© Decca / Terry O'Neill

Mit voller Wucht

Der hervorragende Dokumentarfilm «Pavarotti» setzt dem gleichnamigen Opernstar mit noch nie gesehenen Aufnahmen ein Denkmal – ohne ihn dabei zu verherrlichen.

Text: Fabian Rottmeier

Ein Opernsänger in Jogginghosen? Im Fernsehstudio?! Luciano Pavarotti mochte sich in der Rolle, die oft hochnäsige Opernwelt immer mal wieder ein wenig vor den Kopf zu stossen. Vielleicht zog er diese lockere Bekleidung in einer Fernsehkochsendung 1979 aber auch einfach deshalb vor, weil er sie bequemer fand. 

Diese Szene aus dem Dokumentarfilm «Pavarotti» (Filmvorschau am Ende des Artikels) ist nur eine von vielen, die den Zuschauerinnen ein vielschichtiges Porträt des 2007 verstorbenen Sängers aus Modena vermittelt. Je länger der Film dauert, umso stärker beginnt man zu verstehen, wie der Sohn eines Bäckers die Menschen vereinnahmt hat, nicht zuletzt die Frauen – und sie ihn. Er hatte Charme, strotzte vor Leidenschaft, hatte eine Stimme wie kein anderer – und Witz. Wie etwa die Beschreibung seiner Diät illustriert: «Am Ende beim Dessert einfach die dritte Glacé-Kugel weglassen.» Weshalb er immer einen verbogenen Nagel als Glücksbringer bei sich trug? «Ich bin zwar gläubiger Katholik, aber auch abergläubisch – bloss für alle Fälle.»

So sah Luciano Pavarotti aus, als seine Karriere ihren Lauf nahm. © Decca

Der Film von Hollywood-Regisseur Ron Howard, der vor drei Jahren schon für den äusserst gelungenen Dokumentrarfilm «The Beatles: Eight Days a Week» verantwortlich war, zeigt den Aufstieg des Italieners vom Sänger zum Weltstar in chronologischer Reihenfolge, blendet aber die privaten Turbulenzen Pavarottis ebenso wenig aus. Howard und sein Team haben «Pavarotti» bewusst wie eine Oper in drei Akte aufgeteilt und die Arie «Nessun dorma» aus Puccinis «Turandot» als roten Faden eingebaut. Sie war nicht nur eine der Lieblingsarien des Sängers, sondern sie sollte auch die grossen Themen in dessen Leben herausstreichen, wie Ron Howard erklärt. 

Pavarotti, interviewt von seiner zweiten Ehefrau Nicoletta

Denn auch Pavarottis Leben war geprägt von Intensität, Leidenschaft und Dramen. In der ersten Ehe etwa erkrankte eine seiner drei Töchter schwer, worauf er sämtliche Auftritte absagte. 1993 verliess er seine erste Frau für die damals 23-jährige Nicoletta Mantovani, die 34 jünger war als er – und kurz darauf die Diagnose Multiple Sklerose erhielt. Einige der Privataufnahmen im Film stammen von ihr. Wir sehen einen offenen, witzelnden, aber auch nachdenklichen Pavarotti, wenn er zu ihr in die Kamera spricht. Er wolle einmal als derjenige in Erinnerung bleiben, der die Oper zu den Massen brachte, sagt er einmal. Etwas, das er zweifelsohne geschafft hat – und am Ende mit selbst initiierten wohltätigen Konzerten erweitert hat.

Ein Foto zeigt die frisch verliebten Nicoletta Mantovani und Luciano Pavarotti. © Decca
Frisch verliebt: Nicoletta Mantovani und Luciano Pavarotti. © Decca

Es gibt viele intime Höhepunke im Film, etwa die erstmals veröffentlichte Aufnahme, als Pavarotti 1995 in einem heruntergekommenen kleinen Opernhaus im brasilianischen Dschungel ganz für sich singt (ebenfalls in Jogginghosen notabene). Nur ein paar Passanten hören ihm zu.

Auch die Augen «singen»

53 Interviews haben die Macher insgesamt geführt. Alle kommen sie zu Wort und sprechen auch die unangenehmen Charakterzüge des Tenors an: seine Familie, seine beiden Ehefrauen, seine Manager und Promoter, aber auch Stars wie Bono oder Placido Domingo, einer der drei Tenöre, die Pavarotti für viele enorm erfolgreiche Auftritte zusammenbrachte. Im Film ist der erste ersten anlässlich der Eröffnung der Fussball-Weltmeisterschaften von 1990 in Italien zu sehen.

«Was sich in Pavarottis Augen abspielt, wenn er singt, hat mich umgehauen», sagt Regisseur Ron Howard. Pavarotti lebte so intensiv, wie er sang. Howards Versuch, «einen faszinierenden Mann voller Widersprüche» vorzustellen, ist mehr als gelungen – mit Wucht.

«Pavarotti», ab 10. Oktober im Kino.

Ein altes Foto zeigt Luciano Pavarotti mit seinen Eltern.
Ein Foto aus dem Familienalbum: Luciano Pavarotti mit seinen Eltern. © Decca

Die Filmvorschau:

Beitrag vom 09.10.2019
Das könnte sie auch interessieren

Filme

Ihre erste Hauptrolle – mit 94 Jahren!

June Squibb glänzt in «Thelma» mit viel Schalk. Die US-Schauspielerin spielt eine Seniorin, die auf Enkeltrickbetrüger hereingefallen ist – und ihr Geld zurückerobern will. Auf einem Elektroscooter! Die Zeitlupe verlost 3 x 2 Tickets.

Filme

Leonard Cohen: Von der Sinnsuche und der Liebe für die Ewigkeit

Am 21. September 2024 wäre Leonard Cohen 90 Jahre alt geworden. Ein frühes Kapitel seines Lebens greift aus diesem Anlass die neue Serie «So long, Marianne» auf – als der Song-Poet nach Griechenland flüchtet und dort eine Frau trifft, die ihn nie mehr loslassen wird.

Filme

«Crossing» – oder wie man Grenzen überwindet

Im Film «Crossing» macht sich die pensionierte Lia auf nach Istanbul – um ihre Nichte zu suchen, die als Transfrau vor ihrem Umfeld geflohen ist. Eine Horizonterweiterung.

Filme

Emil, Nöldi und die Säntis-Helden – Filmperlen «Made in Switzerland»

Was einheimisches Schaffen angeht, ist die Herbst-Winter-Saison äusserst vielversprechend. So laden in Porträts Kabarettist Emil Steinberger und Schwinger Nöldi Forrer in ihre persönliche Welt ein. Oder historische Ereignisse sind in packenden Dramen zu erleben. Und es lassen sich noch mehr Produktionen aus der Schweiz entdecken.