Impfdebatten 2. August 2021
Zeitlupe-Redaktorin Usch Vollenwyder (69) erzählt seit Beginn der Corona-Krise jede Woche aus ihrem Alltag im bernischen Gürbetal. Heute: von Chili con Carne und unterschiedlichen Impf-Überzeugungen.
Am 30. Juli 2007 starb meine Herzensfreundin. Von der ersten bis zur neunten Klasse sassen wir nebeneinander in der Schulbank. Unser Leben lang gingen wir zusammen durch dick und dünn. Dann erkrankte sie an Krebs. Nur viereinhalb Monate später war sie tot. Die letzten Tage und Nächte wechselten wir uns an ihrem Bett ab – ich, ihr Bruder und einige ihrer nächsten Freundinnen. Seither treffen wir uns an ihrem Todestag zu einem Chili con Carne. Sie hatte das mexikanische Gericht gemocht. Dieses Jahr trafen wir uns zum vierzehnten Mal.
Es sind immer anregende, gemütliche und nostalgische Abende gleichzeitig. Da wir uns nur alle Jahre wiedersehen, haben wir uns jeweils viel zu erzählen. Wir sind eine bunte Truppe, die das Schicksal damals für kurze Zeit zusammengewürfelt hat. In unserer Unterschiedlichkeit sind wir Abbild der Gesellschaft, gerade auch jetzt, in der Corona-Zeit: In der Zwischenzeit zu acht Seniorinnen und Senioren gealtert, lassen wir uns – wie die Gesamtbevölkerung – in Impfmuffel, Impfgegner und Impfbefürworter einteilen.
Unser Impfmuffel am Tisch will sich noch nicht impfen lassen, sondern mal zuwarten und schauen, was weiter passiert. Einer der Impfgegner fürchtet um seine persönliche Freiheit und wehrt sich gegen staatliche Nötigung. Eine Gegnerin hört bei der Entscheidung Impfen ja oder nein auf ihren Körper und dieser sagt nein. Doch auch die Geimpften nennen unterschiedlichste Gründe für ihren Piks: Für die einen ist es das Gebot der Stunde, sich mit der Impfung gegen Corona zu schützen, um damit auch ihre Mitmenschen zu schützen. Andere denken eher pragmatisch an unbeschwerte Konzertbesuche, Feste im Freundeskreis und Ferien im Ausland.
Wir löffeln das hervorragende Chili und trinken passenden Rotwein dazu. Wir reden von der intensiven Zeit damals, von den Olympischen Spielen, von Ferien und Ausflügen und sind plötzlich bei den ausbleibenden chinesischen Touristen angelangt. Wenn man sich ein Jahr lang nicht gesehen hat, lässt sich Corona mit bestem Willen nicht umschiffen. Doch alle wählen ihre Worte behutsam. Man spürt: Niemand will gefährden, was vierzehn Jahre lang gepflegt wurde. Es gelingt uns, einigermassen gesittet miteinander zu diskutieren. Selbstverständlich ohne einen Konsens zu finden. Einig ist man sich nur in einem Punkt: Die Impfdebatte reisst Gräben auf.
Diese Gräben machen mir Angst. Sie scheinen sich nicht nur durch die Gesellschaft, sondern auch durch Familien und Freundschaften zu ziehen. Das Covid-Zertifikat wird zum neuen Glaubensbekenntnis. Ich lese in der Sonntagspresse das Interview mit dem Basler Epidemiologen Marcel Salathé. Zu Beginn der Pandemie hasste ich seine Schwarzmalerei und seinen Zukunftspessimismus. Im neusten Interview sagt er, dass ihm persönlich die gesellschaftlichen Auswirkungen inzwischen ebenso viel Sorgen machen wie die gesundheitlichen: «Eine Freundschaft ist doch wichtiger als die Haltung zum Zertifikat!»
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Liebe Usch Vollenwyder
Ja, das schreibe ich mir jetzt hinter die Ohren:
Freundschaft gleich Toleranz ist immer wichtiger
als Trennung zwischen Menschen wegen Intoleranz,
ein christilicher Gedanke und ein Demokratischer dazu 🙂
Ich wünsche ihnen einen schöenen Tag!
Eveline Elina Frey