© Netflix / Silverback Films

David Attenboroughs Plädoyer für unseren Planeten

Der weltbekannte britische Naturfilmer David Attenborough blickt in einem neuen Netflix-Film zurück, wie die Umweltzerstörung in seiner Lebenszeit ihren Lauf nahm. Aufrüttelnd.

Von Fabian Rottmeier

Seinen Ruhestand geniessen? Kommt für David Attenborough auch mit 94 Jahren nicht infrage. Der bekannteste Naturfilmer der Welt will nicht schweigen, wenn er weiterhin zusehen muss, wie die Menschheit ihren Planeten zerstört. Wir hätten die Erde überrannt, sagt der unter anderem als Sir geadelte Brite im neuen Netflix-Dokumentarfilm «David Attenborough – Mein Leben auf unserem Planeten». Ausser ihm sind im 85-minütigen Film praktisch nur Tiere und Bäume zu sehen. Trotzdem ist das von WWF Grossbritannien mitproduzierte Werk kein eigentliches Porträt geworden, sondern «meine Zeugenaussage», wie es Attenborough selbst nennt.

Der Film rollt auf, wie die Umweltzerstörung der Menschheit seit Attenboroughs Geburt ihren Lauf genommen hat. Als David Attenborough ein Kind war, lebten 2,3 Milliarden Menschen auf der Erdkugel. Heute sind es 7,8 Milliarden. Von damals 66 Prozent intakter Wildnis sind im Jahr 2020 noch gerade mal 35 Prozent übrig. Zwei Drittel sind zerstört. «Wir haben das Wilde durch das Zahme ersetzt», sagt er über die Auswirkungen der Waldrodungen und der industriellen Landwirtschaft.

Filmausschnitt zu «David Attenborough – A Life On Our Planet»

Auch wenn man einige der erschreckenden Fakten zur Lage der Welt schon mehrfach gehört haben mag: Wenn sie von einem 94-jährigen Naturfilmer, der die Welt gesehen hat wie kein Zweiter, direkt in die Kamera blickend aufgezählt werden, haben sie eine andere Wirkung. Seine Stimme, sein Sprechrhythmus und seine Sprechmelodie, wenn er Sätze fast wie eine Frage tönend ausklingen lässt, sind längst zu einem Markenzeichen geworden. Er ist das vertonte Gewissen der Natur. Gewiss, auch die pathetische Musik trägt ihren Teil dazu bei, doch der Film rüttelt auf, schockiert – und macht traurig. Zwei Zahlen als Beispiel: Die Fischindustrie hat 90 Prozent der grossen Meeresfische vernichtet. Jährlich werden 15 Milliarden Bäume abgeholzt – ausgerechnet sie, die in der Lage sind, aus verschmutzter Luft wieder reine zu machen.

Als die Film-Crew noch in «Zebras» flog

Der geschickt erzählte Film zeigt chronologisch auf, wie David Attenborough in den 1950er-Jahren bei der BBC mit Naturdokumentationen begann. Die Zuschauerinnen sehen, wie man damals noch in Zebramustern bemalten Flugzeugen erstmals den Herden in der Serengeti-Savanne folgte. Bald reifte im ehemaligen Mitglied der britischen Kriegsmarine die Erkenntnis, dass die Wildnis endlich ist, so gross sie auch scheint. Er sagt im Film, es sei rückblickend naiv gewesen, zu glauben, die Natur sei noch weitgehend intakt, bloss weil man stundenlang über unberührte Wildnis fliegen konnte. Eingeprägt haben sich Millionen von Menschen die Bilder von Attenborough, wie er sich Ende der 70er-Jahre in der Wildnis höchst amüsiert von den selten gewordenen Berggorillas in Zentralafrika betatschen lässt.

Filmvorschau zu «David Attenborough – A Life On Our Planet»

Doch die Macher des neuen Films – darunter Regisseur Alastair Fothergill, bekannt geworden durch die BBC-Reihe «Planet Erde» – entlassen ihr Publikum nicht deprimiert, sondern leicht hoffnungsvoll. Sie zeigen uns mit dem weisen Londoner auf, wie sich der Klimawandel stoppen liesse: nämlich mit der Wiederherstellung der Artenvielfalt. Und zwar, indem man den Lebensstandard weltweit verbessere, ohne unseren ökologischen Fussabdruck zu vergrössern, so die Botschaft. Dies gelinge durch fischfangfreie Zonen und reduzierte Agrarflächen dank pflanzenbasierter Ernährung.

«Der Planet kann keine Milliarden an grossen Fleischesserinnen und -essern erhalten. Dafür ist kein Platz», sagt Attenborough. Alles andere wäre Fatalismus, so die Aussage des Netflix-Films. Denn der 94-Jährige ist sich sicher: «Die Natur wird sich erholen – mit oder ohne uns.» Eine Botschaft, die auch nachhallen wird, wenn David Attenborough seinen geliebten Planeten dereinst verlassen haben wird. Bis dahin geht sein Kampf weiter, neuerdings auch auf Instagram, wo er innert drei Wochen 5,8 Millionen Menschen dazu gebracht hat, seine Einträge zu verfolgen. Auch sie sind nun zu Zeugen geworden.

«David Attenborough – A Life On Our Planet», auf Netflix zu sehen: https://www.netflix.com/watch/80216393

Weitere Infos zum Film: https://www.attenboroughfilm.com/

Beitrag vom 25.10.2020
Das könnte sie auch interessieren

Filme

Clicquot – eine Witwe gegen alle Widerstände

Zu ihrer Zeit gab es für Frauen keinen Platz in der Geschäftswelt. Wie es die «Grande Dame der Champagne» doch geschafft hat, ist nicht nur in Biografien nachzulesen, sondern jetzt auch erstmals auf der Leinwand in «Die Witwe Clicquot» zu erleben.

Filme

Swetlana Stalin – auf ewig im Schatten ihres Vaters

Auf ihrer Flucht in ein neues Leben strandet die Tochter des sowjetischen Diktators Josef Stalin kurz auch in der Schweiz. Ein Dok-Film blickt auf die schicksalshafte Biografie einer Frau, die in der ersehnten Freiheit fern der Heimat keine Ruhe findet. Zu sehen ab November im Kino.

Filme

Protokoll einer Lebenssammlerin

Der Dokfilm «Die Tabubrecherin» zeigt die krebskranke Michèle Bowley, die sich vor ihrem Tod auf eine spirituelle Reise begibt – mit viel Lebensenergie.

Filme

Um den Globus mit Kämpfern, Forschern und Entdeckern

«Filme für die Erde» ist ein Filmfestival der besonderen Art: Denn gezeigt werden nur Produktionen, die sich mit Natur- und Klimathemen auseinandersetzen. Die 14. Ausgabe findet vom 25. Oktober bis 1. November 2024 in Kinos von neun Schweizer Städten statt.