviews gilt er als eher schwierig.
Der rastlose Liebes- und Gottsucher feiert am 31. August seinen 80. Geburtstag.
- Mögen Sie die Musik von Van Morrison? Was mögen Sie an seinen Hits besonders? Erzählen Sie uns doch davon. Wir würden uns sehr freuen.
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Urs Musfeld alias Musi

© Claudia Herzog
Urs Musfeld alias MUSI, Jahrgang 1952, war während 39 Jahren Musikredaktor bei Schweizer Radio SRF (DRS 2, DRS 3, DRS Virus und SRF 3) und dabei hauptsächlich für die Sendung «Sounds!» verantwortlich. Seine Neugier für Musik ausserhalb des Mainstreams ist auch nach Beendigung der Radio-Laufbahn nicht nur Beruf, sondern Berufung.
Auf seiner Website «MUSI-C» gibt’s wöchentlich Musik entdecken ohne Scheuklappen zu entdecken: https://www.musi-ch