© Nathan Hurst/ unsplash

Eine Schweizerin in Australien

Sechs Stunden geht die Zeit im Westen Australiens voraus und die Jahreszeiten sind gerade umgekehrt als in der Schweiz. Ruth Griffith-Maron lebt in der Zwei-Millionen-Stadt Perth.

Text: Annegret Honegger

14 Grad kühl ist es in Westaustralien, während wir hier in der Schweiz schwitzen. «Die Bettflasche ist schon parat», sagt Ruth Griffith-Maron am Internettelefon und lacht. Es ist Winter am anderen Ende der Welt, wo die 70-Jährige in Perth lebt, der grössten Stadt an der Westküste. Wie etwa 4000 andere Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer auch.

Viele Reisen und grosse Umzüge haben sie so weit weg von ihrem Geburtsland geführt. Geplant war das nicht, denn Ruth Griffith-Maron sagt ganz klar: «Die Schweiz ist mein Land, dort fühle ich mich zu Hause.» Nach wie vor spricht sie lieber Schweizerdeutsch als Englisch, das ihr mehr Mühe mache, je älter sie werde.

Nach Australien wanderte die gebürtige Thurgauerin aus Romanshorn erstmals 1979 aus, zusammen mit ihrem Mann, der kleinen Tochter und schwanger mit dem zweiten Kind. Zwei Jahre wolle sie bleiben, versprach sie. Es wurden 13 Jahre und Ruth Griffith-Maron kehrte alleine, ohne die drei halb erwachsenen Töchter in die Schweiz zurück. «Ein schwerer, aber notwendiger Entscheid», sagt sie rückblickend.

Australien zum Zweiten

Nach der Pensionierung zog sie vor sechs Jahren zurück nach Perth, um wieder in der Nähe der Töchter und Enkelkinder zu leben. Obwohl sie eigentlich auf Barbados hatte alt werden wollen mit ihrem zweiten Mann, dem sie den englischen Nachnamen verdankt. Trotz der grossen Liebe zur karibischen Insel zerbrach das Eheglück und Ruth Griffith-Maron flog mit ihrem letzten Geld zurück in die Schweiz.

Geplant war der Lebensabend in Australien also nicht. «Es kam anders als erträumt, aber trotzdem ist es gut so, wie es ist», bilanziert sie, «ich habe hier alles, was ich brauche». Mit der AHV aus der Schweiz könne sie «down under» gut leben und profitiere von einer viel günstigeren Gesundheitsversorgung als in der Schweiz.

Kürzlich bezog sie ein kleines «Wönigli» im Anbau eines grossen Hauses mit Garten am Rand der Stadt. «Granny flat», also «Grosi-Wohnung» nennt man das in Australien, «Stöckli» wäre wohl das Schweizer Pendant. Perth sei die schönste Stadt Australiens, findet Ruth Griffith-Maron. Sie sei rasch im Grünen, geniesse die vielen Parks und das «Bush-Walking», das Spazieren im umliegenden Buschland, wo man prächtigen exotischen Blumen und Vögeln begegne und manchmal einem Känguru. Doch auch hier zeigt sich ein bisschen Heimweh: «Eukalyptusbäume sind schön, aber ich vermisse die Tannen, Buchen und Birken.»

Eine "Granny Flat" in Perth, Australien, mit Garten.
«Granny flat» von Ruth Griffith-Maron © Privat

Der Blick von der kleinen Scheidegg

Neben den Wäldern sind es die Berge, die ihr am meisten fehlen. Der Blick von der kleinen Scheidegg auf die Eigernordwand sei für sie «das höchste der Gefühle». Trotzdem ist sie keine, die jammert, dafür habe sie viel zu früh in ihrem Leben gelernt, für sich selbst zu sorgen. «Es liegt an mir, ein sinnvolles Leben zu führen. Es ist mein Leben und ich allein bin dafür verantwortlich», stellt sie klar. Zeit für Langeweile habe sie ebenso wenig wie für graue Haare.

«Ants in the pants» (Ameisen in der Hose) hat auf Englisch jemand, der aktiv und oft unterwegs ist. So bereiste Ruth Griffith-Maron nach ihrer Pensionierung mit ihrem treuen Ford Taunus «Fridolin» Frankreich, Schweden, England und Schottland, bevor sie ihn, beladen mit ihrem gesamten Hab und Gut, von Irland nach Australien verschiffen liess.

Fondue und Metzgete in Australien

Ruth Griffith am ersten August in Australien.
© Privat

Vor kurzem hat sie das Präsidium des Swiss Club Western Australia ihrem Nachfolger übergeben. Vorher galt es, Anlässe zu organisieren wie die jährliche Metzgete, den Samichlaus oder das traditionelle Fondueessen: «Meine Fonduemischung wurde sehr gelobt, ich habe sie gemeinsam mit einem Schweizer Koch selbst zusammengestellt.» Am ersten August gab es «Heisse Fleischchäs, heisse Schinke und fünf Salate», für die Getränke galt typisch australisch «BYO», Bring Your Own (selber mitbringen).

Etwa 300 Schweizerinnen und Schweizer gehören dem Swiss Club WA an. «Viele wollen nach der Auswanderung erst einmal nichts mehr von der Schweiz wissen, melden sich dann aber nach ein paar Jahren bei uns», erklärt Ruth Griffith-Maron. Für die Vereinsanlässe bäckt sie jeweils ihre berühmte Nusstorte oder eine Roulade mit Zitronen aus dem eigenen Garten. Daneben ist sie, die in den letzten Jahren selbst viele gesundheitliche Schicksalsschläge hinnehmen musste, nach verschiedenen Weiterbildungen als Heilerin tätig.

«Bei meinem ersten Aufenthalt in Australien in den 1980er-Jahren kostete eine Minute telefonieren in die Schweiz noch 16 Franken», erinnert sie sich. Heute hält sie den Kontakt via neue Medien. So erfährt sie über Facebook vom Cousin, wie in der Schweiz über dreckige SBB-Wagen und das Maskentragen im ÖV gestritten wird, oder verfolgt die Politik ihres Göttibuben im Luzerner Kantonsrat. Alle paar Monate flattern zudem die Abstimmungsunterlagen aus der Schweiz in ihren Briefkasten.

Corona ist überall

Doch derzeit daure die Post aus Europa wieder fast so lange wie damals. Corona schränkt den Flug- und damit auch den Postverkehr stark ein. Während das Virus die Metropolen Sydney und Melbourne an der Ostküste schwer getroffen hat, sind die Zahlen in Westaustralien tief: «Perth ist fast coronafrei.» Trotzdem sind die Massnahmen auf dem ganzen Kontinent einschneidend. Die Grenzen zwischen den australischen Bundesländern sind geschlossen, sicher noch bis Ende Jahr. Flüge gibt es kaum oder höchstens zu horrenden Preisen. Tausende Australierinnen und Australier, erzählt Ruth Griffith-Maron, seien seit März fern der Heimat gestrandet, viele auch auf Bali, der in Australien sehr beliebten Ferieninsel.

Die ersten Wochen der Pandemie hat sie sich mit ihrem Zelt auf ein grosses Grundstück des Swiss Clubs mitten in der Natur zurückgezogen: «Es war herrlich ruhig und friedlich.» Wann sie die Heimat das nächste Mal besuchen kann, ist noch ungewiss. Ruth Griffith-Maron nimmt es gelassen: «Ich bin ein Nachkriegskind und habe von klein auf gelernt, dass man nicht alles haben kann.» Von unerfüllten Wünschen könne man ja nachts träumen, findet sie. Sie ist es mittlerweile gewohnt, dass vieles auch anders gut kommt als geplant. Dass man etwa Weihnachten bei 38 Grad feiern kann, wenn die Wachskerzen in der Hitze schmelzen. Oder dass man plötzlich auf der anderen Seite der Erde lebt. Corona ist da nur eine Überraschung mehr, die das Leben bereithält.

Zeitlupe-Serie: Auslandschweizerinnen und -schweizer

Mehr als 10 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer leben im Ausland. Die Zeitlupe gibt ihnen in einer Artikel-Serie ein Gesicht. Lesen Sie hier weitere interessante Portraits.

 


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Beitrag vom 29.08.2020
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