Quelle: ninasimone-com

«Four women» von Nina Simone Songs und ihre Geschichten

Die amerikanische Pianistin, Sängerin und Komponistin Nina Simone hinterliess ein bemerkenswertes musikalisches Erbe. «Hohepriesterin des Soul» hat man sie genannt. Sie hingegen sprach selbstbewusst von «Black Classical Music», auch weil sie ihre Kunst dazu nutzen wollte, gegen Rassismus und die Diskriminierung von Schwarzen zu protestieren.

Text: Urs Musfeld

Berühmt wird Nina Simone mit Songs wie «My baby just cares for you», «I loves you, Porgy», «I put a spell on you», «Feeling good», «Don’t let me be misunderstood», «To be young, gifted and black» oder «Four women».

Von Anfang an bewegt sie sich souverän zwischen den Stil-Schubladen – zwischen Jazz, Soul, Gospel, Blues, Folk und Pop.

Die 1933 in North Carolina als Eunice Kathleen Waymon geborene Musikerin fällt früh als begabte Klavierspielerin auf. Zuhause gibt es Blues und Gospel zu hören, aber dem Kind hat es insbesondere die Klassik angetan – speziell die von Johann Sebastian Bach.

Damals träumt sie noch davon, die erste schwarze Konzertpianistin der USA zu werden. Aber als sie dann bei einer Musikhochschule in Philadelphia vorspielt und – vermutlich wegen ihrer Hautfarbe – abgelehnt wird, zerbricht ihre Lebensplanung. 

Stattdessen sattelt sie bald auf Sängerin und Jazzpianistin um. Ihre individuelle Mischung aus Jazz- und Popstandards macht sie schnell zu einer Konzertattraktion. 

1959 erscheint ihr Debutalbum «Little Girl Blue». Mit ihrer Version von Gershwins «I loves you, Porgy» (aus dem Musical «Porgy & Bess) landet Nina Simone auch umgehend einen Hit. 

In den 1960ern widmet sich Nina Simone dem Freiheitskampf. 1963, das grosse Jahr der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung mit dem legendären Marsch auf Washington, ist ein Jahr der Gewalt. «Mississippi goddam», Simones erster Protestsong, wird zur Hymne der Bewegung, Auslöser sind die Ermordung des Aktivisten Medgar Evers in Jackson, Mississippi, durch ein Mitglied des Ku-Klux-Klands und der Bombenanschlag auf eine Kirche in Birmingham, Alabama, bei dem im selben Jahr vier junge schwarze Mädchen ermordet werden. 

In diesem Song gibt es keine Metaphern, keine Anspielungen. Geschildert werden die nackten, grausamen Fakten, zu hören auf der Live-LP «Nina Simone In Concert» (1964).

Kampf für afroamerikanische Frauen

Das feministische «Four women» (1966), das leichtfüssige «Wish I knew how it would feel to be free» (1967), die erhabene Gospelnummer «To be young, gifted, and black» (1969) oder «Revolution» (1970) – weitere Lieder, die die Stimmung der späten 1960er-Jahre einfangen.

«Four Women» ist ein Schrei der Revolte, ein engagierter, kraftvoller Titel, in dem Nina Simone ihre ganze Wut über die Ungerechtigkeiten, die schwarze Frauen erleiden, zum Ausdruck bringt.

Der Song porträtiert vier afroamerikanische Frauen, die alle auf ihre Weise die Rassengewalt in den USA illustrieren, aber auch die verschiedenen Facetten der Künstlerin, die für ihr rebellisches Temperament bekannt ist.

«Four women» entstand nach Gesprächen, die ich mit schwarzen Frauen geführt habe», wird Simone zu dem Song zitiert. «Es schien, als ob wir alle unter Selbsthass litten. Wir hassten unseren Teint, unsere Haare, unsere Körper. Mir wurde klar, dass wir von einigen schwarzen Männern und vielen Weissen einer Gehirnwäsche unterzogen worden waren, um uns so zu fühlen.»

Jede Strophe des Liedes führt einen neuen Charakter ein.

Aunt Sarah verkörpert die Geschichte der Sklaverei in den USA. Die scheinbar ruhige Musik bringt die Gewalt der Worte zum Vorschein:

My skin is black
My arms are long
My hair is woolly
My back is strong
Strong enough to take the pain
Inflicted again and again
What do they call me?
My name is Aunt Sarah
My name is Aunt Sarah, Aunt Sarah

Meine Haut ist schwarz
Meine Arme sind lang
Mein Haar ist wollig
Mein Rücken ist stark
Stark genug, um den Schmerz zu ertragen
Wieder und wieder zugefügt
Wie nennt man mich?
Mein Name ist Tante Sarah
Mein Name ist Tante Sarah, Tante Sarah

Die gemischtrassige Saffronia sieht sich gezwungen, «zwischen zwei Welten» zu leben. Ihre Geschichte verdeutlicht das Leiden der Schwarzen unter den Weissen in Machtpositionen:

My skin is yellow
My hair is long
Between two worlds
I do belong
My father was rich and white
He forced my mother late one night
What do they call me?
My name is Saffronia
My name is Saffronia

Meine Haut ist gelb
Mein Haar ist lang
Zwischen zwei Welten
Ich gehöre dazu
Mein Vater war reich und weiss
Er zwang meine Mutter spät in einer Nacht
Wie nennt man mich?
Mein Name ist Saffronia
Mein Name ist Saffronia

Sweet Thing arbeitet als Prostituierte. Sie wird sowohl von Schwarzen als auch von Weissen akzeptiert, weil sie ihren Körper verkauft. 

My skin is tan
My hair is fine
My hips invite you
My mouth like wine
Whose little girl am I?
Anyone who has money to buy
What do they call me?
My name is Sweet Thing
My name is Sweet Thing

Meine Haut ist hellbraun
Mein Haar ist fein
Meine Hüften laden dich ein
Mein Mund wie Wein
Wessen kleines Mädchen bin ich?
Jeder, der Geld hat, um mich zu kaufen
Wie nennt man mich?
Mein Name ist Sweet Thing
Mein Name ist Sweet Thing

Härte und Verbitterung, ausgelöst durch das erlittene Leid und die Unterdrückung ihres Volkes über Generationen hinweg, zeigt sich bei der vierten Frau. Mit einem Schrei enthüllt Nina Simone nach einem dramatischen Finale den Namen: Peaches

My skin is brown
My manner is tough
I’ll kill the first mother I see
My life has been rough
I’m awfully bitter these days
Because my parents were slaves
What do they call me?
My name is Peaches

Meine Haut ist braun
Meine Art ist hart
Ich werde die erste Mutter töten, die ich sehe
Mein Leben war hart
Ich bin in diesen Tagen furchtbar verbittert 
Weil meine Eltern Sklaven waren
Wie nennen sie mich?
Mein Name ist Peaches

Das Arrangement des Songs ist spärlich, mit einer minimalen Instrumentierung, die es Simones prägnanter Alt-Stimme ermöglicht, in den Mittelpunkt zu treten und die Zuhörer*innen in die emotionale Tiefe der Erzählung jeder Figur zu ziehen. Ein Meisterstück der langsam aufflammenden Wut. Ein Lied, das seine Intensität über einer einfachen, sich wiederholenden Klavierfigur allmählich steigert.

Die Wut und Kraft von «Four women» führt jedoch dazu, dass es bei einer Reihe von schwarzen Radiosendern auf die schwarze Liste gesetzt wird, sehr zu Simones Leidwesen. Das heutige Vermächtnis des Songs spricht jedoch für sich selbst. Fast fünf Jahrzehnte nach seiner Veröffentlichung adaptiert Christina Ham 2016 den Song in dem Theaterstück «Nina Simone: Four women».

Die Dramatikerin und Journalistin Thulani Davis fasst es so zusammen: «Für afroamerikanische Frauen wurde es zu einer Hymne, die unsere Existenz, unsere Vernunft und unseren Kampf um das Überleben in einer Kultur, die uns als frauenfeindlich betrachtet, bekräftigt.» 

Charismatische Performern

In ihrer Autobiographie «I Put A Spell On You» (1992) nennt Nina Simone das Jahr 1970 als Wendepunkt ihres politischen Engagements.

Enttäuscht und verraten von «Männern, Plattenfirmen, Veranstaltern» und ihrer Familie kehrt sie 1974 den USA – auch wegen laufender Steuerhinterziehungsverfahren – den Rücken und sucht Zuflucht auf Barbados und in Liberia. Später lebt sie zeitweise in der Schweiz, England, Holland und Frankreich.

 «My baby just cares for me», eine swingende Nummer von ihrem Debutalbum, wird 1987 durch die Chanel-Werbung unverhofft zu Nina Simones grösstem Hit und zum Vehikel ihres Comebacks. Verdient hat sie allerdings nichts, weil sie seinerzeit die Rechte an der Platte verkauft hat.

Sie ist eine charismatische Performerin, gilt aber auch als launisch und reizbar. Sie versteckt die eigenen Emotionen nicht, sondern zeigt sie offen auf der Bühne. Ihr Leben schwankt stets zwischen öffentlicher Bewunderung und privater Tragödie – zwischen Überlebenskünsten und Abstürzen (Alkohol, Psychosen). 

Die letzten zehn Jahre ihres Lebens verbringt Nina Simone in Südfrankreich. 2003 stirbt sie im Alter von 70 Jahren an Brustkrebs. Ihre Lieder, die Träume einer Entertainerin, erinnern auch an das Jahrhundert der fast zerbrochenen Utopien. Simones Musik handelte von Liebe und Respekt – und deren Gegensätze, insbesondere in Bezug auf die Rasse. Ihr Werk umfasst 19 Studioalben und 14 Liveplatten.


Urs Musfeld alias Musi

Portrait von Urs Musfeld

© Claudia Herzog

Urs Musfeld alias MUSI, Jahrgang 1952, war während 39 Jahren Musikredaktor bei Schweizer Radio SRF (DRS 2, DRS 3, DRS Virus und SRF 3) und dabei hauptsächlich für die Sendung «Sounds!» verantwortlich. Seine Neugier für Musik ausserhalb des Mainstreams ist auch nach Beendigung der Radio-Laufbahn nicht nur Beruf, sondern Berufung.

Auf seiner Website «MUSI-C» gibt’s wöchentlich Musik entdecken ohne Scheuklappen zu entdecken: https://www.musi-ch

Beitrag vom 18.03.2025

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Das könnte sie auch interessieren

Musik

Gratis ans Konzert von Marc Sway & Band

Am 3. April steht Marc Sway mit Band im Cube Concept Club im MesseQuartier Basel auf der Bühne. Die Zeitlupe verlost Tickets für das Live-Konzert des beliebten Schweizer Rock-Pop-Musikers.

Musik

Musikalische Weltbürger – Pink Martini in Zürich

Die amerikanische Kultband Pink Martini wird 30 – und tritt im Rahmen ihrer Geburtstagstournee auch im Zürcher Volkshaus auf.

Musik

Wie gut kennen Sie Polo Hofer? Machen Sie das Quiz!

Am 16. März 2025 wäre Polo Hofer 80 Jahre alt geworden. Mit seinen Bands wie «Rumpelstilz» und «SchmetterBand» brachte es der Mundartrocker, der 2017 starb, zu schweizweiter Berühmtheit. Wie gut kennen Sie «Polo national»?

Musik

Highlight für Musicalfans – «Pretty Woman» in Zürich

«Pretty Woman», die Geschichte der Prostituierten mit Herz, die ihren Prinzen im dunklen Anzug findet, wurde für die Bühne mit Musik von Bryan Adams adaptiert. Nun gastiert das Musical erstmals in der Schweiz.