Trompeten-Sigi: Ein Mann mit tausend Talenten
Tausendsassa, Multitalent, Stimmungskanone, Fussball-Kult-Fan: Die Bezeichnungen für Sigi Michel sind so kunterbunt wie sein Leben. Die Zeitlupe ist dem Lebenskünstler aus der Ostschweiz begegnet.
Text: Annegret Honegger
Rhythmisch schlagen die Holzlöffel aufeinander und hin und her zwischen Handfläche, Oberschenkel und Handrücken. Im Kurs «Löffeln», den Sigi Michel für Pro Senectute Schaffhausen gibt, geht es lüpfig zu und her. Während die Teilnehmenden einfache Bewegungen und Töne erzeugen, ist Kursleiter Sigi Michel ein wahrer Virtuose: Er entlockt den schlichten Holzlöffeln erstaunliche Rhythmen und wirft sie auch mal hoch in die Luft und fängt sie wieder auf.
Dazwischen spielt der Kursleiter auf seiner grössten musikalischen Liebe: der Trompete. Als «Trompeten-Sigi» ist der Ostschweizer fast auf der ganzen Welt bekannt. Denn Sigi Michel ist der wohl auffälligste Fan der Schweizer Fussball-Nationalmannschaft. Bläst er in seinen kunterbunten Kostümen – am bekanntesten ist sein Riesen-Hut aus einem rot-weissen Rettungsring – zur «Attacke», läuft die «Nati» zur Höchstform auf.
Spezialbewilligung für die Trompete
Seit 1970 in Mexiko hat Sigi Michel keine Europa- und Weltmeisterschaft verpasst. Mit der Schweizer Nati ist er um die ganze Welt gereist. Früher gehörte er fast zur Mannschaft, flog im gleichen Flugzeug, übernachtete im gleichen Hotel. Doch diese Zeiten seien vorbei. «Heute werden die Spieler abgeschirmt, der Zugang zu den Stadien wird streng kontrolliert», bedauert er. Seit er für seine Trompete über eine Art Waffenschein verfügt, kann er die Sicherheitskontrollen wieder problemlos passieren. «Registrierung von Instrumenten und stimmungsverstärkenden Geräten» heisst diese Spezialbewilligung auf Beamtendeutsch.
Schweizer Nati, Bayern München, GC oder Luzern – Sigi Michel feuert seine Favoriten gerne lautstark an. «Ich habe einfach Freude, wenn meine Mannschaft gut spielt», erklärt er. Durch den Fussball hat er auch alles kennengelernt, was in Sport, Politik oder Wirtschaft Rang und Namen hat. Auf der Tribüne sind alle gleich, Banker oder Büezer, und alle wollen mit «Sigi» aufs Selfie. «Ich bin berühmter als mancher Nati-Spieler», sagt er schmunzelnd. Seine kostbarste Erinnerung ist seine Begegnung mit dem grossen Pele.
Naturtalent in Sport und Musik
Schon als Bub habe er jede Sportart rasch beherrscht, die er ausprobierte, jedes Musikinstrument, das er in die Hand nahm. Im Boxen wurde er Junioren-Schweizermeister. Im Hochsprung übersprang er fast ohne Training beinahe die Olympialimite. «Ich kann fast alles», sagt Sigi Michel mit einem entschuldigenden Lächeln. Nur die Ausdauer sei nie so seine Stärke gewesen: «Ich trainierte im Jahr etwa so viel wie andere in einer Woche.»
Entsprechend abwechslungsreich war auch seine Berufsbiografie. Sigi Michel war Lastwagenfahrer, Bauarbeiter, Bootsführer am Rheinfall, Tennislehrer in Kenia oder Fährimann. Der über 70-Jährige hat Energie für mindestens eine ganze Fussballmannschaft. Pro Nacht braucht er nur vier Stunden Schlaf, so verbleiben zwanzig für seine zahlreichen Hobbys und Leidenschaften.
Ein Herz für Tiere
Er ist auch Eishockey-Fan und sowohl die Luzerner Fasnacht als auch fünf grosse Schwingfeste gehören fest zu seinem Jahresplan. In seinem Garten kümmert er sich um verletzte Vögel, die er wenn nötig rund um die Uhr aufpäppelt. Im grossen Haus seiner Lebenspartnerin sammelt und restauriert er Kurioses und Skurriles.
«Ich müsste etwa dreihundert Jahre alt sein, so viel habe ich erlebt», sagt er und staunt selbst. Dabei hat die Frohnatur auch dunkle Kapitel durchgemacht. Als kleiner Bub nahm man ihn im Rahmen der Aktion «Kinder der Landstrasse» seiner Mutter weg und platzierte ihn in Pflegefamilien und Heimen. «Fremder Fötzel» nannten ihn die Leute, weil seine Haut eine Spur dunkler war als ihre. Die Akte über seine Vergangenheit, die er kürzlich aus den Archiven der Behörden erhielt, habe er noch nicht zu lesen gewagt.
Selbstverständlich will Sigi Michel die Fussball-Nati auch an der nächsten Weltmeisterschaft in Katar trompetend anfeuern. Trotz voller Agenda mit Auftritten im Fernsehen, an Sportanlässen, an Festen oder in Altersheimen, wo er das Publikum etwa mit «Oh mein Papa» auf dem Fuchsschwanz oder seinem Alphorn erfreut. Eine WM ohne Sigi Michel ist fast schon undenkbar. Verpasst er einmal einen Match, fragen ihn die Leute: «Sigi, wo warst du?»
Kurse und Veranstaltungen mit Sigi Michel
Der nächste Kurs im «Löffeln» bei Pro Senectute Schaffhausen findet am 28. Februar, 6. und 13. März 2020 statt. Informationen unter www.sh.prosenectute.ch. Sigi Michel organisiert für Interessierte Kurse im «Löffeln», «Chlefele» oder Talerschwingen. Für letzteres sucht er noch geeignete Schüsseln – man melde sich auf www.trompetensigi.ch, seiner Website mit Informationen und Archivmaterial zu Sigi Michel und seinen Aktivitäten.