Hansis Heile Welt im Hallenstadion
Wenn das Leben wieder mal mit schönen Momenten geizt: Schlager wecken in uns die Sehnsucht nach Liebe und Erfüllung. Eine Reportage aus dem Reich gesungener Träume.
Text: Roland Grüter
Reist Schmidtchen Schleicher im knallroten Gummiboot nach Santa Maria, um an der Fiesta Mexicana griechischen Wein zu trinken, ist es wieder mal so weit: Dann spielt der deutsche Schlager gross auf. Dann lauschen wir dem Jungen mit der Mundharmonika, träumen von Mendocino und kommen zum Schluss: Schön ist es, auf der Welt zu sein.
Davon zumindest sind all die Menschen überzeugt, die sich an diesem Novemberabend vor dem Zürcher Hallenstadion versammeln. Sie wollen an der grossen Schlagerparty mitfeiern und ihren Idolen zujubeln. Davon stehen gleich mehrere auf der Bühne: Hansi Hinterseer, Semino Rossi, Andy Borg oder Johnny Logan treten bald nacheinander ins Rampenlicht und führen die rund 10 000 Besucherinnen und Besucher in ihre Welten aus Zuckerguss. Noch stehen diese geduldig in der Kälte und warten auf Einlass. Die Menge ist kunterbunt durchmischt: Der Schlager scheint ein ganz besonderer sozialer Kitt zu sein. Er schlägt Brücken zwischen Alt und Jung, Land und Stadt, Arm und Reich.
Der Mann aus den Bergen
Auch Doris Kaufmann-Muggli, Ehemann Heinz und ihre Freundinnen (Heidi, Ruth und Elisabeth) fiebern der Party entgegen. Auf den weissen Schals, die manche um den Hals tragen, steht der Name eines grossen Schlagerhelden: Hansi Hinterseer. Für den Mann, der stark und gleichzeitig sensibel wirkt, ist ihnen kaum ein Weg zu weit. So auch für Doris Kaufmann-Muggli: Die 66-Jährige leitet den Schweizer Fanclub. Rund 150 Menschen teilen darin ihre Liebe zum volkstümlichen Schlager, für den Mann aus den Bergen. «Daraus ist schon manche Freundschaft gewachsen, die weit über die Musik hinausgeht», sagt die mittlerweile pensionierte Bankangestellte.
Spricht Doris Kaufmann-Muggli von ihrem Hansi, schwingt Anerkennung, ja sogar etwas Ehrfurcht mit. «Mir gefällt seine Bodenständigkeit, sein freundliches Wesen», sagt sie, «trotz seines Erfolgs ist er sich selber geblieben.» Seine Liebe zu Tirol und seiner Familie, sein Faible für die Natur – all das verarbeitet er zu Musik. «Er singt von Dingen, die mir selber sehr am Herzen liegen», sagt Super-Fanin Doris. Das hat sie bereits 1994 überzeugt, als Hansi Hinterseer erstmals am Fernsehen zu sehen war. Vier, fünf seiner Konzerte besucht sie pro Jahr. «Und vor jedem bin ich ein wenig nervös.»
Ganz vorne an der Bühne
Auf dem Vorplatz des Zürcher Hallenstadions ist ihre Aufregung sogar ein gutes Stück grösser: Die Aargauerin darf Hansi Hinterseer – mit Freundin Elisabeth Oberholzer – kurz die Hand drücken und so wie an den vorhergehenden Treffen etwas Lob des Maestros ernten. Schliesslich verrichtet sie wichtige Arbeit – und schaut zu, dass der Künstler bei den Mitgliedern des Fanclubs im Gespräch bleibt. Doris Kaufmann-Muggli verschickt monatlich einen Fanbrief. Darin kündigt sie Hansis Pläne an, organisiert Hansi-Treffen, gibt Informationen des Managements weiter, vermittelt Tickets. An vielen Konzerten haben Mitglieder der Fanclubs Vorgriffsrecht auf Eintrittskarten – damit sie ganz vorne an der Bühne sitzen können, nahe bei Hansi.
Lange wurde der Schlager belächelt. Die Welt, die in den Liedern besungen wird, schien Kritikern verdächtig. Sie war ihnen zu seicht, zu schnulzig. Dann aber kamen Helene Fischer & Co., sie trugen Elektrobeats und Partyfeeling in dieses Musikgenre. Seither gilt es wieder als chic, sich atemlos durch die Nacht zu schunkeln. Der deutsche Schlager ist auch ein wichtiger Umsatz faktor im Musikgeschäft. Sein Marktanteil im deutschsprachigen Raum liegt bei sieben Prozent, das entspricht einem Jahresumsatz von über 170 Millionen Franken. Real dürfte der Anteil sogar noch höher sein: Denn die Grenzen zwischen Schlager und Volksmusik bis hin zum Pop sind fliessend. Diese Unschärfe liegt bereits in der Definition des Schlagers begründet. Darin wird gemeinhin eingängige Tanz-und Unterhaltungsmusik zusammengefasst: Musik, die mit einfachen Worten und in deutscher Sprache die grossen Fragen des Lebens beantworten. Eine vage Umschreibung.
«Es sind Songs aus dem Leben»
Ein Konzert in Sursee hat das Leben von Erica Senn in neue Bahnen gelenkt. Das war vor zwölf Jahren. Auf der Bühne stand Schlagersänger Semino Rossi, in Argentinien aufgewachsen, im deutschsprachigen Raum erfolgreich geworden. «Als er zum Abschluss Ave Maria sang, hat das etwas in mir ausgelöst», sagt die 64-Jährige aus Selzach bei Solothurn. Sie beschreibt damit den Moment, der sie auch Tage später nicht mehr losliess. Sie beschloss, den ersten Schweizer Semino-Rossi-Fanclub zu gründen, der heute 90 Mitglieder zählt. Als sie zwischenzeitlich als Leiterin zurücktrat und der Verein zu serbeln begann, meldete sich Rossi persönlich und animierte sie, zurückzukehren. «Schliesslich hilft mir seine Musik auch stets, wieder auf die Beine zu kommen», sagt sie. «Schlagersongs erzählen aus dem wahren Leben.» Im Schnitt besucht Erica Senn mit ihrem Mann monatlich ein Rossi-Konzert. «Ich habe das Glück, dass er meine Passion teilt.» Weil sich Rossi nach Konzerten immer viel Zeit nimmt für seine Fans, sind ihr Anstand und Respekt wichtig. «Er gehört seiner Familie, nicht den Fans.» (fro)
Auch die Lieder all der Schlagerstars, die bald auf die Bühne des Hallenstadions treten, lassen die Sonne in dunkelsten Zeiten scheinen. «Schlager lassen mich den Alltag und die Sorgen für eine Weile vergessen», sagt auch Doris Kaufmann-Muggli. Sie ist seit 50 Jahren ein Schlagerfan. Rock ’n’ Roll, die Beatles? Daran hatte sie kein Interesse. In Jugendjahren schwärmte sie für Roy Black und riskierte damit schon mal ein mitleidiges Lächeln ihrer Altersgenossinnen. «Roy ist noch immer mein Traummann. Leider hat er es verpasst, um meine Hand anzuhalten», sagt sie und lacht. Schwärmt sie für Hansi gleichermassen? Die Frau wirft ihren Kopf in den Nacken und schüttelt den Kopf: «Wo denken Sie hin! Der ist schon mit einer anderen Schweizerin glücklich verheiratet. Für mich ist Hansi aber ein guter, vertrauter Freund.»
Erinnerungen wecken
So wie Doris Kaufmann-Muggli sind viele Menschen mit Schlagern aufgewachsen und diesen treu geblieben – auch die Mitglieder des Hansi-Fanclubs sind meist über 60. Gerade im Alter werden sie von mancher Textzeile und Melodie an die vergangene Jugend oder an Glücksmomente erinnert. Aus diesem Grunde werden Schlager sogar dementen Menschen vorgespielt. Denn selbst wenn Worte die Menschen nicht mehr erreichen, die Musik weckt in ihnen noch immer Erinnerungen und damit verbundene Emotionen. So wie bei eingeschworenen Schlagerfans.
«Lieder helfen gegen den Morelli»
Nur wenige mussten sich ihren Platz im Hallenstadion wohl so erkämpfen wie Ursula Göhring. Zum wiederholten Mal besucht sie mit ihrer Tochter Gabriela Dreyer «Die grosse Schlagerparty». Es ist ein besonderer Tag, denn die 80-Jährige geht erstmals seit einem schweren Sturz wieder länger aus – ohne Rollator. Beide Oberschenkel hatte sie sich gebrochen. Umso mehr geniesst sie das Konzert, steht immer wieder auf, klatscht mit und erntet dafür von anderen Schlagerfans Komplimente und Daumen-hoch-Zeichen. Gabriela Dreyer hat das Schlager-Virus ihrer Mutter zu verdanken. Alles, was am Fernsehen mit Schlager zu tun hat, schauen sie sich gemeinsam in Zürich an, wo beide in zwei verschiedenen Wohnungen, aber an derselben Strasse leben. «Wir haben ein strenges Wochenende hinter uns», sagt Ursula Göhring und lacht. Schlagersongs würden sie wieder aufrichten, wenn sie hie und da «den Morelli» habe. Die Tickets für die nächste Schlagerparty hat ihre Tochter bereits gekauft. «Die netten Leute, das Ambiente und die Musik bereiten uns viel Freude», sagt die 57-Jährige. (fro)
Die lange Zeit des Wartens hat ein Ende. Die Türen des Hallenstadions werden aufgeschlossen. Doris Kaufmann-Muggli und Elisabeth Oberholzer gehen direkt zum Notausgang vor der Bühne. Dort werden sie abgeholt und zu Hansi Hinterseer geführt. Endlich ist es so weit. Ein Mitarbeiter führt sie hinauf ins Glück. Hansi Hinterseer erscheint, das blonde Haar fällt ihm noch immer dicht in die Stirn. «Ah schau her, die Doris und die Elisabeth», sagt er und legt den beiden Frauen kurz die Hand auf die Schultern. Er lächelt, beantwortet geduldig ein paar Fragen.
Wie fühlt es sich an, mit seinen Fans älter zu werden? «Wunderbar», sagt Hansi Hinterseer, «sich so lange zu kennen, ist ein Privileg. Wir sind wie eine grosse Familie, gell Doris.» Dann verschwindet der Sänger bereits wieder im Ganggewusel. Die Zeit ist knapp, das Publikum wartet. Seine Bewunderinnen strahlen dem Sänger hinterher. «Ich träume von deiner Zärtlichkeit und von einem Wiedersehen mit dir», singt Hansi in einem seiner Lieder. Obwohl er dabei wohl kaum an Doris und Elisabeth denkt: Er macht sie trotzdem glücklich. Typisch Schlager.
Die erfolgreichsten Schlagerstars, die wichtigsten Konzerte
In der Welt des Schlagers sind manche Frauen und Männer besonders erfolgreich. Eine Übersicht der wichtigsten Namen.
90 Millionen: Er trägt seinen Namen zu Recht: Roland Kaiser hat insgesamt 90 Millionen Tonträger verkauft – mehr als alle andern.
60 Millionen: Rex Gildo und Roy Black gelten noch immer als Traummänner des Schlagers. Sie besetzen nach Roland Kaiser Platz 2 und 3 der erfolgreichsten Künstler dieses Genres. Zusammen verkauften sie über 60 Millionen Tonträger.
16 Millionen: Die erfolgreichste Frau des traditionellen Schlagers ist Marianne Rosenberg: mit über 16 Millionen Tonträgern. Sie wurde 14-jährig an einem Talentwettbewerb entdeckt.
12,4 Millionen: Sie ist zwar erst seit 15 Jahren im Geschäft, aber die Königin des modernen Schlagers. Rund 12,4 Millionen Tonträger hat Helene Fischer verkauft. Fans sprechen sogar von 16 Millionen. Diese Zahl ist aber nicht belegt.
7 Millionen: Hansi Hinterseer hat seine Skistöcke erfolgreich gegen das Mikrofon eingetauscht. Über 7 Millionen Alben – die sind Gold wert. An der Ski-Weltmeisterschaft schaffte er bloss Silber.
2 Millionen: Calimeros gelten als erfolgreichste Schweizer Schlagerband. Sie verkauften in den vergangenen 44 Jahren etwas mehr als zwei Millionen Tonträger.
Hier spielt die Musik
Falls Sie mitfeiern und mitschunkeln wollen: In den kommenden Wochen spielen Schlagerstars in der Schweiz gross auf. Eine Übersicht der vielen Highlights.
20. Schlager-Nacht Luzern: Eigentlich hätte am Sonntag, 15. März in der Messe Luzern die 20. Schlager-Nacht mit DJ Ötzi, Thomas Anders, Linda Fäh, Mickie Krause und vielen andern stattfinden sollen. Aufgrund des Corona-Virus wurde die Veranstaltung aber auf ein noch unbekanntes Datum verschoben. Tickets ab CHF 76.90.
Die Udo Jürgens Story, diverse Spielorte: Die grössten Hits und schönsten Geschichten der Musiklegende. Vom 24. März bis 26. September. Tickets ab CHF 54.50.
Musikfestival, Grenchen: Hansi Hinterseer, Marianne Cathomen, Stefan Ross und andere Stars machen in der Koller Event Hall den Schlager zum Festival. Am Samstag, 23. Mai. Tickets ab CHF 91.80.
Flumserberg Open Air: Dieses Jahr werden unter anderem Stars wie Howard Carpendale, Matthias Reim, Beatrice Egli oder Jürgen Drews auftreten. 31. Juli und 1. August.
Die grosse Schlagerparty, Zürich: Jürgen Drews, Beatrice Egli, Howard Carpendale, Matthias Reim etc. sorgen für Stimmung im Zürcher Hallenstadion, Samstag, 24. Oktober. Tickets ab CHF 79.90.
Roland Kaiser, Zürich: Gut, hat er nicht Nein gesagt. Der Berliner macht halt in Zürich und bringt viele seiner Hits mit. Freitag, 6. November in der Samsung Hall. Tickets ab CHF 83.90.
Calimeros, div. Spielorte: Die Schweizer Erfolgsband erzählt die schönsten Geschichten der vergangenen 44 Jahre. Vom 24. Oktober bis 8. November. Tickets ab CHF 59.–.
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