«Die vo Bärn» 11. Januar 2021
Zeitlupe-Redaktorin Usch Vollenwyder (69) erzählt seit Beginn der Corona-Krise jede Woche aus ihrem Alltag im bernischen Gürbetal. Heute: von Amerikas Tiefpunkt, der komplizierten Schweizer Demokratie und einem Dörfli-Protest von anno dazumal.
Sprachlos sitze ich vor dem Fernseher und sehe die wüsten Szenen, die sich in Washington abspielen: Kriminelle, Randalierer und Chaoten überrennen Polizisten und Barrikaden. Sie zerstören, was ihnen im Weg steht, und machen sich im Inneren des Capitol breit. Aufgehetzt von ihrem Präsidenten und seiner Entourage stürmen sie den Regierungssitz der ältesten Demokratie und des mächtigsten Mannes der Welt. Die Weltöffentlichkeit schaut live zu. Westliche Regierungen sind entsetzt, autokratische müssten sich über diese Bilder freuen: Auch in einer Demokratie ist nicht alles Gold, was glänzt.
Demokratie sei eine schlechte Staatsform, aber es gebe keine bessere, hörten wir von unserem Geschichtslehrer vor bald sechzig Jahren in der Sekundarschule. Ich bin jedenfalls froh, dass bei uns ein Siebnergremium mit Vertreterinnen und Vertretern aus allen Parteien an der Spitze des Landes steht. Ich mag die direkte Demokratie, die uns über Konzernverantwortung ebenso mitreden lässt wie über Kühe mit oder ohne Hörner. Mir gefällt grundsätzlich auch der Kantönligeist. Ein Sturm von grölenden Unzufriedenen aufs Bundeshaus? Unvorstellbar.
Unsere Freunde in Wien und Deutschland staunen ob des zögerlichen Schweizer Corona-Zickzackkurses, und ich erkläre einmal mehr, dass bei uns die Entscheidungswege halt verschlungen seien. Natürlich wäre eine starke Hand praktisch. Eine, die nicht einmal hüst und dann wieder hott durch die Pandemie führt. Bund und Kantone, politische Behörden und Wissenschaft, Wirtschaftsparteien und Sozialpartner verzetteln sich in Schuldzuweisungen, statt dass ihre Kräfte gebündelt würden. Für die Suche nach Schuldigen bleibt genug Zeit – wenn denn Corona mal vorüber ist.
Auch in meinem Dörfli sind vielfach «Die vo Bärn» schuld, wenn etwas nicht in den Dörflikram passt, und längst nicht immer folgt man der Obrigkeit. Als in den späten Achtzigerjahren nach dem Motto «Sicherheit ist unteilbar» jede politische Gemeinde ihre eigene Zivilschutzorganisation aufzubauen hatte, fehlten Personal und Geld für den Bau von Schutzräumen. Sowieso ginge er nie ins Gedränge mitten in eine unterirdische Anlage, meinte ein Alteingesessener an der Gemeindeversammlung. «Nicht ohne meine Kühe», ergänzte ein Bauer. Und überhaupt: «Die vo Bärn chöme de scho, we si öppis wei.» All die Jahre kamen sie nie, und das Dörfli überlebte das Ende des Kalten Kriegs ebenso wie das AKW Mühleberg – auch ohne Zivilschutz. Der Aufstand von damals mutet in den heutigen unruhigen Zeiten geradezu idyllisch an.
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