Beim Coiffeur anno 1946

Regelmässig erreichen uns Geschichten, Texte und Zuschriften unserer Leserinnen und Leser. Diese wollen wir Ihnen nicht vorenthalten. Heute: Unser Leser «Perusur» hat uns seinen Viertklassaufsatz über seinen Coiffeurbesuch geschickt.

Beim Coiffeur

Ich gehe gern zum Coiffeur. Ich freue mich immer, hauptsächlich im Sommer, wenn mein Haarpelz abgeschnitten wird. Sobald man in den Salon kommt, so merkt man sofort, dass es nach Parfüm riecht. In allen Glasschränken sieht man viele Flaschen. Manchmal muss man auch warten. Aber da hat es die «Sie und Er», die «Illustrierte Zeitung» und den «Nebelspalter» zum Anschauen.

Plötzlich wird der Stuhl befreit. Und ich komme an die Reihe. Es wird ein Brett geholt. Das wird auf die Arme des Stuhles gelegt, damit sich der Coiffeur nicht bücken muss.

Und dann kann es losgehen. Zuerst wird mir der Mantel umgehängt und beim Hals ein Papierkragen hineingestossen. Er macht mir zuerst den Scheitel, um zu schauen, wie er mir die Haare schneiden muss. Dann werde ich hinten am Kopf mit der Tondeuse kahl geschoren. Nachher kommt ein wenig etwas Langweiliges. Das ist das Haarschneiden mit der Schere. Dazwischen wischt mir der Coiffeur mit einer Bürste die Haare weg.

Manchmal nimmt er auch die Effilierschere und schneidet mir die Haare ab. In dieser Zeit schaue ich mir oben beim Spiegel die Reklamen an von den verschiedenen Zahnbürsten und Zahnpasten. Dann macht er mir den Scheitel und leert einen halben Deziliter Parfüm auf den Kopf. Nachher kommt das Schrecklichste von allem. Das ist das Einreiben der Brylcreme. Man kann den Kopf nicht ruhig halten.

Anno dazumal: Schwarzweissbild eines 6-jährigen Jungen am Chalandamarz.
S-chanf, 1943, am Chalandamarz © privat

In dem Spiegel sieht man die Uhr aber verkehrt. Da muss ich auch immer lange studieren, was für Zeit es ist. Den Kopf muss ich auch immer ruhig halten, sonst schimpft der Coiffeur. Aber ich habe mich mit einem der beiden befreundet. Nach einer Weile bekomme ich nochmals einen «Sprutz» Parfum. Das gefällt mir gut. Wir schwatzen auch immer miteinander von Erlebnissen.

Er nimmt nochmals das Beselchen und wischt mir alle Haare aus dem Hals. Er nimmt auch die Kleiderbürste und wischt mich ab. Aber ein paar Haare bleiben immer stecken. Zum Schluss macht er mir noch den Scheitel. Dann fragt er mich, ob ich jetzt ein Schöner sein? Ich antworte ihm: «Ja». Dieses Kompliment erfreut ihn immer.

Ich gebe ihm jedes Mal einen Zwanziger Trinkgeld. Schliesslich kann ich heimgehen. Ich freue mich immer am Abend im Bett, dass die beissenden Haare weg sind. Das ist mein Abenteuer beim Coiffeur.

(Aufsatz 1946, geschrieben als Viertklässler in Brugg)

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Beitrag vom 04.07.2024

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