Klöppeln: eine Spitzen-Meditation
Spule, Nadeln und Leinenfaden: Einst bewahrte Klöppeln Schweizer Familien vor Armut. Heute ist das filigrane Handwerk ein Hobby – das sogar einen jungen Mann dazu verführte, sein Klöppelkissen in den WK mitzunehmen.
Bilder und Text: Claudia Herzog
Ein mit Karton verstärktes feines Stück Papier liegt auf dem runden, flachen Kissen. Darauf formen aufgezeichnete Linien und Punkte ein Sternmuster. Die Klöppel – holzige Spulen, auf die die Fäden gewickelt sind – sind paarweise an das Kissen befestigt. Ab und zu halten Mathilde Erni und Christine Meier inne, betrachten ihre Vorlage und stecken weitere Stecknadeln in ihr Kissen. In präzisen Bewegungen tanzen ihre Finger mit dem Faden bedächtig über den Stoff.
«Klöppeln ist etwas Intensives, wie eine Meditation.»
So entsteht Zentimeter für Zentimeter schönste Spitze. «Klöppeln ist etwas Intensives», sagt Mathilde Erni, «der Kopf ist stets gefordert, geübte Hände bewegen sich mit der Zeit instinktiv. Klöppeln ist wie eine Meditation.»
«Ich war von Anfang an von dieser alten Technik fasziniert», erzählt die ausgebildete Handarbeitslehrerin. Aber als die heutige 70-Jährige ihre Ausbildung in Zürich absolvierte, fand sie keine geeigneten Anleitungen für dieses Handwerk, und die Klöppel waren damals nur in Spezialgeschäften und zu horrenden Preisen erhältlich. Viel zu teuer und zu exklusiv für eine Studentin.
«Doch dann erfasste Mitte der 70er -Jahre eine Nostalgiewelle die Schweiz, alte Möbel wurden nicht mehr entsorgt, sondern wieder restauriert. Auch Spitzen – beispielsweise an Vorhängen oder auf Polstern – kamen wieder in Mode», erinnert sich Mathilde Erni. «In dieser Zeit wurde das Klöppeln in der Schweiz wiederentdeckt und neu belebt.»
Klöppeln verbindet Generationen
Aus Belgien – der Hochburg des Klöppelns – stammten damals ihre ersten gekauften Muster, sogenannte Klöppelbriefe. Mathilde Ernis Leidenschaft für Spitzen wurde endlich fassbar. Auch Christine Meiers 58-jähriges Herz schlägt für Spitzen. Sie erzählt: «Im Ballenberg-Museum entdeckte ich vor vielen Jahren das Klöppeln und wusste sofort, dass ich dieses Kunsthandwerk auch beherrschen will.»
Heute treffen sich Mathilde Erni, Christine Meier und ihre Kollegin Vreni Lauffer regelmässig in ihrem Spitzen-Atelier, einem hübschen Holzanbau mit spitzen Fenstern und in direkter Nachbarschaft zum Gottfried-Keller-Museum in Glattfelden. Dort geben die drei Frauen regelmässig Klöppelkurse. «Zu uns kommen Frauen und Männer in jedem Alter», sagt Mathilde Erni. «Unsere jüngste Kursteilnehmerin ist 20, unsere älteste 94 Jahre alt.
Vereinzelt finden sich auch Männer in den Kursen ein. «Ein junger Mann aus Zürich, der beruflich Möbel restauriert, wollte so dringend klöppeln lernen, dass er sogar ein Urlaubsgesuch während seiner letzten obligatorischen Militärzeit stellte. Mit Erfolg. So war sein Klöppelkissen auch während des WKs sein ständiger Begleiter.»
Klöppeln – eine universelle Sprache
Seit über 20 Jahren treffen sich ihre Klöppel-Gruppen, vor allem in den Wintermonaten regelmässig. «Zu uns kommen viele verwitwete Frauen», sagt Christine Meier. «Gerade in den kalten, dunklen Monaten hilft das gemeinsame Klöppeln auch gegen Einsamkeit.» Dabei werden Neuigkeiten ausgetauscht, die eine oder andere Sorge erzählt. Hin und wieder wird auch ein Glas Wein zusammen getrunken.
« Jedes neue Muster ist eine neue Herausforderung.»
«Nein, es braucht keine besonderen Talente fürs Klöppeln», findet Christine Meier, «gefragt ist vor allem eines, nämlich Geduld und viel Zeit.». «Geklöppelt werden Spitzentechniken aus den verschiedensten Ländern, welche durch die heutige moderne Kommunikation weltweit verbreitet und ausgetauscht werden», ergänzt Mathilde Erni. «Klöppeln hat eine universelle Sprache – die es immer weiterzuentwickeln gilt. Stehen zu bleiben, ist keine Option. Jedes neue Muster ist eine neue Herausforderung. Deshalb bleibt Klöppeln für immer spannend.»
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