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«Weihnachten wird schnell zu einem Stressprojekt» 

Wir wünschen uns alle friedliche Weihnachten. Nicht immer klappt das. Olivier Reber von Pro Juventute empfiehlt, im Vorfeld des Festes seine Erwartungen klar zu benennen.

Text: Monica Müller

Wieso empfinden die meisten die Adventstage und Weihnachtsfeiern als stressig?
Sie sind an viele Erwartungen gekoppelt. Jede Person, die zur Familie gehört, hat unterschiedliche Vorstellungen, was ein perfektes Fest ausmacht – und so wird Weihnachten schnell zu einem Stressprojekt, was schade ist. Deshalb sollte man vorgängig in den Austausch gehen und die eigenen Erwartungen sowie diejenigen der anderen managen. Mit dem Ziel, sich auf etwas zu einigen, das für alle stimmt.

Das klingt einfacher, als es ist: schliesslich prallen die Erwartungen ja aufeinander.
Pro Juventute weiss: Kinder, Jugendliche, Eltern und Grosseltern haben ganz andere Bedürfnisse. Kommunizieren wir im Vorfeld offen darüber, kann das viel zu einem gelungenen Fest beitragen. Was gehört zwingend zum Programm, worauf möchte man dieses Jahr lieber verzichten? Braucht es den gemeinsamen Spaziergang oder stimmt es für alle, wenn das Essen im Vordergrund steht? Kleine Kinder, Teenager oder ältere Familienmitglieder schätzen vielleicht einen Rückzugsort für eine Pause oder ein Nickerchen.

Und wenn sich die Bedürfnisse bei aller Offenheit doch nicht so leicht vereinbaren lassen?
Es geht auch darum, Kompromisse zu finden. Gibt es Gäste – ob jung oder alt – die ab 20 Uhr energetisch «durch» sind, sollte man das anmelden können. Wird darauf beharrt, dass das Fest bis 22 Uhr dauert, muss man vielleicht erklären, wie sich das für die Person anfühlt oder was es für die folgenden Tage bedeutet. Manchmal ist das nicht allen bewusst. Wer offen kommuniziert, kann Verständnis schaffen. Es ist wichtig, dass man auch an Weihnachten für seine Bedürfnisse einstehen darf. Werden diese wahrgenommen, fühlt man sich auch mehr als Teil des Festes.

Über die Festtage trifft man sich häufig auch mit Familienmitgliedern, zu denen man keinen regelmässigen Kontakt pflegt. Vielleicht auch, weil man das Heu nicht auf derselben Bühne hat. Was raten Sie da?
Weihnachten ist nicht der Moment, um schwere, konfliktreiche Themen auszuhandeln. Sinn der Sache ist vielmehr, dass man die gemeinsame Zeit geniesst. Natürlich ist es schön, wenn man alle dabeihaben möchte. Es ist aber niemandem gedient, wenn es gar nicht passt in einer Konstellation. Hat man das Gefühl, es kann nicht funktionieren, muss man das Gespräch suchen…

… und jemanden in letzter Minute noch ausladen?
Wenn es unüberbrückbare Differenzen gibt, braucht es ein Gespräch im Vorfeld. Das muss nicht heissen, dass man jemanden auslädt. Man kann eine klare Ansage machen: «Wir hätten dich gerne dabei. Aber in letzter Zeit hatten wir Differenzen. Ist es möglich, dass wir uns am Fest nicht darüber unterhalten und es einfach geniessen, bis du bereit für das?» So kann man vorab rausspüren, wie es der andere sieht. Und die Situation je nachdem neu beurteilen.

Oft getraut man sich nicht, Rituale und Routinen neu zu denken. Man weiss schon Tage zuvor: Es wird eng, man isst zu viel, harrt ewig aus. Gerne hätte man es anders. Was empfehlen Sie?
Rituale sind etwas Schönes und trotzdem muss man den Mut haben, sie zu hinterfragen und flexibel zu bleiben. Es lohnt sich, offen zu kommunizieren und zu fragen, ob man das Fest vielleicht auch einmal in einer anderen Form ausrichten könnte. Oder ob man sich anders beschenken möchte. In der Regel lassen sich Kompromisse finden. Traut man sich nicht und macht es einfach so wie immer, ist man schlecht beraten. Man darf Traditionen auch aufbrechen. Es ist immer eine Chance, wenn man sich als Familie fragt: Welche Rituale wollen wir kultivieren und weitergeben, welche über Bord werfen?

Jetzt sind viele Pläne schon gemacht und es lässt sich nicht mehr alles neu denken und aufgleisen. Was tun, wenn man sich gar nicht auf ein Familienfest freut?
Es lohnt sich immer, Dinge anzusprechen, die einem wichtig sind. Beispielsweise: Wir freuen uns, werden das Fest aber etwas verkürzen. Wir würden gerne nach dem Essen den Kopf lüften und die Kinder draussen rumrennen lassen.  Die Teenager wollen vor Ort das Dessert kreieren. Und nicht einfach denken: Kopf runter – und durch!

Was, wenn man den Festivitäten noch immer nicht ganz entspannt entgegenschaut? Wie lässt sich Leichtigkeit heraufbeschwören?
Man muss sich bewusst sein, dass sich keine perfekten Weihnachten realisieren lassen. Besonders für die Gastgeber ist es wichtig, den Perfektionismus abzulegen. Wenn man das Fünf-Gänge-Menü vom letzten Jahr unter viel Stress aufgetischt hat, muss man das nicht wiederholen. Man soll sich besser überlegen, was man leisten kann, so dass man selbst auch noch etwas vom Fest hat.

Und wenn es dann doch zu Konflikten kommt?
Man sollte sich nicht zu sehr in Diskussionen verstricken, lieber sagen: «Über das Thema möchte ich jetzt nicht sprechen, die Situation ist mir unangenehm.» Am besten geht man in einem solchen Moment kurz raus und dreht eine Runde, um Distanz zu schaffen. Das ist eine souveräne Art zu reagieren. Manchmal hilft es auch, wenn man sich überlegt, was auf einen zukommen könnte und sich eine entsprechende Strategie zurechtlegt. Was fast immer hilft, ist Humor.

Was halten Sie von einem «Debriefing» nach dem Fest?
Das lohnt sich auf alle Fälle. Man kann sich kurz darüber austauschen, wie es für alle war und sich überlegen: «Was könnten wir nächstes Jahr anders machen?» Denn das nächste Weihnachtsfest wird kommen.

Olivier Reber ist Mediensprecher bei Pro JuventuteOlivier Reber

ist Mediensprecher bei Pro Juventute. Für die Tipps hat er sich mit dem Expertenteam von Pro Juventute ausgetauscht.

Die Elternberatung von Pro Juventute sowie die Beratung 147 für Kinder und Jugendliche ist über die Festtage rund um die Uhr erreichbar. Bei der Elternberatung dürfen auch Grosseltern anrufen, wenn es um ihre Enkelkinder geht.

Beitrag vom 16.12.2025

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