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Lego-Oma im Rampenlicht

Rita Ebel und ihr Team bauen in stundenlanger Freiwilligenarbeit Rollstuhlrampen aus Legosteinen. Nicht nur in ihrer deutschen Stadt Hanau stösst die 63-Jährige damit auf Begeisterung. 

Interview: Fabian Rottmeier

Im Januar 2019 stiess Rita Ebel auf einen Zeitschriftenartikel, in dem eine Frau porträtiert wurde, die eine Rollstuhlrampe aus Lego gebaut hatte. Die 63-Jährige, die seit knapp 26 Jahren selbst querschnittgelähmt ist, war hin und weg – und nahm sich vor, ihre Stadt nicht nur barrierefreundlicher, sondern auch ein wenig bunter zu machen. Ehemann Wolfgang half mit. Sie nannte sich und das Projekt Lego-Oma.

Nach fünfmonatiger Vorbereitungszeit übergaben die beiden die erste Rampe an einen Laden in ihrem Wohnort Hanau, einer deutschen Stadt in der Nähe von Frankfurt am Main. Ein Jahr später berichteten unzählige deutsche Medien über Rita Ebels bunte Hilfsmittel, darunter die TV-Sender RTL, ARD und ZDF. Dank Social Media und einem Reuters-Bericht, der international gestreut wurde, hat die Begeisterung um die Rentnerin neue Dimensionen angenommen.

Frau Ebel, die wievielte Legorampe bauen Sie gerade?
Heute Morgen haben wir die 27. Rampe ausgeliefert, Nummer 28 und 29 sind auch schon fertig. Die Geschäfte bemühen sich schon längst von alleine um eine Rampe bei uns, auch aus anderen Städten. Die benötigten Legosteine werden uns aus ganz Deutschland gespendet, manchmal kommen sie sogar aus Ländern wie Italien und Spanien.

Wie fühlt es sich an, wenn wieder eine Rampe steht?
Ich bin jedes Mal begeistert! Das Verrückte am ganzen Projekt ist ja, dass ich mittlerweile fast mehr Zeit damit verbringe, Mailanfragen zu beantworten oder Mediengespräche zu führen. Dieses freiwillige Engagement ist mindestens zu einem Halbtagesjob geworden! Ich bin sehr froh, dass wir mittlerweile, neben vier Mitgliedern aus der Familie, insgesamt zu acht sind in unserem ehrenamtlichen Team – Whatsapp-Gruppe inklusive. Jemand sortiert die Legosteine nach Grösse, manchmal auch zusätzlich nach Farbe, zudem konnten wir ein zweites Bau-Team einrichten. Im ersten Jahr hing das Bauen nur an meinem Mann Wolfgang und mir.

Sind Sie in Hanau bereits zum lokalen Star geworden?
Das ist in der Tat so. Ich werde praktisch jedes Mal, wenn ich in der Stadt bin, von jemandem angesprochen oder als Lego-Oma erkannt. Meine Tochter, die ebenfalls zum Team gehört, ist in Hanau als Erzieherin tätig und musste sich nach der Corona-Zwangspause von den Kindern immer wieder anhören, dass sie die Lego-Oma am Fernsehen gesehen hätten. 

Lego trifft auf Rampe. War die Zusammenführung dieser beiden fremden Dinge der Schlüssel zum Erfolg? 
Ganz bestimmt. An einer Rampe aus Alu gehen die Menschen vorbei, ohne sie zu registrieren, an einem Hingucker wie einer bunten Legorampe nicht. Wir zeigen damit nicht nur, dass hier ein Rollstuhlfahrer oder eine Mutter mit einem Kinderwagen leichter in ein Geschäft gelangt, sondern möchten den Leuten auch bewusst machen, wie viele Stufen ihnen in ihrer gewohnten Umgebung vorher noch nie aufgefallen sind. Dadurch sensibilisieren die Rampen für das Thema Barrierefreiheit. Das ist ein Effekt, der mich selbst überrascht hat.

Trotzdem: Hätten Sie jemals gedacht, dass diese bunten Legosteine eine derart grosse Wirkung haben würden?
Nein, nicht in diesem Ausmass. Natürlich hat mich das Bild der Legorampe, als ich es in einer Fachzeitschrift für querschnittgelähmte Menschen sah, sofort begeistert. Die Idee stammt vom Berliner Menschenrechtsaktivist Raul Krauthausen, der wie ich selbst auf einen Rollstuhl angewiesen ist und eine Rampe aus kleinen Dachziegeln angefertigt hat. Meine eigene, spontane Begeisterung kann ich mit jeder weiteren Rampe weitergeben und bei anderen entfachen. Aber dass daraus ein Hype entsteht und ich durch einen Reuters-Videobeitrag in der ganzen Welt gesehen werde, hätte ich nie für möglich gehalten. Wir haben schon 300 Bauanleitungen – in fünf Sprachen – in die ganze Welt hinaus verschickt, etwa in Länder wie Österreich, die Schweiz, die USA, Syrien oder Südkorea. Wahnsinn.

In welche Schweizer Städte gingen die Anleitungen?
Nach Zürich und Lausanne, wo zwei junge Frauen mit dem Projekt «Ramp To Go» im August 2020 bereits erste Rampen ausgeliefert haben.

Was ist – neben der grossen Menge an benötigten Legosteinen – die Krux beim Bauen?
Das Wichtigste ist, dass man die Steine im Verbund etwas versetzt über- und nebeneinander zusammenbaut, damit die Rampe nicht zerbricht, wenn man sie anhebt. Jeder einzelne Stein wird verklebt. Schliesslich sind es mit einem Elektrorollstuhl gut und gerne über 200 Kilogramm, die auf die Rampe einwirken. Auch eine gleichmässige Steigung hinzubekommen, ist nicht ganz ohne.

Eine Rampe, die aus zwei Teilen besteht, wiegt in der Regel 16 Kilogramm, wie wir lesen konnten.
Die einteilige Rampe vor dem Hanauer Postladen bringt es sogar auf 17,5 Kilogramm. Trotzdem bin ich erstaunt, dass seit unserem Prototyp im Juni 2019 noch nie etwas geklaut oder beschädigt worden ist. Das freut mich besonders und zeugt vom Respekt, den man unserem Projekt entgegenbringt. Wir stossen überall auf grosse Begeisterung.

Die Lego-Oma ist auch zum Generationenprojekt geworden. Welche Rolle übernimmt die Tochter, welche die Enkelin?
Meine 13-jährige Enkelin Nora fotografiert die neuen Rampen und filmt per Smartphone, wenn etwa wieder mal ein Kamerateam zu Besuch ist. Sie liefert quasi das Making-of des Fernsehbeitrags. Weil ich mit Facebook schon am Rande der Überforderung bin, kümmert sich meine Tochter um unser Instagram-Konto und lädt Noras Aufnahmen hoch. Zudem helfen beide beim Bauen.

Wie schön war es, zu erleben, dass Sie die Leute nicht mehr in erster Linie als Frau im Rollstuhl wahrnehmen, sondern als Lego-Oma?
Nach dem Autounfall und seinen Folgen war es mir stets wichtig, mir meinen Humor und meine Fröhlichkeit zu bewahren. Ich bin immer aktiv geblieben und habe es verstanden, Menschen mitzureissen. Nichtsdestotrotz ist es nun eine schöne Bestätigung, nicht mehr nur als Person mit einer Behinderung angesehen zu werden, sondern als Frau, die trotz ihrer Situation etwas bewegt. Das ist ein irre gutes Gefühl.

Beitrag vom 21.09.2020
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