Aus Zeit und Traktanden gefallen
Die Ausstellung und das Buch «Ausser Gebrauch» widmen sich Alltagsgegenständen, die mit der Zeit ihren Nutzen verloren haben. Gewonnen haben sie dafür oft an Skurrilität.
Text: Fabian Rottmeier, Fotos: Historisches Museum, Basel, Andreas Niemz
In den Ferien fotografieren wir fast alles. Im Alltag hingegen ausser den Liebsten, Landschaften und schön angerichteten Tellern kaum etwas. Damit halten wir auch diejenigen Dinge nicht fest, die uns tagtäglich begleiten. Und so werden denn manche von ihnen entsorgt, weil sie früher oder später ihre Funktion verloren haben oder von einer neuen, modernen Erfindung abgelöst werden. Höchste Zeit also für «Ausser Gebrauch», ein Buch, das zeitgleich mit einer Ausstellung im Historischen Museum in Basel bereichert wird. Es geht darin um nichts weniger als den «Alltag im Wandel», so die Unterzeile des Titels.
Im Buch sind 80 Objekte fotografisch festgehalten, die aus der 300’000 Stück reichen Sammlung des Museums stammen. Die Auswahl zeigt Dinge aus den letzten drei Jahrzehnten. Am spannendsten sind dabei diejenigen, die unsereins gar nicht mehr kennt. Nicht selten muten die Gegenstände so seltsam an, dass sie zum Lachen animieren.
Der vermeintliche Buchstapel
Grossartig etwa der «Nachtstuhl in Form eines Bücherstapels» aus der Mitte des 18. Jahrhunderts. Der vermeintliche Band 1 der Reihe «Opera Comica I–IV» entpuppt sich dabei als Deckel des Toilettenstuhls, der die Sicht auf den Nachttopf freigibt. Wie zu lesen ist, kam der «Leibstuhl» auch als Polstermöbel, als Kommode oder als Nachttisch daher. Passend dazu auch – aus dem gleichen Kategoriekapitel – ein anderer Gegenstand: das «Bidet in Form eines Lehnstuhls» aus Frankreich. Es sieht so aus:
Das Bidet (das französische Wort für Pony) musste rittlings benutzt werden, und diente vor allem der Hygiene der «verborgenen Körperteile», also der Intimpflege. Die Sitzbecken funktionierten dabei mehr schlecht als recht für verhüterische Zwecke nach dem Geschlechtsakt (Stichwort Vaginalspülung).
Weitere Beispiele gefällig?
Dieser Schweizer Eisschrank hielt um 1930 Lebensmittel mittels Eisblöcken im obersten Teil länger haltbar. Die natürlichen Kühlelemente entstammen dabei aus eigens angelegten Eisweihern – und erst viel später aus Eisfabriken.
Der Haubenkopf hielt im zweiten Viertel des 19. Jahrhunderts nicht nur in Geschäften, sondern auch in Privathaushalten Einzug. Ähnlich wie bei Perückenköpfen, nutzten ihn Frauen als Halter für ihre Kopfbedeckung. Darauf platziert, liessen sich die Hauben neu ausschmücken, ausbessern – oder ganz einfach auch auslüften. Die Haubenköpfe wurden oft aus Papiermaché hergestellt.
Dieses seltsame Ding ist ein Rauchverzehrer und Parfüm-Verdunster aus Berlin (um 1920 bis 1930). «Verbessert die Luft. Zerstört den Tabakrauch. Parfümiert die Räume», liessen die Hersteller in ihrer Werbung verlauten. Eine elektrische Glühbirne sorgte dafür, dass parfümiertes Wasser verdunstete. Die erzeugte, aufsteigende Wärme drückte den Rauch ein wenig an die Raumdecke. In etwa: Aus dem Auge, aus dem Sinn.
«Ausser Gebrauch» ist eine unterhaltsame Zeitreise, die viel über die jeweilige Dekade offenbart – manchmal Schreckliches wie Tassen für Schildkrötensuppen oder ein Muff aus Affenpelz, ebenso oft aber Sympathisches wie eine Versandholzkiste für Eier.
Herausgeberin Margret Ribbert vom Historischen Museum Basel zählt in ihrer Einführung auch Objekte auf, die es leider nicht in den Band geschafft haben, die man aber zu gerne gesehen hätte. Hundebomben, «mit denen sich die Radfahrer zu Beginn des 20. Jahrhunderts vor bissigen Hunden schützten», oder schaukelnde Badewannen – um Wasser zu sparen. Das Buch beweist auch, wie kreativ Menschen sein können, wenn Lösungen gefragt sind.
Margret Ribbert: «Ausser Gebrauch – Alltag im Wandel», Christoph Merian Verlag, CHF 38.–, merianverlag.ch.
Ausstellung «Ausser Gebrauch», bis 17. September 2023, Historisches Museum Basel, hmb.ch. Ebenfalls spannend: Die Online-Bildergalerie auf aussergebrauch.ch, auf der jede und jeder selbst Bilder von ausrangierten Alltagsgegenständen hochladen darf.