
«Sag niemals nie» 22. September 2025
Die langjährige Zeitlupe-Redaktorin Usch Vollenwyder erzählt alle zwei Wochen aus ihrem Alltag im bernischen Gürbetal. Heute: von den Sonn- und Schattenseiten eines Ferienparadieses.
Vier Wochen waren wir weg. Vier Wochen, die mir wie vier Monate erschienen sind. Vom ersten Ferientag an tauche ich noch einmal ein in meine alte Wahlheimat und in ihre Geschichte. Ich geniesse die vielen Erinnerungen, die mich auf Schritt und Tritt einholen. Und mein immer noch passables Kreol, das mir die Herzen öffnet. Ich weiss, dass es zum letzten Mal ist: Allein die 23-stündige Hin- und die ebenso lange Rückreise haben mir bestätigt, dass ich für solche Strapazen einfach zu alt bin. Beide Male mussten wir in Dubai umsteigen, auch mitten in der Nacht ein quirliger, lebendiger Flughafen. Unter den wenigen Seniorinnen und Senioren, die unterwegs waren, gehörten wir zu den ältesten.
Die Wanderungen auf den Seychellen – sie führen über Granitfelsen und durch Regenwald von einer Bucht zur nächsten – schaffe ich nicht mehr. Zu unsicher und zu schwerfällig ist mein Tritt geworden. Ich verzichte aufs Autofahren: Der Linksverkehr, die vielen Fahrzeuge und der unkonventionelle Umgang mit den Verkehrsregeln überfordern mich heillos. Die feuchte Tropenhitze setzt mir zu wie früher nie – ich weiss nicht, wie ich in diesem Klima jemals arbeiten konnte. Doch wie jedes erste Mal seinen besonderen Zauber hat, hat ihn auch jedes letzte Mal: Mit der Gewissheit, dass ich diese Inseln und meine Freundinnen und Freunde nicht mehr wiedersehen werde, lebe ich intensiver, bewusster – und glücklicher.
An den Landschaften kann ich mich nicht sattsehen. Einmal versuche ich, die Blautöne des Meeres, den weiss-pudrigen Sandstrand, die dunklen Granitfelsen oder das satte Grün des Dschungels zu beschreiben. Mir fehlen die Worte. «Ärdeschön» sagt man im Bernbiet, wenn etwas so schön ist, dass es wehtut. Der Ausdruck «ärdeschön» begleitet mich durch diese Wochen. Ich mag auch die vielen fröhlichen Menschen unterschiedlicher Hautfarbe, und die Frauen jeden Alters, die ihre Rundungen in enge Kleider stecken. Ich freue mich, als in der Sonntagsmesse die Geburtstagskinder der Woche vom Priester zum Altar gerufen und speziell gesegnet werden, und die Gemeinde ihnen zu Ehren laut «Happy Birthday» singt und applaudiert. Mir gefällt es, dass in der Hauptstadt Victoria mit ihren nur 25’000 Einwohnern Kathedrale, Hindutempel und Moschee in Gehdistanz auseinanderliegen und Menschen verschiedener Religionen problemlos zusammenleben.
Das Leben ist laut und bunt auf den Seychellen. Aus Restaurants, Shops und Autos klingt Reggae- oder lokale Sega-Musik. Der Geruch von Fisch und Gewürzen, von Meer und tropischen Pflanzen liegt in der Luft. Mitten in der Stadt veranstalten junge Menschen einen Aktionstag gegen das allgegenwärtige Plastik – engagiert und mit Herzblut. Hupende Autos kurven durch die Strassen, geschmückt mit den farbigen Flaggen der unterschiedlichen Parteien: In einer Woche werden Parlament und der Präsident gewählt, und zum ersten Mal können die Wahlberechtigten aus einer stattlichen Anzahl von Kandidierenden ihren Favoriten oder ihre Favoritin wählen.
Dank unserer Freunde und Freundinnen sehen wir auch die Schattenseite der Inseln, die weltweit vor allem als Tourismusdestination wahrgenommen werden: Lebensmittel werden ständig teurer, da praktisch alle Güter des Alltags importiert werden müssen. Rund zehn Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung ist drogenabhängig: Die Seychellen gelten als einer der Umschlagplätze im internationalen Drogenhandel. Umwelt und Nachhaltigkeit sind für viele kein Thema, ihren Abfall entsorgen sie unbekümmert ums Haus herum. Eigeninitiative wird kaum belohnt: Mehr als vierzig Jahre lang unterstützte ein sozialistisches Regime alle, die nicht arbeiten konnten oder wollten, und erkaufte sich im Gegenzug ihre Stimmen. Diese vielen Erwerbsunfähigen fehlen inzwischen auf dem Arbeitsmarkt: Statt ihrer sind Gastarbeiter aus Nepal, Bangla Desh, Pakistan oder Indien auf dem Bau, im Gastgewerbe oder im Gesundheitswesen tätig.
Meine Freundinnen und Freunde lassen es nicht gelten, wenn ich sage, dass wir uns zum letzten Mal sehen. «Sag niemals nie», bleibe ich deshalb vage. «Madame, du musst viel fruit à pain essen», schreibt mir eine ehemalige Schülerin per WhatsApp. Wer Brotfrucht isst, kommt zurück auf die Seychellen, sagt ein kreolisches Sprichwort. Bei Nelson, einem einheimischen Food-Kurier, bestellen wir manchmal für wenig Geld Reis und ein Fisch-Curry. Am letzten Abend schiebt er uns ein grosses Stück Brotfrucht unter das Essen…
- Haben Sie auch einen Ort, zu dem sie noch ein letztes Mal gereist sind? Was ging vor Ort in Ihnen vor? Wir würden uns freuen, wenn Sie uns davon berichten oder die Kolumne teilen würden. Herzlichen Dank im Voraus.
- Hier lesen Sie weitere «Uschs Notizen»


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