In guten wie in schlechten Zeiten
Alte Liebe rostet tatsächlich nicht: Drei langjährig verheiratete Frauen holen für uns ihr Brautkleid aus dem Keller und erzählen von den Höhen und Tiefen ihrer Ehe.
Text: Claudia Senn, Bilder: Sonja Ruckstuhl
«Ich dachte gleich: Das ist jetzt aber ein Flotter!»
Bernadette Küttel (85) und Hans Küttel (92)
Ehejahre: 64, Preis des Brautkleids: 198 Franken
Rezept für eine gelungene Ehe: «Das Fundament muss stimmen: die Liebe, das Verständnis füreinander, das Zusammengehörigkeitsgefühl.»
Wie haben Sie beide sich kennengelernt?
Sie: Wir spielten zusammen in einer Theatergruppe, «Drei Männer im Schnee», nach dem Roman von Erich Kästner. Ich dachte gleich: Das ist jetzt aber ein Flotter.
Er: Anfangs habe ich ihr Interesse gar nicht bemerkt, ich stand wohl etwas auf dem Schlauch. Doch es passte alles: die Interessen, die Körpergrösse, vif war sie auch.
Sie: Nach der letzten Aufführung sagte er, er bringe mich heim. Da dachte ich: Oha!
Kam es da zum ersten Kuss?
Er: Zum ersten von vielen. Am 8. Dezember 1958 haben wir uns verlobt, am 11. April 1959 geheiratet, in der Kapelle St. Klemens in Ebikon. Die kriegten wir mit unseren 24 Gästen gerade voll.
Sie: Mein Bruder traute uns, er war damals Vikar in Ebikon. Ein Jahr später verunglückte er tödlich auf der Strasse. Das war eine Katastrophe für mich, wir hatten uns sehr nahegestanden. Zum Glück bleiben uns die schönen Erinnerungen an die Trauung.
Wo haben Sie Ihr Brautkleid gefunden?
Sie: In einem kleinen Modegeschäft in Luzern. Es passte mir auf Anhieb. Gar nichts musste geändert werden.
Wie lief die Hochzeit ab?
Er: Nach der Trauung gab es ein Mittagessen im Hotel Balm in Meggen, danach eine Rundreise mit dem Car um den Zugersee.
Sie: Gleich am nächsten Tag gingen wir auf Hochzeitsreise nach Biarritz. Der Zug hatte eine Dampflokomotive. Man konnte das Fenster nicht öffnen, sonst wäre man ganz schwarz geworden vom Russ.
Er: Weisst du noch? Als wir in Biarritz ankamen, sagte der Taxifahrer, das Hotel sei zu dieser Jahreszeit bestimmt noch geschlossen. Das stimmte zum Glück nicht, doch wir waren die einzigen Gäste. Das Wetter war sehr stürmisch.
War auch Ihre Liebe stürmisch?
Sie: O ja! Bei mir vielleicht etwas stürmischer als bei ihm.
Welches waren die Highlights Ihrer Ehe?
Er: Die Geburten unserer drei Söhne, die inzwischen längst selbst Kinder und Enkelkinder haben. Alle drei waren gesund und sind gut herausgekommen. Den Zusammenhalt und den Frieden in unserer Familie fand ich immer wunderbar. Die gemeinsamen Wanderungen in den Bergen, die Familienfeste.
Sie: Wenn wir alle beieinander sind – das ist für mich Glück. Bis vor kurzem haben wir alle Feste bei uns zu Hause gefeiert, aber die Familie wird ja immer grösser.
Gab es auch Ehekrisen?
Sie: Hattest du mal das Gefühl, du willst lieber eine andere?
Er: Nein. Unsere Krisen waren eher gesundheitlicher Natur. 2009 hatte sie Brustkrebs. Das war schlimm. Ich selbst hatte zwei Prostata-Operationen und bekam ein neues Hüftgelenk. Aber unsere Liebe hat uns hindurch getragen.
Sie: Du warst einfach ein Guter. Immer. Wenn wir uns doch mal gestritten haben, dann höchstens, weil du zu wenig streng zu den Buben warst und ich dann die Böse spielen musste.
Bernadette Küttel war bis zur Geburt ihrer Söhne Familienhelferin. Hans Küttel arbeitete in der Verlagsbranche und war Abteilungsleiter beim katholischen Hilfswerk Fastenopfer (heute Fastenaktion).
«Mir kommen die 60 Jahre vor wie ein Tag.»
Doris Hofer (83)
Ehejahre: 59, Preis des Brautkleids: 150 Franken
Rezept für eine gelungene Ehe: «Räumen Sie jeden Abend vor dem Schlafengehen Ihre Beziehung auf. Und schlafen Sie danach in Frieden ein.»
«Schätzu, Schnügubüggu, Häsimötteli, Goldschatz, Härzchäfer – ich benutzte unzählige Kosenamen für meinen Hannes. Um ein Haar hätte er bis zur diamantenen Hochzeit durchgehalten. Doch im Oktober letzten Jahres musste ich ihn hergeben an den Krebs. Du darfst bleiben, sagte ich zu ihm, du darfst aber auch gehen. Wenn man jemanden wirklich liebt, muss man dazu bereit sein, ihn loszulassen. Wir hatten es bis zur letzten Minute gut miteinander.
Kennengelernt haben wir uns an einem Waldfest in Thörigen. Als ich ankam, sagte Hannes’ Bruder zu ihm: «Schau mal, dort, die Lange, wäre die nichts für dich?» Schon beim ersten Tanz empfand ich eine so starke Vertrautheit und Geborgenheit, dass ich dachte: So könnte es mit dem eigenen Mann sein. Den ersten Kuss gaben wir uns während eines Ausflugs auf den Gurten, ich weiss noch ganz genau, wo. Draufgängerisch war keiner von uns beiden.
Das Hochzeitskleid kaufte ich gemeinsam mit meiner Mutter in Bern. Wegen eines Bleistiftstrichs am Kragen kostete es nur noch 150 statt 600 Franken – ein Schnäppchen. Mein Vater war Pfarrer, er traute uns in seiner Kirche in Seeberg. «Gott allein weiss, wie es um euch steht!», rief er von seiner Kanzel herab und unterstellte mir damit, dass ich schon vor der Heirat schwanger geworden war. Ich hätte schreien können! Unser erster Sohn Hans kam dann auf den Tag genau zehn Monate nach der Hochzeit zur Welt.
Der zweite Sohn, Peter, wurde an einem Freitag, dem 13., geboren und fing schon an zu schreien, als gerade erst das Köpfchen aus mir herausguckte. Vielleicht wusste er, dass er nicht lange bleiben kann. Mit 16 mussten wir ihn gehen lassen – Leukämie. Auch mein Hannes hatte es nicht leicht. 1999 Darmverschluss, fünf Operationen innerhalb eines Jahres. 2022 zweimal Blutvergiftung mit Fieber und Halluzinationen. Eine Lungenentzündung mit vielen kleinen Embolien. Dann am Ende der Prostatakrebs.
Womit habe ich das nur verdient, sagte er einmal. Womit haben wir denn all die guten Sachen verdient, antwortete ich. Das ausgebaute VW-Büschen, mit dem wir bis nach Dänemark getuckert sind? Das Häuschen im Burgund bei unseren Weinbauern-Freunden? Die fantastischen Hausboot-Ferien auf dem Canal du Nivernais, 84 Schleusen auf dem Hinweg, 84 Schleusen auf dem Rückweg? Drei gesunde, wunderbare Grosskinder?
Mir kommen die 60 Jahre vor wie ein Tag. Ich würde alles noch einmal genauso machen. Mein Schätzu war mein Lebensgeschenk. Eine ernsthafte Krise hat es zwischen uns nie gegeben. Nur wenn er in diesem ganz speziellen Tonfall mit seinen Telefonistinnen plauderte, sagte ich: Schätzu, gell, zu mir darfst du übrigens auch so nett sein. An meinem zehnten Hochzeitstag zog ich das Brautkleid noch einmal an. Die Buben würgten mit aller Kraft den Reissverschluss zu, und als Hannes von der Arbeit kam, empfing ich ihn wie eine strahlende Braut.»
Doris Hofer arbeitete als Lehrerin und gab «Blumenmalerei auf Holz»-Kurse, ihr um ein Jahr älterer Mann Johann war Ingenieur bei der BKW.
«Da flogen schon mal die Fetzen!»
Erika Meyerhofer (80)*
Ehejahre: 58, Preis des Brautkleids: 334 Franken
Rezept für eine gelungene Ehe: «Gehen Sie Auseinandersetzungen nicht aus dem Weg und besprechen Sie Konflikte auch mit Aussenstehenden, um eine andere Perspektive zu gewinnen.»
«Von Anfang an war unsere Beziehung eine stürmische, mit ständigen Trennungen und Wiedervereinigungen. Da steckte Leben drin. Da flogen schon mal die Fetzen! Über Langeweile konnten wir uns wirklich nicht beklagen.
Kennengelernt haben wir uns während der Mittelschule, an der Geburtstagsparty einer Freundin. Ich war mit meinem Freund dort, doch den liess ich kurzerhand stehen, Markus gefiel mir einfach besser! Eins neunundachtzig gross und schlaksig, immer einen flotten Spruch auf den Lippen. Leider reservierte er seinen Charme nicht nur für mich allein. Das sorgte bei mir für heftige Eifersuchtsattacken.
Alle beobachteten uns mit Argusaugen, damit wir auf keinen Fall vor der Hochzeitsnacht miteinander im Bett landeten. Dafür konnte man damals ja sogar bestraft werden. Die Welt war so kleinkariert! Wir pfiffen drauf und taten trotzdem, was wir wollten. Am 28. Dezember 1964 heirateten wir. Das Kleid war massgeschneidert, ich fühlte mich darin wie ein Filmstar. Beim Apéro brachten uns meine Schüler ein Ständchen. Allerdings hatten sie ausgerechnet die Beerdigungshymne «Ich hatt’ einen Kameraden» ausgewählt. Wir lachten Tränen, weil es so unpassend war – und doch so herzig.
1969 hatten wir unsere erste grosse Krise, weil Markus sich in eine andere Frau verliebte. Ich war verletzt und ging ein halbes Jahr nach London, um die Sprache zu lernen, sah Gilbert Bécaud und Miriam Makeba in der Royal Albert Hall, schlenderte über die Portobello Road und entdeckte mein Faible für Antiquitäten. In dieser Zeit haben wir viel korrespondiert und telefoniert. Alles kam auf den Tisch. Als ich schliesslich heimkehrte, feierten wir unsere Versöhnung mit einer Ferienreise.
Ende der 80erJahre verliebte sich Markus erneut in eine andere. Ich glaube, es war eine Art Flucht, weil wir so viele Sorgen mit den Kindern hatten. Unser Sohn Raphael kam 1972 per Notfallkaiserschnitt zur Welt. Er erlitt einen schweren Sauerstoffmangel, war halbseitig gelähmt, konnte seine Behinderungen später aber dank gezielter Förderung ausgleichen. Unserer Tochter Alice wurde mit zehn Jahren bei einer komplizierten Hirnoperation eine Geschwulst hinter dem Auge entfernt. Beiden Kindern geht es heute gut, zum Glück, doch damals hat uns das sehr mitgenommen. Um ein Haar hätte ich mich von Markus scheiden lassen. Dann rauften wir uns doch wieder zusammen. Es half mir, in einer Gesprächsgruppe meinen Ballast loszuwerden und Ratschläge einzuholen.
Heute haben wir zu einer ruhigen Partnerschaft gefunden. Wir freuen uns über unsere vier Enkel. Markus schneidet mir das Fleisch klein, weil ich das mit meinen Rheumafingern nicht mehr so gut kann, und recherchiert, wo es meine sündhaft teure Gesichtscreme gerade billiger gibt. Kürzlich hat er eine Nierenkrebs-Diagnose bekommen. Ich selbst war nach einer Lungenembolie dem Tod auch schon sehr nahe. Wir Menschen haben nun mal ein Ablaufdatum, damit bin ich versöhnt. Selbst wenn ich allein zurückbleiben sollte, macht mir das keine Angst.»
Erika Meyerhofer* war Lehrerin, Markus Meyerhofer* (81) arbeitete als Informatiker. Er konnte aus gesundheitlichen Gründen nicht am Interview teilnehmen. (* Alle Namen wurden geändert.)
Und was tragen die Bräute von heute?
Lesen Sie dazu unser Interview mit Susan Lippe-Bernard, der Chefredaktorin des Hochzeitsmagazins «Braut & Bräutigam».
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