Lockdown-Lethargie 7. Juni 2021
Zeitlupe-Redaktorin Usch Vollenwyder (69) erzählt seit Beginn der Corona-Krise jede Woche aus ihrem Alltag im bernischen Gürbetal. Heute: vom Überwinden des inneren Lockdown-Faulpelzes.
Was habe ich mir nicht alles für die Nach-Lockdown-Zeit vorgenommen! Wieder ins Fitness gehen. Den Rotwein aufs Wochenende beschränken. Ferien buchen. Die angefutterten Kilos loswerden. Mein Bahn-GA nutzen. Alte Jeans und Schlabber-T-Shirts nur noch für die Hunderunden anziehen. Auswärts essen gehen. In einem Chor mitsingen. Ein Sommerkleid nicht im Internet kaufen. Freundinnen und Freunde zu einem spontanen Kaffeeplausch treffen oder zum Nachtessen einladen. Mein Geburtstagsgeschenk – eine Übernachtung im «Rebstock» in meiner Geburtsstadt Luzern und zum Nachtessen «Lozärner-Chügelipastete» – einlösen.
Stattdessen dümple ich im Lockdown-Fahrwasser vor mich hin. Ich frage mich warum. Natürlich sitzt mir Corona nach wie vor in den Knochen und die plötzlichen Öffnungsschritte in fast allen Bereichen sind mir ein bisschen unheimlich. Ich merke aber auch, dass ich mich – nach Anfangsschwierigkeiten und trotz zwischenzeitlichem Aufmucken – im Lockdown häuslich niedergelassen habe: Leseabende vor dem Schwedenofen statt Lesungen in Buchhandlungen, kulinarische und önologische Köstlichkeiten zu zweit statt auswärts essen, Ruhe und Behaglichkeit in den eigenen vier Wänden statt Betriebsamkeit unterwegs.
Da das Fitnesscenter monatelang geschlossen war, brauchte ich kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn ich mich nicht zum wöchentlichen Training aufrappeln mochte. Ich musste nicht darauf achten, ob sich der oberste Knopf der neuen Jeans noch schliessen liess: Für die regelmässigen Zoom-Sitzungen im Homeoffice spielte es keine Rolle. «Jetzt muss er also wieder raus vor die Tür: Dieser Körper – kaum trainiert, wenig gepflegt, überhaupt wenig beachtet während der vergangenen Monate.» So beginnt ein Artikel in der Sonntagszeitung zum Ende der Pandemie. Er werde plötzlich wieder wichtig und müsse in ordentliche Kleidung gesteckt werden, heisst es weiter.
Mehr als am Körper scheitere ich am inneren Corona-Faulpelz. Ich habe ihn noch nicht überwunden. Essenseinladungen sind rar, das Fitnesscenter kann warten, der Wein zum Abendessen ist noch nicht gestrichen. Wie habe ich mich auf den alten Alltag gefreut – und jetzt, wo er zum grossen Teil wieder da ist, verharre ich im gemächlichen Lockdown-Rhythmus. Vielleicht geht es mir wie der Kleinen, die am Vorabend ihres Wiegenfests diese Woche meinte: «Schade, habe ich morgen schon Geburtstag. Jetzt kann ich mich nicht mehr darauf freuen.»
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Lockdown-Fahrwasser? Ich geniesse es und dann auch wieder nicht. Wenn ich erfahre, dass sich meine Künstlerkolleginnen zu allerlei Tätigkeiten verabreden und ich auch eingeladen werden, freue ich mich darüber und möchte mich aber immer noch davon distanzieren. Ich habe eine ganz lange Zeit nicht mehr gemalt und will und kann mich auch erst jetzt wieder in der Malerei finden. Seit einigen Wochen habe ich das Keyboard-Spielen wieder entdeckt. Es wird nie mehr was Grosses draus, aber es macht Spass. Ich fühle mich noch zu wohl in meinem Kokon und habe noch keine Lust, all die Freiheiten wahr zu nehmen. Vielleicht später, wenn sich dieser Streit zwischen Geimpften und Ungeimpften etwas beruhigt hat.